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"FlaDo hat auch wieder eine Woche geschafft": Der neue Wochenrückblick

Ute Möller
03.11.2023
Lesezeit: 5 Min.

Der garantiert unfaire Wochenrückblick

Auftakt der neuen Rubrik „FlaDo hat auch wieder eine Woche geschafft“

Flamingo und Dosenbier blickt zurück auf eine Woche voller Sexismus, Klischees und social media-Schlammschlachten um den Titel „Miss Redlipstick mit den meisten Insta-Herzchen“.

Dies ist der Auftakt der neuen Rubrik „FlaDo hat auch wieder eine Woche geschafft“. Der Wochenrückblick von Flamingo und Dosenbier ist garantiert nicht ausgewogen, fair und versöhnlich. Die Zeiten sind hart, wir sind es auch. Die Büchse ploppt satt, aber der Flamingo hat null Bock auf Herbst. Völlig zu Recht findet er, dass sich keine düstere Tage und kalte Abend schönreden sollte. Und schöntrinken funktioniert auch nicht immer. Lieber raus mit allem, was raus muss.

Die Datev hat ein Problem und will nicht darüber reden

Das Unternehmen Datev nimmt in der Flamingo und Dosenbier-Geschichte einen besonderen Platz ein, denn eines meiner ersten Interviews führte ich mit Vorständin Julia Bangerth. Sie äußerte ihre Zweifel an der Wirksamkeit von Frauenförderung, weil das immer etwas habe von: Ach, die armen Frauen, von sich aus kommen die ja nicht so klar, da helfen wir ihnen halt ein bisschen. Was Frauen im Job wirklich weiterbringe, sei eine Unternehmenskultur, die klipp und klar auf Gleichstellung setze. Diversity sei ihr eine Herzensangelegenheit, sagte Bangerth.

Tatsächlich würde nur noch jemand, der mit seinem Berufsleben abgeschlossen hat, weil er oder sie im Lotto gewonnen hat oder auf einen Einöd-Bauernhof zieht, laut sagen, dass Frauen eh alle doof sind und ihnen deshalb auch kein Diversity-Gedönse auf die Sprünge helfen könne. Aber andere krasse Dinge von ähnlichem Kaliber sagen männliche Angestellte bei Datev, einem der größten Softwareunternehmen in Europa, trotz gendersensibler Unternehmenskultur ganz offen. So was wie: Du willst es doch auch. Nämlich Sex mit dem Gruppenleiter.

Gehören doch immer zwei dazu, Alter

Zumindest äußerten sich auf diese Weise Zeugen vor der 13. Strafkammer des Nürnberger Gerichts laut Berichterstattung der Nürnberger Nachrichten. Diese verurteilte einen 54-jährigen Datev-Gruppenleiter jetzt zu sieben Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, sexueller Nötigung und sexueller Belästigung.

Aber hey, es gehören doch immer zwei dazu. Auch wenn der Vorgesetze und eine deutlich jüngere Mitarbeiterin im Büro Sex haben. Das Opfer der sexuellen Gewalt bekam wohl genau diesen alte Männer-Mist zu hören, als sie sich Kollegen anvertraute. Heute tue ihnen das leid. Aber gegen den Chef wollten sie denn doch lieber nichts sagen, wenn er Kolleginnen verbal an die Wäsche ging.

Der Schlips sitzt, die Meinung auch

Eine Unternehmenskultur, die klare Kante zeigt gegen Diskriminierung, sollte genau diese unmöglich machen. Nun ist die Datev ein riesen Unternehmen, vielleicht kann man da nicht jeden erreichen. Vor allem nicht die Männer in der mittleren Führungsebene, von denen viele noch mit Schlips und einem unveränderlichen Verständnis davon, wer was zu sagen hat und wer nicht, groß geworden sind. Der 54-jährige Gruppenleiter hatte 2019 schon mal eine Kollegin belästigt. Er bekam eine Abmahnung, der Arbeitsvertrag seines Opfers wurde nicht verlängert. Schwamm drüber.

Schwamm drüber? Genau darüber hätte ich gerne mit jemandem bei Datev gesprochen. Doch die Pressstelle teilt mir mit: „Was Ihre Anfrage betrifft, würde ich Sie um Verständnis bitten, dass wir uns zu diesem Themenkomplex aktuell nicht äußern wollen. Dies gilt insbesondere zu diesem konkreten Fall – und vor dem Hintergrund, dass das entsprechende Urteil auch noch nicht rechtskräftig ist.“

Die Kultur in einem Unternehmen ist wie ein Fisch. Der stinkt vom Kopf. Wenn Führungskräfte kein faires Miteinander einfordern und stattdessen Raum lassen für Sexismus, wird es eng. Nein, ich habe kein Verständnis dafür, dass niemand von Datev über offensichtliche Schwachstellen in der Unternehmensführung sprechen will. Oder sich sogar dafür entschuldigt, dass so etwas passieren konnte.

Das wäre souverän. Und eine Chance, mit ehrlichem und tiefem Engagement darüber zu sprechen, wie wir sexuelle Übergriffe und Diskriminierung aus Unternehmen rauskriegen. Beim Thema Chancengleichheit wären wir damit übrigens noch nicht mal ansatzweise angekommen.

Gender-Greenwashing finde ich jedenfalls einfach nur peinlich.

Ich beame mich weg mit The Good Wife

Ansonsten habe ich in dieser Woche in den sozialen Kanälen bei meiner Suche nach „Miss Redlipstick“ eine Debatte darüber mitgelesen, ob es okay sein kann, sich mal aus der Gegenwart zu beamen, indem man Wohlfühl-Serien streamt. Das kann man sich angesichts von Faschos, die im bayerischen Landtag grölen, dass einer von ihnen, ein Burschenschaftler mit AfD-Parteibuch und Vorliebe für Nazi-Symbole, ein Opfer der Justiz sei, schon fragen. Sollten wir im Moment nicht unablässig und unabgelenkt hinsehen, wenn Rechtsradikale wüten, Hakenkreuze auf Nazi-Bauten wie die Zeppelintribüne in Nürnberg schmieren und jüdische Menschen bedrohen?

Tatsächlich äußerten sich in den Kommentaren auf Instagram Menschen, die in einer Gesellschaft, die man nur aushält, wenn man stundenlang The Good Wife guckt oder Friends oder The Crown, nicht leben wollen. Und die deshalb von jeder und jedem unablässige Zugewandtheit fordern. Aber sorry, da bin ich raus. Das schaffe ich nicht. Ich brauche zwischendurch die zigste Runde Borgen, um durchzuhalten.

„Miss Redlipstick“ küre ich übrigens im Stillen für mich jede Woche. Wer von Euch die Folge meines Podcasts „Be49“ mit Tina Langheinrich vom Nürnberg Digitalfestival gehört hat, weiß, was ich meine. Feminismus ist längst auch ein Geschäftsmodell. Mit dem lässt sich wunderbar die zigste Konferenz zum Thema Frauen in Führung, das nächste Buch darüber, wie ich mich als Frau im kapitalistischen Arbeitsmarkt bewähre, und ein weiteres Coaching für mehr Selbstwert bei der Selbstvermarktung verkaufen.

Und es schadet nichts, hübsch zu sein, wenn’s ums Verkaufen geht. Der rote Lippenstift ist für mich zum Symbol des Waren-Feminismus geworden, der solidarisch tut, es aber selten ist.

Die Nachricht, die gut ist oder es zumindest werden kann

Zum Schluss und weil’s einfach klug ist für die Leserinnen-Bindung, gibt‘s noch eine gute Nachricht. Ab April 2024 soll die vertrauliche Spurensicherung nach einer Vergewaltigung von den Krankenkassen in Bayern gezahlt werden. Krankenkassen und Gesundheitsministerium haben eineinhalb Jahre an dem Vertragswerk gearbeitet.

Bislang geht zum Beispiel in Nürnberg das städtische Klinikum in Vorleistung und bezahlt die vertrauliche Sicherung der Spuren nach sexueller Gewalt selber. Ab 2024 können Krankenhäuser und niedergelassene Ärzt*innen mit den Krankenkassen einen Vertrag abschließen. Außerdem ist festgelegt, wie Untersuchung und vertrauliche Spurensicherung ablaufen müssen.

Laut Frauenberatung Nürnberg wird es spannend sein zu beobachten, ob eine flächendeckende Versorgung zustande kommt. Denn anbieten müssen die vertrauliche und aufwendige Spurensicherung Praxen und Kliniken weiterhin nicht.

Damit verabschiedet sich „FlaDo hat auch wieder eine Woche geschafft“ ins wohlverdiente Wochenende. Knacken wir zahlreiche Bierbüchsen und seien wir laut wie Flamingos, die sich ihres Lebens freuen. Die kommende Woche wird wieder hart genug.