Laut Leipziger Autoritarismus Studie 2024 nimmt der Antifeminismus in Ostdeutschland stärker zu als im Westen. Der Historiker Heinrich August Winkler sagte vor kurzem in der Wochenzeitung Die Zeit: „Unter der Decke des offiziellen Antifaschismus der DDR haben autoritäre, deutschnationale Denkmuster in höherem Maße überlebt als in der pluralistischen Gesellschaft der Bundesrepublik.“
Kann das eine Erklärung sein für das Wahlergebnis in Thüringen? Im Osten haben patriarchale Strukturen bei allen Ehrungen für werktätige Mütter, trotz Kinderbetreuung rund um die Uhr und Straffreiheit bei Abtreibungen in den ersten drei Monaten gut versteckt bestens überlebt?
Auch darüber spreche ich mit der Landesvorsitzenden der Grünen in Thüringen, Ann-Sophie Bohm. Die Landtagswahl haben die Grünen krachend verloren, vorher waren sie Mitregierungspartei, jetzt sind sie gar nicht mehr drin im Landesparlament. Doch Ann-Sophie will weiterkämpfen, auch für Gleichstellung inmitten der AfD-Hochburg Thüringen. Sie bewirbt sich wieder als Landesvorsitzende.
Ann-Sophie Bohm, woran liegt es deiner Meinung nach, dass die Landtagswahl in Thüringen bestätigt hat, dass eine rückwärtsgewandte, frauenfeindliche Politik an Zuspruch gewinnt? Uns macht das fassungslos, aber bei vielen kommt ein Zurück zu alten Rollenbildern gut an.
Ann-Sophie Bohm: Der allgemeine Rechtsruck spiegelt sich auch in wachsenden antifeministischen Einstellungen. Das wird durch die Verbreitung rechter Narrativen mit toxischen Männlichkeitsvorstellungen zusätzlich gepusht – gerade in den sozialen Netzwerken sind diese sehr verbreitet. Auch bei der Wahl Trumps spielte Frauenfeindlichkeit ja eine große Rolle.
In der DDR haben Frauen selbstverständlich gearbeitet, sie mussten sich auch nicht wie die Frauen im Westen erkämpfen, dass sie ein eigenes Bankkonto haben konnten. Ich hätte vermutet, dass Ostfrauen eher nicht rechts wählen, sondern dem Antifeminismus den Stinkefinger zeigen. Aber von wegen: Von allen Parteien hat die AfD mit 27 Prozent den höchsten Frauenanteil unter denjenigen, die sie gewählt haben.
Die glühendste Feministin, die ich jemals kennengelernt habe, kam aus dem Westen. Viele ältere Ostfrauen sind durchaus stolz auf die Gleichstellung, die sie in der DDR erlebt haben. Aber weil sie sich die nicht erstreiten mussten, nahmen sie sie auch für selbstverständlich. Vielleicht haben Frauenrechte deshalb bei der Landtagswahl für viele keine große Rolle gespielt.
Zugleich haben in der DDR die Frauen zwar selbstverständlich gearbeitet, aber in der Politik waren sie bis auf Margot Honecker nicht vertreten. Sie konnten auch in den Betrieben nicht nach ganz oben aufsteigen. Care-Arbeit war auch im Osten vor allem Frauensache. Gleichstellung war also einerseits normaler, aber Mitsprache blieb für Frauen doch sehr eingeschränkt.
Rollenklischees konnten sich halten…
Hinzu kommt, dass Menschen in den traditionellen rechten Narrativen Sicherheit zu finden glauben.
Die Grünen hatten bei den Landtagswahlen in Thüringen den geringsten Anteil bei den jungen Wählenden zwischen 18 und 24 Jahren. Wie erklärst du das?
Es ist uns nicht gelungen, die Frauen und die Jungen zu gewinnen. Wir haben einige an Volt verloren und auch an die CDU. Das Thema innere Sicherheit war für viele Menschen sehr wichtig und da wird den Grünen wenig Kompetenz zugeschrieben. Wir haben versucht, bei unserem ur-grünen Thema Klimaschutz deutlich zu machen, was die Menschen im Osten ganz konkret im Alltag davon haben, aber das ist uns nicht in dem Ausmaß gelungen. Für viele Menschen spielte das Thema zudem bei der Wahl keine Rolle.
Eine Befragung nach der Wahl in Thüringen hat gezeigt, dass sich 75 Prozent als „Menschen 2. Klasse“ sehen.
Diese Haltung hatte einen massiven Einfluss auf das Wahlergebnis. Die AfD inszeniert sich als Ost-Versteher-Partei und das funktioniert, weil die anderen Parteien hier eine Leerstelle gelassen haben. Das sollte sich ändern. Ostdeutsche verdienen statistisch weniger, erben weniger, bekommen weniger Führungspositionen. Viele haben das Gefühl, dass ihr Land nach 1989 ausverkauft wurde. Sie sind bislang nicht die Grüne Zielgruppe, da müssen wir was tun.
71 Prozent sagten in der Wahlbefragung, dass man zu bestimmten Themen nicht mehr seine Meinung sagen könne, ohne ausgegrenzt zu werden.
Das ist schon eine heterogene Gruppe, und manche von den Menschen, die so denken, haben auch eine extreme Haltung, die mitunter menschenverachtende Züge trägt. Es ist aber wichtig, in einer Gesellschaft offen darüber zu sprechen, wann sich Sprache ändern sollte, weil Begriffe und die Weltanschauung dahinter veraltet sind. Etwa mit Blick auf das N-Wort. Menschen erwarten oft, dass sie sagen können, was sie wollen und ihnen keiner widerspricht. Aber das geht nicht. In der DDR gab es wenig Debattenkultur. Man hat nur selten die Erfahrung gemacht, dass es gar nicht schlimm ist, wenn einem jemand widerspricht. Demokratieskills kommen aber nicht von allein, da muss an den Schulen mehr getan werden. Lange hat man gedacht, dass sich der DDR-Frust verwächst, aber das Gegenteil ist der Fall.
Du möchtest als Landesvorsitzende wiedergewählt werden, was treibt dich an weiterzumachen?
Ich möchte mich verstärkt um soziale Themen kümmern. Gerechte Bezahlung, Armut, da wünsche ich mir, dass die Grünen stärker einsteigen. Gleichstellung ist auch wichtig, aber in der Bevölkerung hat das Thema an Wichtigkeit verloren. Auch bei den Frauen spüre ich leider nicht den großen Aufschrei.