Foto: Samantha Runkel

Anne Mäusbacher ist beach cleaner mit ganzem Herzen. Die Nürnbergerin gründete die Umweltinitiative vor über sechs Jahren.

Ute Möller
12.12.2021
Lesezeit: 5 Min.

Weg mit dem Plastikmüll!

Anne Mäusbacher gründete die Umweltinitiative beach cleaner und setzt sich fast rund um die Uhr für die Rettung der Meere ein

In jedes Gespräch für Flamingo und Dosenbier bringe ich natürlich mit, wo ich gerade in meinem Leben stehe. Und gerade bin ich, zugegeben, schon etwas in Jahresrückblicksstimmung – was für ein Wort. Seit August fliegt der Flamingo, und das kann er nur, weil ich schon 2020 mein Leben total umgekrempelt habe. Mit 49 kündigte ich meinen Redakteurinnenjob und folgte meinem Impuls, mein Projekt zu starten. Da gab es weder den Titel des Magazins, geschweige denn einen Plan.

Jetzt, eineinhalb Jahre später, fühle ich mich beschenkt. Flamingo und Dosenbier bringt mir zwar bisher kein Geld, aber wundervolles Feedback. Von Leserinnen und Lesern, die gerne die Porträts und Interviews lesen. Die den positiven Spirit schätzen. Sich in ihrem eigenen Veränderungswillen bestärkt fühlen. Die Lust bekommen, all die tollen Menschen aus Flamingo und Dosenbier persönlich kennenzulernen. Community-Feeling eben.

Als ich das Interview mit Anne Mäusbacher führe – Corona konform als Online-Meeting – gehe ich irgendwie davon aus, dass es ihr ähnlich geht. Sie startete jenseits der Vierzig ihr beach cleaner-Projekt und baute ihr Leben ziemlich heftig um. Annes Ziel: ein plastikfreies Leben, weniger Plastikfolien und PET-Flaschen in Meeren und Flüssen, ein ökologisches Umdenken. Möglichst weltweit.

Die Nürnbergerin zieht mittlerweile seit über sechs Jahren los und packt an. Anne holt mit der Unterstützung einer wachsenden Community den Plastikdreck aus Flüssen und Meeren. Sie schafft ein Bewusstsein dafür, dass jede und jeder schützen muss, was wir alle zum Leben brauchen. Meere, Fische, Tiere, die Natur. Sie schrieb ein Buch, geht in Schulen, berät Firmen. Zero Waste als Fernziel immer fest im Blick. Privat hat ihre Familie den Müll schon um 90 Prozent reduziert.

Kein neues Leben, aber ein noch ambitionierteres

Doch Anne widerspricht mir. Sie habe anders als ich nicht das Gefühl, dass es irgendwie Sinn macht, dass sie ausgerechnet Anfang 40 ihr Leben neu ausrichtete. Also in einer Phase, in der man schon eine ordentliche Portion Lebenserfahrung hat und daraus eher Mut zur Veränderung schöpft, als wenn man jünger ist und noch viel weniger über sich weiß. Der Zeitpunkt sei Zufall gewesen. Anne richtete ihr Leben mit beach cleaner auch gar nicht richtig neu aus. Im Einklang mit der Natur zu konsumieren, brachten ihr schon ihre Eltern bei. Und mit Power durchs Leben ging sie auch immer schon. Es wurden eben einfach nur noch mehr Power und noch mehr Leidenschaft. Kein neues Leben, aber ein noch ambitionierteres.

„Ich arbeite eigentlich immer“, sagt Anne im Laufe unseres Gesprächs. Wenn nicht in ihrem Job im Marketing, dann für beach cleaner. Wer auf ihre Homepage geht, wird gleich mal mit zwei eindrucksvollen Fakten konfrontiert. „Jede Minute gelangt eine LKW-Ladung voller Plastik in den Ozean“ steht da neben „Jeder zweite Atemzug enthält Sauerstoff aus dem Meer“. Soll heißen: Plastik zerstört die Meere und in der Folge uns. Das wissen viele, aber viel zu wenige ziehen daraus für ihr Leben Konsequenzen.

Anne Mäusbacher im Interview mit Flamingo und Dosenbier

Bei Anne ist das anders, seit sie 2015 mit ihrem Sohn auf Ibiza ins Mittelmeer ging und mit Plastikfolie auf der Haut, die sie anfangs für Algen hielt, wieder rauskam. „Ein korpulenter Mann hatte auch Fetzen von Plastikplane am Körper, aber er warf sie einfach ins Meer zurück und machte sich nichts daraus.“

Nicht so Anne und ihr Sohn. In den verbliebenen Urlaubstagen sammelten die beiden mit Annes Ehemann Andy Müll vom Strand, „noch in der Nacht nach dem Erlebnis hatte ich die Idee für mein Projekt und den Namen im Kopf.“ Andy Mäusbacher checkte, ob die Domain beach cleaner noch frei ist. Und Anne startete ihren Lesemarathon. Sie wollte alles wissen über die riesigen Plastikteppiche, die auf den Weltmeeren schwimmen. „In den Medien in Deutschland war das Thema damals noch nicht so präsent, es gab auch noch nicht so viele Zero Waste-Ratgeber wie heute.“ Anne packte alles Wissen, das sie sich anlas, auf ihren Blog. „Ich hoffte, dass es schon irgendwer lesen wird.“

Anne mit ihrem Sohn und ihrem Mann Andy: beach cleaner hat die ganze Familie verändert. Annes Leidenschaft brachte alle drei dazu, viel Zeit in den Schutz der Umwelt zu investieren. Foto: Samantha Runkel

Auch vor dem Ibiza-Urlaub hatte Anne nicht sinnlos konsumiert. Aufgewachsen in einem christlich geprägten Elternhaus mit zwei Geschwistern, wurde sie zur Bescheidenheit erzogen. „Das Gemeinwohl war meinen Eltern wichtig, sie halfen Menschen, die Probleme hatten. Und sie achteten bereits darauf, möglichst kein Plastik im Haushalt zu verwenden. Wasser gab es zum Beispiel in Glasflaschen.“

Anne hätte natürlich gegen diese Werte rebellieren können, doch genau das tat sie nicht. Nachdem sie das Gymnasium in Erlangen vor dem Abitur geschmissen hatte, machte sie eine Ausbildung in einer Rechtsanwaltspraxis, um ihrem großen Rechtsempfinden gerecht zu werden. Als sie in der Schadensabteilung einer Versicherung arbeitete, studierte sie nebenbei Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Jura und Marketing. „Das war anstrengend, aber mit 23 hatte ich dann ein Studium und eine Ausbildung in der Tasche.“

Zuvor hatte eine einschneidende Erfahrung Annes Leben verändert. „Ich habe früh meinen Vater verloren, da hat sich einiges daheim verändert.“ Anne zog früh aus, um schnell auf eigenen Beinen zu stehen und unabhängig zu sein.

Yoga als Kraftquelle

Das Familien-Leben war auch geprägt gewesen von viel Sport. Anne betrieb intensiv Judo und Leichtathletik und hatte den Wunsch, Ballett zu tanzen. Wettkämpfe in der Jugendzeit, das Studium neben dem Job – „ich bin es gewohnt, zu powern, sagt Anne. Und Bewegung blieb wichtig. Zwischen 20 und 30 machte sie intensiv Erwachsenenballett, dann entdeckte sie Yoga. Es sei ihr „Katalysator“ für beach cleaner. Eine wichtige Kraftquelle, ein Space, um sich darin weiterzuentwickeln.

Als ihr Sohn fünf Jahre alt war, gab sie Yogakurse für Kinder. „Das war vor neun Jahren noch selten und ich will Dinge immer anders machen. Mainstream gibt es schon genug.“ Außerdem bräuchten auch Jüngere Raum für Entspannung. „Viele Teenager kommen schon völlig fertig in die Yogaklasse. Das ist dann ihr Raum und wenn sie wollen, können sie einfach nur auf dem Boden liegen.“

Bei über 50 Clean-ups war Anne schon dabei, in Nordbayern genauso wie auf den Malediven. Foto: Frau VAU

Achtsamkeit sei eine wichtige Schule. Im Alltag bedeutet diese für Anne auch: Jeder Einkauf wird gut überlegt. „Brauche ich das wirklich, welchen ökologischen Fußabdruck hat das Produkt?“ Meistens entscheide sie sich dann gegen den Kauf oder greife zu Secondhand. Auch für die Klamotten ihres Sohns. „Er erlebt, dass viele seiner Freunde in ihren Familien ganz anders leben, sie bekommen nicht vorgelebt, wie wichtig Nachhaltigkeit und Müllreduzierung sind.“

Ihr Sohn steht selber schon manchmal vor Fernsehkameras und erzählt von dem Leben als beach cleaner. Zu dem eben auch gehört, möglichst unverpackt einzukaufen. In Glas statt Plastik aufzubewahren. Seife, Spülmittel und Waschmittel selber herzustellen. Holz- statt Plastikzahnbürste zu benutzen. Anne hat auf ihrem Blog ihren Weg zu einer plastikfreien Küche und einem Bad ohne Plastiktuben nacherzählt. Mit vielen praktischen Tipps.

Ihr mit Aktivitäten angefülltes Leben, zu dem auch Reisen nach Asien gehören und frühe Kontakte zu Hilfsorganisationen dort, macht es naheliegend, dass Anne 2015 nach dem Ibiza-Urlaub sofort mit beach cleaner durchstartete. Sie schrieb das Buch „Kids für the ocean“ und erklärt darin Kindern den Zusammenhang von Plastikproduktion und Meeresverschmutzung. Empfohlen von der UNESCO und der Stiftung Lesen, geht es bald in die fünfte Auflage. Sie gibt ihr Wissen in Schulen und Firmen weiter. Bei über 50 Clean-ups lokal und im Ausland, wie in Andalusien, Frankreich und auf den Malediven, räumte sie mit vielen Unterstützenden Flussufer und Strände auf.

Sie verdiene mit beach cleaner noch kein Geld, sagt Anne. Ihr Team sei klein, die meisten Vorträge und Veranstaltungen macht sie selber. Und träumt von einem großen Team, weiteren Kooperationspartnern, neuen Sponsoren. Bislang unterstützt die Nürnberger Datev das Beachcleaner-Projekt (das Flamingo und Dosenbier-Interview mit Datev-Vorständin Julia Bangerth lest ihr hier). „Ich hatte aber bisher einfach noch nicht die Zeit, mich um all das zu kümmern“, sagt Anne. Aber sie möchte noch mehr rausholen aus ihrer Zeit, schließlich gehe es um die Zukunft des Planeten. Sie möchte noch mehr powern. Zuzutrauen ist es ihr. Anne ist also weniger in Jahresrückblicksstimmung als im Vorwärtsgang. Und das ist ganz schön mitreißend.

Anne Mäusbacher empfiehlt: Roland Mietke

Anne Mäusbacher wurde mir als Interviewpartnerin von Denise Fischer vom FreiVon-Unverpacktladen empfohlen. Anne hat das Crowdfunding für den Laden in der Hans-Sachs-Gasse in Nürnberg unterstüzt unf macht viel Werbung für die Händler, bei denen sich unverpackt einkaufen lässt. Schließlich geht Anne selber hauptsächlich in Unverpacktläden einkaufen (oder in Hofläden im Knoblauchsland im Norden Nürnbergs).

Gefragt nach ihrer Empfehlung schickt mir Anne die Kontakdaten von Roland Mietke zu. Er gehört ebenso wie sie  und Unternehmer Kai Küffner (Nusseckenmanufaktur) zu den Gründer*innen und Borschafter*innen von RE:NUE – das BürgerInnen Institut. Ziel ist laut Homepage: „Eine ganzheitliche Betrachtungsweise und Ansätze wie eine ressourcenschonende, zukunftsweisende Kreislaufwirtschaft, im Einklang mit Natur und (Um)welt, werden uns langfristig helfen, den Systemwandel gemeinschaftlich  zu gestalten. Die BürgerInnen stehen hier im Mittelpunkt. Fern von Insel-Denkweisen, hin zu mehr Transparenz, Kollaboration und aktivem Miteinander.“ RE:NUE will die Kommunen und die Metropolregion Nürnberg zu nachhaltigem Handeln motivieren. Roland Mietke ist für ein Interview angefragt…