Es gibt ja so Schlüsselerlebnis, die bleiben hängen. Ich hatte so eines in Wasserburg am Inn. Dort gibt es einen wirklich ganz entzückenden Platz in der bemerkenswerten historischen Altstadt. Auf dem mit Kopfsteinen gepflasterten Rondel stehen Bistrotischen, an denen man aus den umliegenden Cafés leckere Gerichte serviert bekommt. Schirme und Grün spenden Schatten, fast südländisch mutet das an. Und das will was heißen.
Ein Platz zum Wohlfühlen also – wenn da nicht die Autos wären. Die fuhren früher auch dort, wo jetzt die Tische stehen. In vielen Orten durchschneiden ja Straßen das öffentliche Leben und teilen es fein säuberlich links und rechts neben dem Durchgangsverkehr auf. Immerhin das haben sie in Wasserburg am Inn geändert. Doch dafür umspülen jetzt die Autos den Platz wie Wasser eine Insel. Blechkarossen umkreisen ihn und ja, ich muss es sagen, das mutet absurd an und keineswegs zeitgemäß.
Ich sprach dann noch mit einem, der einen privaten Zusammenschluss von Menschen mitorganisiert, die sich gegenseitig ihre Autos leihen. Sharingdienste seien ansonsten noch nicht so angekommen in Wasserburg am Inn, erzählt er. Und wir schütteln zusammen etwas ratlos den Kopf über Stadtplanerinnen und Stadtplaner, die sich Ortszentren ohne Autoverkehr nicht vorstellen können und deshalb Plätze planen, auf denen Menschen zwischen Autos ihren Kuchen essen müssen.
Warenhaus im Kraftwerk
Unsere Stadtzentren befinden sich im Umbruch. Corona bescherte vielen von uns Homeoffice und dem Onlinehandel Zuwächse. Selbst große Filialisten verlassen zunehmend die Filetlagen in den Städten, große Betonbrocken in den Zentren gammeln vor sich hin, jetzt müssen wir überlegen, wie eine sinnvolle Nutzung aussehen kann.
Findige Orte wie Lünen und Eschweiler bauten leerstehende Warenhäuser nicht nur zu kleinen Läden, sondern auch zu Wohnungen um. Wer nach inspirierenden Beispielen sucht, wird in Veröffentlichungen der Bundesstiftung Baukultur fündig. Neue Wohnungen müssen also nicht unbedingt auf der grünen Wiese gebaut oder in die letzten Baulücken gequetscht werden. Andersherum können Supermärkte wie in Mühlheim an der Ruhr in früheren Straßenbahndepots eröffnen oder ein Möbelhaus kann wie in München in ein früheres Kraftwerk einziehen.
Wohnen in der Stadt verändert Mobilität
Was hat das mit der Verkehrswende zu tun? Jede Menge. Wenn wir uns von der Idee verabschieden, dass neuer Wohnraum außerhalb der Zentren entstehen muss – wenn wir Innenstädte mit neuen Augen sehen und freie Flächen auch zum Wohnen nutzen – wenn wir Stadtzentren Aufenthaltsqualität geben mit Bänken, Grün und Platz zum Verweilen, ohne dass man in einem Café für den Platz im Freien mit jeder Tasse Kaffee bezahlen muss – dann schaffen wir neue Bedingungen für Mobilität.
Denn wer in der Stadt wohnt, braucht sein Auto viel weniger und schafft es vielleicht sogar ab. Das kommt dem Wunsch vieler Menschen entgegen. Eine Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung zeigte: 91 Prozent der Menschen stimmen der Aussage zu, dass ihre Stadt lebenswerter wird, wenn sie ihre Wege unabhängig vom eigenen Auto zu Fuß, mit dem Rad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen können. Dennoch legen sie 57 Prozent ihrer Wege mit dem Auto zurück. Das hängt damit zusammen, dass wir seit den 1930er Jahren Raum so planen, dass wir Arbeit und Wohnen räumlich voneinander trennen. Und das Pendeln unumgänglich wurde.
Fordert von den Kommunen neue Ideen!
Stadt- und Verkehrsplanung gehören zusammen. Innovative Ideen der Umnutzung von Leerständen beleben die Ortszentren neu. Mit der Chance, dass die Wege zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit kürzer werden. Es gibt dafür auch in Deutschland schon gute Beispiele – fordern wir auch in unseren Kommunen ein, dass sie planerisch neu gedacht werden!