Antifeminismus als Bindeglied zwischen Rechtsextremen und der konservativen Mitte der Gesellschaft? Gibt es ein einheitliches Frauenbild bei der AfD und was können wir tun, um Frauenrechte zu schützen? Ich fragte dazu PD Dr. Thorsten Winkelmann vom Institut für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er beschäftigt sich mit politischem Extremismus und überraschte mich zunächst mit der Aussage, dass Frauenhass bei Rechtsextremen eine zu vernachlässigende Rolle spiele.
Herr Dr. Winkelmann, Frauen, die sich öffentlich für Gleichstellung und eine diverse Gesellschaft aussprechen, erhalten in sozialen Medien Hasskommentare, die oft aus der rechten Ecke kommen. Rechtsradikale Attentäter äußern sich immer wieder frauenfeindlich, so wie der Täter, der 2019 in Halle zwei Menschen in der Nähe der Synagoge tötete. Wie hängen Antifeminismus und die extreme Rechte zusammen?
Thorsten Winkelmann: Im Extremismus spielt Frauenhass eine zu vernachlässigende Rolle, ich kann im Rechtsextremismus keinen genuinen Hass auf Frauen feststellen. Frauen übernehmen im Rechtsextremismus eher unterschiedliche Funktionen. Die Autonomen Nationalisten, eine besonders gewaltbereite und im subkulturellen Bereich zu verortende rechtsextreme Gruppierung, vertreten die Position, dass Nationalismus auch Sache von Mädchen und Frauen sei. Der Mädelring Thüringen veröffentlichte zu Beginn der 2000er-Jahre ein Manifest mit dem Satz: „Deutsche Frauen wehrt euch – gegen das Patriarchat und politische Unmündigkeit“.
Das war aber sicher nicht im Sinne eines umfassenden Rechts auf Gleichstellung für alle zu verstehen, oder?
Nein, im Rechtsextremismus gibt es Liberalität nur in der Volksgemeinschaft, die nationalistisch und rassistisch definiert wird.
Das ist also die eine Seite – auch Frauen entscheiden sich dafür, rechtsextrem zu sein. Und das trotz des rückwärtsgewandten Frauenbilds.
Wir gehen davon aus, dass der Frauenanteil der NPD bei 20 Prozent lag und in subkulturellen Kameradschaften zwischen zehn und 30 Prozent beträgt. Rechtsextremistische Einstellungen finden sich grundsätzlich bei Frauen genauso häufig wie bei Männern. Frauen entscheiden sich aber nicht für den Rechtsextremismus, weil der sagt: Alle Frauen zurück an den Herd. Der Rechtsextremismus ist eine Überlegenheitsstrategie. Man kann sich überlegen fühlen, komplexe Zusammenhänge werden vereinfacht, es gibt ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Aus Wahlanalysen ist übrigens bekannt, dass das Frauenbild der Parteien bei den Wählenden kaum eine Rolle spielt.
Aber das Frauenbild der Rechten ist doch extrem veraltet, nach dem Motto: Mutti in die Küche und Vati raus ins Leben?
Natürlich vertritt die AfD ein Familienbild aus den 50er Jahren. Nach dem Motto „Vorwärts in die Vergangenheit“ verstehen sie Geschlecht rein biologisch. Es gibt nur Männer und Frauen und die einzig gesunde, sinnvolle Beziehung ist die heterosexuelle. Queerness wird abgelehnt, genauso wie Gender-Studies an den Hochschulen und das Gendern in der Sprache. Aber auch hier erkennen wir Auflösungstendenzen. Die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel ist lesbisch, lebt mit einer Ausländerin zusammen und hat zwei Kinder adoptiert. Jörg Heider in Österreich war schwul. Aber mehrheitlich ist der Rechtsextremismus ganz klar homophob.
Und antifeministisch.
Feminismus gibt es ja in vielen Formen, was ihn auch unübersichtlich macht. Aber grundsätzlich geht es dem Feminismus darum, Machtungleichheiten deutlich herauszustellen. Und damit ist er für Rechtsextreme ganz klar ein Gegner. Wer rechtsextrem denkt, vertritt eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Der beurteilt Menschen nach rassischen und nationalistischen Kriterien und spricht ihnen unterschiedliche Rechte zu. Außerdem ist der Feminismus für die Rechtsextremen eine Gefahr für traditionelle Familienarrangements und Geschlechterdefinitionen. Also werden Feminist*innen abgewertet als nicht zurechnungsfähig oder als Frauen, die keine Männer abkriegen. Man muss Antifeminismus von rechts sehr ernst nehmen und wir müssen in der Forschung unsere Untersuchungsinstrumentarien ausbauen. Denn der rechte Antifeminismus ist sehr verklausuliert.
Und er hängt sich an den Antifeminismus an, wie er in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet ist. Man denke nur an die Debatten nach der Silvesternacht 2015 in Köln, als viele Menschen sexuelle Übergriffe grundsätzlich vor allem als Taten migrantischer Männer bezeichneten.
Der zeitgenössische Rechtsextremismus ist ja eine „dünne“ Ideologie, das heißt vormals gefestigte ideologische Positionen werden vermeintlich aufgegeben, die Rhetorik wird abgeschwächt mit dem Ziel, breitere Wählergruppen anzusprechen. 2015 dockte er sich an die allgemeine, ausländerfeindliche Debatte an und war dann als rechtsextrem nicht mehr zu erkennen. Früher trugen Neonazis Bomberjacken, heute kommen sie im bürgerlichen Gewand daher. Vielleicht ist das aber eine viel größere Gefahr.
Wie deutlich machen Rechtsextreme ihr rückwärtsgewandtes Frauenbild?
Es ist nicht so, dass sie ein schlüssiges Konzept hätten. Sie gehen mit der Zeit und wollen möglichst breitenwirksam agieren. Wenn sie nur die klassische Mutterrolle propagieren würden, erreichten sie zum Beispiel die Jüngeren nicht. Sie benutzen deshalb eine jugendgerechte Sprache und die AfD verspricht auch Frauen, dass sie in der Partei Karriere machen können. Damit wollen sie vom Image als reaktionärer Männerring wegkommen.
Im Bundestag hat die AfD aber mit 11,5 Prozent den geringsten Frauenanteil aller Parteien.
Es geht ja auch nicht um tatsächlich Chancengleichheit, sondern darum, als rechtsextreme Partei in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Dafür muss man verbal abrüsten und behaupten, für Frauen einzutreten. Die AfD prangert Genitalverstümmelung oder Vielehe an und behauptet, die Frauen schützen zu wollen. Stattdessen nutzt sie aber diese Themen, um Vorurteile gegen Migranten und Muslime zu schüren, um damit Stimmen zu gewinnen.
Was passiert, wenn Rechtsextreme Wahlen gewinnen?
In Ungarn hat Victor Orban die Gender-Lehrstühle abgewickelt. Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen hat in ihren acht Regierungsjahren die Abtreibungsgesetze verschärft. Putin stärkt in Russland das traditionelle Rollenmodell. In Italien hat Giorgia Meloni von den Postfaschisten bisher in der Familienpolitik wenig rückgängig gemacht. Sie grenzt sich vielmehr ab gegenüber dem traditionell als faschistisch erkannten Familienbild, weil es ihr nicht die Unterstützung der Frauen bringt. So gesehen gibt es keine einheitliche Strategie, vielmehr würde ich den Chauvinismus als eine Grundkonstante rechter Ideologie ansehen, die gegen das vermeintlich Moderne antritt. Ebenso wie gegen „politische Korrektheit“. Genau kalkulierte Tabubrüche in den sozialen Medien bringen den Rechtsextremen zudem viele Klicks.
In Polen haben vor allem Frauen vor den Wahlen im Herbst 2023 gegen die rechtsextreme PiS protestiert, die ja dann auch als Regierungspartei abgewählt wurde. Kann der Kampf der polnischen Frauen ein Vorbild für Deutschland sein?
Analysen nach der Wahl in Polen haben gezeigt, dass über 30 Prozent der Polinnen die PiS gewählt haben. Vor allem auf dem Land nahm die Zustimmung zu den Rechtsextremen auch bei Frauen zu, insbesondere bei den Älteren über 60. Demonstriert haben vor der Wahl viele Frauen in Warschau und Breslau gegen die Abtreibungspläne der PiS. Diese Proteste blieben in den Städten und in der intellektuellen Bubble. Sie erreichten die Menschen in den ländlichen Gegenden nicht, auch weil die Staatsmedien nicht über sie berichteten. Mobilisiert wurden also nur diejenigen, die ohnehin die PiS nicht wählen wollten. Hier gibt es Parallelen zu den aktuellen Demonstrationen für Demokratie in Deutschland. Es ist fragliche, ob sie diejenigen überzeugen, die eine rechte Haltung haben und AfD wählen.
Was können wir tun, um Rechtsextremismus und Antifeminismus wirksam zu bekämpfen?
Politische Bildung ist sehr wichtig. Sie kann die Vorteile von Heterogenität aufzeigen, den Wandel der Geschlechterverhältnisse deutlich machen und die Nachteile überholter Modelle. Sie kann jungen Menschen vermitteln: Das Recht aller Menschen auf gleiche Beteiligung an unserer Gesellschaft steht im Grundgesetz. Darüber kann und darf sich niemand hinwegsetzen, dafür müssen wir alle zusammen eintreten.