Politik als oft Stillstand, nichts geht mehr. Bestes Beispiel dafür ist die aktuelle Debatte, ob Abtreibung legalisiert werden soll. Die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen ist längst fällig, doch die Politik tut was? Genau – den Stillstand üben. Da geht doch mehr.
SPD, Grüne und FDP schrieben sich 2021 in ihren Koalitionsvertrag, dass eine Expertenkommission prüfen soll, ob Abtreibungen auch außerhalb des Strafrechts geregelt werden können. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) sprach sich damals öffentlich dafür aus. 2023 beauftragte die Regierungskoalition schließlich 15 Expertinnen und drei Experten aus Medizin, Recht und Ethik.
Heraus kam eine Empfehlung, die jetzt in Berlin vorgestellt wurde. Sie weicht – kaum überraschend – von den bestehenden gesetzlichen Regelungen in Paragraf 218 und 218a des Strafgesetzbuches ab und empfiehlt, dass Frauen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen legal abtreiben können. Ohne Wenn und Aber. Bis zur 22. Schwangerschaftswoche, wenn das Ungeborene in der Regel selbständig lebensfähig ist, sollte das Recht der Frau auf Selbstbestimmung im Vordergrund stehen, so die Kommission.
Abtreibung legalisieren wollen Frauen seit den 70er Jahren
Jetzt muss die Politik, ebenfalls wenig überraschend, Stellung beziehen zu der von ihr angeforderten Empfehlung der Fachkommission. Und ist trotz aller Erwartbarkeit plötzlich überrumpelt von der Tatsache, dass das Thema Abtreibung kontrovers gesehen wird? Wohl kaum.
Ist die Debatte doch viele Jahrzehnte alt. Ein Meilenstein war im Juni 1971 die Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben“. 374 Frauen erklärten sich im Sinne des Strafrechts für „schuldig“ und riskierten Anzeigen. Es folgten harte öffentlich Kämpfe, viele Frauen forderten das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
Tatsächlich bekam die Fristenlösung – ein straffreier Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten – eine knappe Mehrheit der sozial-liberalen Koalition. Doch 1975 kippte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz auf Antrag der Unionsparteien wieder. Am 21. Juni 1976 stimmte der Bundestag dann für einen Kompromiss: Eine Abtreibung bleibt in jedem Stadium der Schwangerschaft gesetzeswidrig. Ausgenommen sind Fälle mit medizinischer, sozialer oder ethischer Indikation.
In der DDR war bereits 1972 die Fristenlösung eingeführt worden, doch diese wurde mit der Wiedervereinigung hinfällig. Ostdeutsche Feministinnen wollten dies nicht hinnehmen und kämpften in den nächsten Monaten um den Erhalt der Straffreiheit. Der Bundestag stimmte im Juni 1991 einer straffreien Fristenlösung inklusive Beratungspflicht zu.
Und wieder klagte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dieses Mal zusammen mit dem Freistaat Bayern. Mit der Folge, dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz im Mai 1993 kippte. Die Begründung: Das Grundgesetz verpflichte zum Schutz des ungeborenen Lebens.
CDU rückt nicht ab von der Pflichtberatung vor Abtreibungen
1995 kam es zu einem erneuten Kompromiss, der bis heute gilt: Laut Paragraf 218 Strafgesetzbuch ist eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft rechtswidrig, bleibt nach einer Pflichtberatung gemäß Paragraf 218a aber straffrei.
Auch in der aktuellen Diskussion fordern CDU und CSU, dass die „schwerwiegende Frage“ der Abtreibung im Strafgesetzbuch geregelt bleibt. Dorothee Bär, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, fügt hinzu: „Die Ampel bohrt den längst befriedeten Kulturkampf ohne Not wieder auf und riskiert damit eine gefährliche Spaltung.“
Tatsächlich ist diese von den Konservativen beschworene „gefährliche Spaltung“ weniger eine der Gesellschaft, als der politischen Lager. Denn eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesfrauenministeriums, aus der die taz zitiert, ergab, dass mehr als 80 Prozent der deutschen Bevölkerung es falsch findet, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung rechtswidrig ist. Rund 75 Prozent erklären, dass Abbrüche künftig eher nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden sollten.
Frankreich schreibt Recht auf Abtreibung in die Verfassung
Die Ablehnung der Strafbarkeit von Abtreibungen zieht sich dabei durch die Wähler*innen aller Parteien: Bei Unionsanhänger*innen sagen das 77,5 Prozent, bei der SPD 87,5 Prozent und bei den Grünen 92,4 Prozent. Fast 80 Prozent der Befragten finden es zudem richtig, dass das Recht zum Schwangerschaftsabbruch in Frankreich in die Verfassung aufgenommen wurde.
Gespalten sind also vor allem die politischen Parteien. Geeint sind sie in der Angst, vor den anstehenden Wahlen durch klare Positionierung zum Thema Abtreibung Stimmen zu verlieren. Die Union geht in ihren gewohnten Modus und meint, ungeborenes Leben gegen rücksichtslose werdende Mütter verteidigen zu müssen. Und die Regierungskoalition schaltet den Weichspülgang ein. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) warnen vor übereilten Entscheidungen und raten zum Nachdenken. Floskeln.
Länder wie Frankreich, Irland und Argentinien haben die Abtreibungsregelungen in den letzten Jahren zugunsten der Frauen liberalisiert. Dreitägige Bedenkzeit und dass die Frauen die Kosten des Abbruchs in den meisten Fällen selber zahlen müssen, lassen die deutsche Rechtsprechung im westeuropäischen Vergleich überholt aussehen.
Das hat auch Auswirkungen auf die medizinische Versorgungslage für Frauen, wie jetzt Daphne Hahn deutlich machte. Die Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung an der Hochschule Fulda verantwortet die soeben veröffentlichte Elsa-Studie mit. In dieser wird deutlich, dass es deutschlandweit zu wenig Praxen und Kliniken gibt, die Abtreibungen durchführen. In 85 von 400 untersuchten Landkreisen müssen ungewollt Schwangere mehr als 40 Minuten fahren, um eine Einrichtung zu erreichen. In Bayern ist die Versorgungslage besonders schlecht. Auch in Nünberg ist es schwierig, Adressen von Ärztinnen und Ärzten zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Schlechte Versorgungslage in Deutschland
Laut Daphne Hahn haben 65 Prozent der befragten Ärzt*innen, die Abtreibungen vornehmen, die Erfahrung gemacht, dass sie dafür beschimpft oder sogar bedroht werden. Würde der Paragraf 218 gestrichen, könne dies zu einer gesellschaftlichen Haltung führen, die Abbrüche als medizinische Grundversorgung anerkennt und Ärtzt*innen nicht länger stigmatisiert, sagt Hahn. Sie erkennt in der bisherigen strafrechtlichen Regelung von Abtreibungen einen Grund dafür, dass die Versorgungslage in Deutschland den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Standards hinterherhinkt.
Demokraten müssen klare Haltung zeigen
Was also tun? Prominente Frauen fordern gerade wieder wie vor über 50 Jahren im Magazin Stern, die historische Chance für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu nutzen. Doch die Politik windet sich, auch aus Angst davor, dass die extreme Rechte das Thema vor den Wahlen in Europa und Ostdeutschland für sich nutzen will. Genau das ist aber nur mit einer klaren Haltung der demokratischen Parteien für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu verhindern. Klare Kante gegen rechts, die viel beschworene Brandmauer, sie steht nur, wenn Demokratinnen und Demokraten mutig einstehen für ihre Überzeugungen. Solange sie dies nicht tun, muss der Druck aus der Zivilgesellschaft stark sein. Dazu kann jede*r beitragen. So lästig und ärgerlich das auch sein mag.