Foto: Gleichstellungsstelle Stadt Nürnberg

Postkarten informieren , welche Kliniken in Mittelfranken vertrauliche Spurensicherungen anbieten.

Ute Möller
23.11.2022
Lesezeit: 4 Min.

Vertrauliche Spurensicherung: Kliniken zahlen drauf

Seit 2020 gilt bundesweit: Krankenkassen sollen aufkommen. Aber in Bayern gibt es noch keinen Vertrag zwischen Land und Kostenträgern

Opfer von sexueller Gewalt haben ein Recht auf eine kostenlose vertrauliche Spurensicherung. Ohne Polizei, in einem geschützten Raum, mit ausreichend Zeit zu überlegen, ob sie Anzeige gegen den Täter erstatten möchten, der oft zur Familie oder zum Bekanntenkreis gehört. Doch der Daten-Check zeigt: Bei der Umsetzung hakt es in Bayern gewaltig.

1.Februar 2018:

In Deutschland gilt jetzt die Istanbul-Konvention. Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ regelt auch: Opfer sexueller Übergriffe haben das Recht auf medizinische und gerichtsmedizinische Untersuchungen. Und auf eine vertrauliche und kostenlose Spurensicherung. In jedem Bundesland, auch in Bayern.

1. März 2020:

Das „Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention“ tritt in Kraft. Darin versteckt ist etwas, dass wirklich gar nichts mit Kinderkrankheiten zu tun hat: Die vertrauliche Spurensicherung bei Opfern sexualisierter Gewalt wird bundesweit zur Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Absatz 1 Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch. Die Krankenkassen sollen zahlen für: Die Sicherung von Sperma und anderen Spuren am Opfer, Laborleistungen, beispielsweise Untersuchungen auf K.O.-Tropfen und Alkohol, Dokumentation, Transport und Lagerung der Beweismittel.

Seit dem 1. März 2020:

Kliniken, Beratungsstellen, die Gleichstellungsbeauftragten der bayerischen Städte warten darauf, dass die Krankenkassen und das Land Bayern Verträge abschließen über Art und Umfang der Leistungen, auf das Abrechnungsverfahren und die Vergütung für die vertrauliche Spurensicherung. Doch es hakt. „Wir haben damals im zuständigen bayerischen Gesundheitsministerium nachgefragt“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Nürnberg, Hedwig Schouten. „Wir erhielten die Auskunft, dass es wegen der akuten Coronapandemie keine personellen Ressourcen gebe.“ Seitdem warten Städte, Frauenhäuser, Beratungsstellen und Kliniken immer noch. „Wir hoffen, dass die Gespräche zwischen Ministerium und Krankenkassen bald abgeschlossen sind“, sagt Schouten, die wegen der ungeregelten Situation die Vernetzung von Beratungsstellen und Kliniken forcierte, um eine mittelfränkische Lösung zu finden.  

1. August 2021:

Das Klinikum Nürnberg beginnt als erstes Krankenhaus in Mittelfranken damit, bei Opfern sexueller Übergriffe kostenlos und vertraulich die Spuren zu sichern. Bis zum 31.Juli 2021 konnten Frauen und Jugendliche (Männer sind wesentlich seltener Opfer sexueller Übergriffe) nur in Begleitung der Polizei zur Spurensicherung ins Klinikum kommen. Die Kosten trug der Staat.

Mit der neuen Gesetzeslage und ohne Vertrag mit den Krankenkassen waren die Finanzen völlig unklar.

„Wir wollten aber nicht länger warten, bis Freistaat und Kassen eine Regelung finden und gingen finanziell in Vorleistung“, sagt Roswitha Weidenhammer, Gleichstellungsbeauftragte des Klinikums Nürnberg.

Das Universitätsklinikum Erlangen, das Klinikum Ansbach und das Klinikum Fürth zogen nach. Auch dort sind die personellen Kapazitäten eng, doch man ist bereit, die zusätzliche Arbeit zu stemmen. „Wir müssen jetzt selber entscheiden, welche Spuren gesichert werden müssen, die Anamnese ist aufwendig, wir müssen versuchen, den Tathergang zu verstehen“, sagt Dr. Susanne Ebner, Frauenärztin am Klinikum Fürth.

Jede Klinik verwendet eigene Dokumentationsbögen, muss prüfen, wo die Spuren wie lange gelagert werden. Bei Erwachsenen sind das am Klinikum Nürnberg zwei Jahre. Die Kliniken müssen eine psychologische und psychosoziale Betreuung organisieren und Dolmetscher bei Bedarf. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Materialen, die früher die Polizeibeamten mit ins Krankenhaus brachten, wie  zum Beispiel forensische Tupfer, müssen gekauft werden.  

Dass Bayern den Kliniken bisher die Kosten nicht, wie im Bundegesetz gefordert, ersetze, sei ein Skandal, sagt Steffi Walter, Mitarbeiterin der Beratungsstelle des Frauenhauses Nürnberg.

Dr. Martin Koch, Chefarzt der Frauenklinik Ansbach, berichtet, dass zum Glück die Polizei vor Ort unkompliziert Untersuchungskits und Dokumentationsbögen zur Verfügung stelle. „Wir führen jeden Monat eine vertrauliche Spurensicherung nach sexualisierter Gewalt durch“, sagt Koch. Das sei viel, der Bedarf also gegeben, die Finanzierung ein drängendes Problem.

Grundsätzlich ist die Dunkelziffer bei sexualisierter Gewalt hoch, das bestätigt auch die Polizei. Offiziell verzeichnete sie 2021 in Mittelfranken 72 000 Straftaten, darunter 1728 Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Andere Bundesländer seien bei der vertraulichen Spurensicherung längst weiter als Bayern, sagt Hedwig Schouten. Tübingen, Lübeck, Berlin … es ließen sich viele Städte aufzählen, in denen Gewaltschutzambulanzen kostenlos helfen.

25. November 2022:

Es ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, der mittelfränkische Arbeitskreis zur vertraulichen Spurensicherung startet eine Postkartenaktion in Kneipen in Nürnberg, Fürth, Erlangen und Ansbach. Um bekannt zu machen, dass Opfer sexualisierter Gewalt dort Hilfe in den Kliniken finden. Infos gibt es auch hier

25. November 2022: Nachtrag

Eine Anlaufstelle mit vertraulicher Spurensicherung für Opfer häuslicher Gewalt gibt es bislang in Mittelfranken gar nicht. „Wir helfen auch diesen, wo sollten wir auch die Grenze ziehen zwischen sexueller und häuslicher Gewalt“, sagt Susanne Ebner. Aber ein regelrechtes Angebot für Opfer häuslicher Gewalt – die gibt es nicht.

Nachtrag: Antwort des Frauen gegen Gewalt e.v. zum aktuellen Stand der vertraulichen Spurensicherung in Bayern

Am 24. November antwortet der Dachverband von Fachberatungsstellen bundesweit auf die Anfrage von Flamingo und Dosenbier zur Umsetzung der vertraulichen Spurensicherung:

„Wir versuchen den Überblick zu behalten, wie der Stand der Umsetzung der vertraulichen Spurensicherung in den einzelnen Bundesländern ist. Gar nicht so leicht, aber Fakt ist, in vielen Bundesländern ist die Regelung im Sozialgesetzbuch V noch nicht umgesetzt, fortgeschritten sind die Verhandlungen in NRW, aber auch da noch nicht offiziell abgeschlossen. Demnach ist Bayern keineswegs das einzige Bundesland, in dem das Gesetz noch nicht umgesetzt ist.

Der Stand in Bayern ist meines Wissens der folgende:

Federführung hat das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Die zukünftigen Leistungserbringer sollen von der bayerischen Landesärztekammer geschult werden. Es soll einen einheitlichen Dokumentationsbogen geben. Was genau alles laut Gesetz finanziert werden soll, ist noch nicht geklärt. Bei der Höhe der Pauschale für die Leistungen werden sich die Bundesländer aneinander orientieren. Das heißt die Verhandlungen laufen noch.“