Foto: FreiVon-Unverpacktladen

Denise Fischer in ihrem Unverpacktladen in Nürnberg: "Ich bin eine Hardcore-Optimistin!"

Ute Möller
24.10.2021
Lesezeit: 7 Min.

Unverpacktladen als Herzensprojekt

"Mir haben gute Beratungsangebote und Netzwerke gefehlt": Denise Fischer nimmt uns mit auf ihre Gründungsreise

Kurz, schnell, heftig. Voll im Flow. Schneller am Ziel als gedacht. Und das mit so viel Spaß, dass Hürden ein Ansporn waren, weiterzumachen.

Wenn Denise Fischer davon erzählt, wie es sich anfühlte, ihren FreiVon-Unverpacktladen in der Hans-Sachs-Gasse in der Nürnberger Altstadt an den Start zu bringen, fängt mein Herz an zu grinsen. Wir nennen es ja gerne Herzensprojekt, wenn uns eine Idee nicht mehr loslässt. Und wenn die tatsächlich Formen annimmt, ist es eigentlich völlig egal, ob wir dabei auch mal Angst haben, uns weniger zutrauen als wir sollten oder Fehler machen. Wer seiner Überzeugung folgt, geht nämlich trotzdem ab wie Frau Schmidts Katze. Kurz, schnell, heftig – und schon machst du, was du dir vorgenommen hast.

Die Welt braucht Ideen, vor allem solche, die unser Zusammenleben besser und unseren Umgang mit den Ressourcen so sinnvoll machen, dass es unseren Planeten auch in Zukunft noch geben kann. Nachhaltige Geschäftsideen haben besonders häufig Frauen, es kann nicht oft genug gesagt werden (lest auch, was dazu Marius und Nico von der Beratungsstelle Anders Gründen in Flamingo und Dosenbier erzählt haben).

„Ich bin die erste in meiner Familie, die studiert hat“

Denise bekam es nicht in die Wiege gelegt, sich selbständig zu machen. Ihr Vater arbeitete als Heizungsbauer, dann wechselte er als angestellter Administrator in die IT-Branche. Nebenbei legt er zwar seit Jahren als DJ auf, „aber mit dieser Selbständigkeit verdient er nur was dazu.“ Ihre Mutter hat als Hauswirtschafterin gearbeitet. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und wir lebten sehr ländlich in Amberg-Sulzbach. Ich bin die Erste, die studiert hat.“ Der Rat der Eltern am Ende der Schulzeit lautete: Mach´ lieber eine Ausbildung!

„Meine Familie ist auch klassisch kapitalistisch, da wurde nicht darauf geachtet, dass Lebensmittel bio sind. Wir sind auch in den Urlaub geflogen.“

Warum sie, das Mädchen vom Lande, aus Familientraditionen und Erwartungen ausgebrochen ist, weiß Denise selber nicht so genau. Jedenfalls träumte sie ganz sicher nicht bereits als Mädchen in ihrem Kaufmannsladen von einem Unverpacktladen, wie eine Lokalzeitung mal über sie geschrieben hat. Dass ihr Weg in die Selbständigkeit eher vorsichtig war, könnte aber mit ihrer Herkunft zusammenhängen.

Klassischer Berufswunsch: Was mit Menschen machen

Ihr erster Berufswunsch, für Mädchen ziemlich klassisch: „Ich wollte etwas mit Menschen machen.“ Denise studierte Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule in Nürnberg. Sie stieg in die soziale Marktforschung ein, beschäftigte sich mit Quartiersmanagement. Also mit Fragen wie: Wie kriegt man es hin, dass unterschiedliche Menschen in einem Viertel gut zusammenleben? Was brauchen die Menschen vor Ort?

Im weitesten Sinne hat Letzteres auch was mit ihrem Unverpacktladen in der Sebalder Altstadt von Nürnberg zu tun. „Ich kannte das Viertel vor meiner Suche nach einem Ladengeschäft nicht und natürlich war es wichtig zu schauen, wer hier so wohnt und unterwegs ist.“ Vorne raus in Richtung Hauptmarkt gibt es Büros, Läden, Banken. Im Rücken liegt ein großes Wohngebiet. Passt, dachte sich Denise. Grundsätzlich findet sie, dass in jeden Stadtteil ein Unverpacktladen gehört. Andere Städte seien da schon viel weiter als Nürnberg. Köln zum Beispiel. Fast wäre sie da mal hingezogen, doch die Liebe zu Nürnberg, in das sie 2015 gegen Ende des Studiums gezogen ist, hielt sie hier.

Das Studium beendet und die Berufsfrage irgendwie immer noch offen, arbeitete Denise ein paar Jahre in einer Agentur für Online-Marketing. „Das war nicht sozial, aber das Hilfreichste, was ich je gelernt habe.“ Denise weiß, wie Geschäftsideen via Social Media an Kundinnen und Kunden gebracht werden. Und das sei mega wertvoll für ihr eigenes Business.

Nahe am Burnout

In Hochphasen von Projekten hatte Denise keine freie Minute, der Stress setzte ihr zu. 2018 habe sie sich nahe am Burnout gefühlt. Sie überlegte mit ihrem Lebensgefährten Tobi, ob sie sich einen Van kaufen und reisen sollten. Und das Umzugsprojekt Richtung Rheinland ploppte auf.  „Damals kaufte ich schon seit einem Jahr selber möglichst unverpackt ein. Tobi und ich fuhren mit zwei Rädern und Rucksäcken quer durch die Stadt von unserer Wohnung in Wöhrd nach Gostenhof, um im Unverpacktladen Zero Hero unseren Wocheneinkauf zu erledigen.“ So viele Mühen auf sich zu nehmen, sei schon ambitioniert, meint Denise selbst. Genau deshalb müsse es Nahversorgung unverpackt ja auch in jedem Stadtteil geben.

Ihr eigenes Umdenken habe 2015 mit dem Umzug nach Nürnberg begonnen. In der Stadt sei es so viel leichter als auf dem Land, seinen Horizont zu erweitern. Sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. In der Vielfalt zu entdecken, wofür man steht. „Seit ich hier lebe, esse ich vegetarisch und seit einiger Zeit jetzt schon vegan. Veganismus zieht aber einen Rattenschwanz nach sich und ich begann, umfassender über meinen Lebenswandel nachzudenken.“ Die Konsequenz: Nicht zero waste, also null Abfall daheim im Mülleimer, aber möglichst verpackungsfrei einkaufen, um Müll auf ein Minimum zu reduzieren.

Denise war jedenfalls 2018 schon so begeistert von der Idee, einen eigenen Unverpacktladen zu eröffnen, dass sie auf die Weltreise im Bus verzichtete. „Ich hatte Angst, dass bei unserer Rückkehr noch ein Unverpacktladen in Nürnberg auf dem Markt ist.“  Sie wollte nicht zu spät kommen.

Und 2019 begann dann das, was die 27-Jährige als kurzen, schnellen, heftigen Dauer-Flow beschreibt. Zunächst dachte sie, „ich kann es doch wirklich probieren.“ Dann spann sie konkrete Pläne, stellte Anfragen für Finanzierungen, bat den Unverpackt Verband um Unterstützung, erkundigte sich nach Ladenlokalen. Jede Gründerin kennt dieses Gefühl, wenn sie zum ersten Mal mit ihren Ideen raus geht in die Welt. Und plötzlich kommen Antworten, nicht immer die richtigen, aber man spürt, dass die eigenen Pläne eine Wirkung haben und ernst genommen werden. Natürlich, warum auch nicht?

Denise und ihr Mann Tobi gründeten gemeinsam, jetzt führt die 27-Jährige den Laden unweit vom Nürnberger Hauptmarkt alleine weiter.

Und doch gab es da etwas in Denise, was sie bremste. „Ich traute mir damals nicht zu, den Laden allein zu eröffnen.“ Sie sei erst 25 gewesen, kannte niemanden, der gegründet hatte. Ihre Eltern rieten ihr, unbedingt Teilzeit in der Agentur weiterzuarbeiten, um sich finanziell abzusichern. Weil Tobi, der studierte Elektrotechniker, in seinem Job unzufrieden war, beschloss das Paar, die Selbständigkeit gemeinsam anzugehen. Und sie holten sich noch einen Dritten mit ins Boot, der mittlerweile aber nicht mehr dabei ist.

„Ich wünschte mir im Rückblick, ich hätte doch die Eier in der Hose gehabt, um es allein zu machen“, sagt Denise und lacht. Ihr Bauchgefühl habe ihr damals schon gesagt, dass sie es kann. Sie habe aber nicht darauf hören können.

„Beratungsangebote waren so verstreut“

Was auch an der Gründungslandschaft in Franken liege. Die nachhaltige Gründungsberatung Anders gründen gab es 2019 noch nicht. Weder die Wirtschaftsförderung der Stadt Nürnberg, noch die Berufskammern hätten ihr ein Netzwerk aus Gründerinnen vermitteln können. „Die Beratungsangebote waren außerdem alle so verstreut, es war mühsam, mir alles was ich brauchte zusammenzusuchen.“ Start-up-Labore seien alle sehr Technik orientiert, der Zollhof in Nürnberg habe sie eher abgeschreckt.

Es hätte ihr geholfen, wenn sie schon damals die Gründerinnen von hejhej-mats und Mit Ecken und Kanten, Sophie Zepnik und Jessica Könnecke, gekannt hätte, die ebenfalls schon bei Flamingo und Dosenbier zu Gast waren.

Finanziert mit Hilfe von Crowdfunding und einem Kredit der KfW-Bank, eröffnete der FreiVon-Unverpacktladen im September 2020. Vorher hatte Denise in Indien in nur vier Wochen eine Ausbildung zur Jivamukti-Yogalehrerin absolviert, einer an Veganismus und Gewaltlosigkeit orientierten Praxis. 300 Stunden Yoga in vier Wochen. War sie da körperlich nicht total fertig? „Im Gegenteil, ich hatte sehr viel Energie.“ 2020 würde sie gerne die Zeit finden, um einmal in der Woche zu unterrichten.

Wir führen unser Gespräch an einem der kleinen, runden Tische im FreiVon-Unverpacktladen, an dem man einen Kaffee trinken, lesen, am Laptop arbeiten kann. Die Ladenmöbel sind gebraucht oder aus Holz aus verantwortungsbewusster Forstwirtschaft. Denise strahlt, als sie davon erzählt, wohin sie die einjährige Reise durch die Selbständigkeit geführt hat.

„Man kann sich mehr zutrauen als man glaubt“

„Ich habe gelernt, dass man sich ruhig mehr zutrauen kann als man glaubt.“ Wie wichtig es ist, sich zu vernetzen. „Dieses Jahr hatten wir ein krasses Sommerloch, es tut gut, solche Erfahrungen mit anderen Gründerinnen zu teilen.“ Und als der Moment kam, in dem sie plötzlich genau wusste, dass sie ihren Laden auch alleine führe kann, „war das so geil, unfassbar.“ Tobi, mit dem sie seit elf Jahren zusammen und seit kurzem auch verheiratet ist, steigt aus und geht zurück in eine Festanstellung. „Er ist ein sehr empowernder Mann und hat mich darin bestärkt, dass ich es jetzt allein schaffe.“

Der Laden war ihr Herzensprojekt und Tobis Ausstieg von Anfang an geplant. Dass er im Kreditvertrag weiter drinsteht, haben sich die beiden nicht ausgesucht. Es gehe nicht anders, weil die Bank einer Überschreibung nur auf sie nicht zustimme. „Mein Yogalehrer ist Banker und sagte mir sofort, dass Kreditinstitute dabei niemals mitmachen. Ich bin eine Frau im gebährfähigen Alter, da ist den Banken das Risiko zu groß, dass ich in absehbarer Zeit nicht mehr arbeite und dann nicht mehr zahlen kann.“

Heute ist Denise klar: Natürlich kann ich mein Business alleine stemmen. Und Fehler gehören zum Gründen dazu. Sie machen stärker und klüger, was sonst?

Es wird Zeit, dass Gründerinnen die gleichen Möglichkeiten haben wie Gründer. Und dass sie ebenso selbstbewusst starten. „Ich hatte zu Beginn zu wenig Selbstvertrauen, das weiß ich heute. Aber ich bin eine Hardcore-Optimistin. Gibt es Probleme, arbeite ich so lange daran, bis es keine Optionen mehr gibt.“ Sie habe nie das Gefühl gehabt, dass sinnlos ist, was sie tut. „War es hart, dann habe ich immer das Größere dahinter gesehen.“ Sie möchte etwas für die Umwelt tun, ist glücklich mit ihren Kunden. „Und ich habe ein tolles Team.“

Denise bezieht ihre Ware in Mehrwegbehältern, oder wenn das nicht geht in Papiersäcken oder Gläsern. Getreide, Nüsse, Brot, Tee, Nudeln – der größte Teil der Lebensmittel ist bio-zertifiziert oder nachhaltig produziert. Am liebsten arbeitet sie mit regionalen Anbietern zusammen.

Wer bei Denise einkauft, bringt Gefäße zum Reinfüllen mit. Oder nimmt ein recyceltes Gurken- oder Marmeladenglas, von denen im Laden einige herumstehen. Es gibt auch Waschmittel zum Abfüllen und Kosmetikprodukte. Hier einzukaufen sorgt für Entschleunigung. „In einem Supermarkt ist es laut, voll, jedes Produkt schreit nach Aufmerksamkeit“, meint Denise. Sie plane einen Click und Collect-Shop, dann wird es noch relaxter. Wer möchte, bestellt im Internet und holt die fertig abgefüllten  Müslis, Öle oder Nüsse ab.

„Ich glaube ich habe alle Fehler mitgenommen, die man als Gründerin machen kann“, sagt Denise zum Schluss. Doch sie lacht. Denn jetzt hat sie da Gefühl, dass sie so leicht nichts mehr aus der Bahn werfen kann. Ihren Halbtagsjob in der Agentur hat sie Anfang des Jahres aufgegeben. Sie hat nicht mehr das Gefühl, länger einen doppelten Boden zu brauchen.

Denise Fischer empfiehlt: Anne Mäusbacher

Flamingo Kopf

Denise muss nicht lange überlegen: Sie rät mir dringend, Anne Mäusbacher zu interviewen. Seit 2015 kämpft die Nürnbergerin mit ihrem Beachcleaner-Projekt darum, dass weniger Plastikmüll in die Weltmeere gelangt. Sie geht mit ihrer Aufklärungskampagne in Schulen, hat ein Buch zum Thema geschrieben, das Denise auch in ihrem Unverpacktladen verkauft. Beachcleaner organisiert Müllsammel-Aktionen, an Stränden, aber auch im Nürnberger Marienbergpark. „Anne ist mitreißend und so engagiert, das finde ich toll. Du muss unbedingt mit ihr sprechen.“ Flamingo und Dosenbier würde sich freuen, wenn Anne Mäusbacher Teil seiner Community wird.