Madlen Hoffmann kam über den Umweg über den Leistungssport zur Elektrotechnik und zur E-Mobilität. Ehrgeiz habe für sie immer eine große Rolle gespielt, erzählt mir die 32-Jährige, als wir uns am Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen kennenlernen. Dort werden technische Innovationen für die E-Mobilitätsbranche entwickelt und Madlens Doktorvater am Lehrstuhl für Leistungselektronik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Martin März, ist dort Hauptabteilungsleiter.
Wir essen zu dritt in der Kantine – ich muss als Kind des Ruhrpotts natürlich die Currywurst probieren – und um uns herum sitzen fast ausschließlich Männer. Kein Wunder, in Deutschland sind nur zehn Prozent der Studierenden in der Elektrotechnik weiblich. Der geringe Frauenanteil setzt sich natürlich in der Forschung und in den Unternehmen fort. Ich möchte von Madlen wissen, wie ihr Weg in die E-Mobilität verlaufen ist, ob es sie stört, eine der wenigen Frauen in der Branche zu sein. Wir verabreden uns zum Interview.
Noch im Fraunhofer Institut hatte sie mir erzählt, dass sie bis zu ihrem 20. Lebensjahr Tennis als Leistungssport betrieben hat. Ab der 9. Klasse verbrachte Madlen die Hälfte des Monats zum Training in Karlsruhe, den Schulstoff ließ sie sich von einer Freundin faxen. Später wohnte sie dann komplett in Karlsruhe und kam nur alle sechs bis acht Wochen nach Hause. „Ich habe früh gelernt, sehr selbständig zu lernen.“
Ehrgeiz und Fleiß erleichtern das Elektrotechnikstudium
Ehrgeizig und diszipliniert sei sie ohnehin immer gewesen, „eine Zwei in Englisch hat mir schon nicht gereicht.“ Oberstufe und Abitur erledigte sie neben dem Leistungssport. Der Lohn für die Strapazen: In der Altersgruppe U18 war sie die Zweitbeste in Deutschland.
Das ringt mir einigen Respekt ab. So viel Disziplin hätte ich nie gehabt. So viel Leidenschaft für etwas wohl auch nicht. Leicht sei das aber nicht gewesen, erzählt mir Madlen, als wir uns via Zoom zum Gespräch treffen.
Der mentale Druck sei irre hoch gewesen. Oft sei sie kurz vor Turnieren krank geworden, die Angst zu versagen habe ihr zugesetzt. Übrigens später auch an der Universität, wenn sie mit Fieber in Prüfungen ging. „Ich habe mir den Druck selber gemacht, ich wollte Sponsoren oder meinen Trainer nicht enttäuschen. Auch im Studium habe ich mich an schlechte Leistungen lange erinnert und alles, was gut lief, schnell abgehakt. Ich habe mich immer mit den Besten verglichen. An mich selber zu glauben, ruhig zu bleiben, das fiel mir nicht leicht. Es dauert lange, bis man Denkprozesse umstellt, bis man wirklich glaubt: Ich bin gut.“
Geboren wurde sie im „Revolutionsjahr“ 1989 im thüringischen Altenburg. Ihr Vater war Elektromeister mit eigener Firma, ihre Mutter arbeitete mit. Im Büro ein Stockwerk unter der Wohnung der Familie, zu der noch drei Schwestern von Madlen gehörten, und auf den Baustellen. Da war sie oft die einzige Frau und machte den Arbeitern klare Ansagen.
Die Mutter sagte ihr: Du studierst mal Elektrotechnik
„Sie ist einfach so“, sagt Madlen, „sie hat mir auch schon früh vorhergesagt, dass ich mal Elektrotechnik studieren werde und dass es für mich kein Problem sein wird, mich in einer männlich dominierten Branche durchzusetzen. Ganz einfach, weil in diesem Bereich auch Frauen gebraucht werden.“
Madlen wuchs mit dem Frauenbild auf, dass Mütter nach der Geburt ihrer Kinder ganz selbstverständlich wieder arbeiten. Ihre Mutter blieb ein Jahr zu Hause. Erst als Madlen beim Studium Frauen aus anderen Bundesländern kennenlernte, wurde ihr klar, dass viele Mütter viel länger pausieren. „Ich beurteile das nicht, aber für mich selber kommt das nicht in Frage“, sagt sie.
„Vor allem Männer, die etwas älter waren als ich, aber auch Frauen meinten, dass es doch schlecht fürs Kind sei, wenn Mütter arbeiten. Ich habe darauf geantwortet, dass aus mir doch schließlich auch etwas geworden ist.“ Sie sei froh, dass sie es gerade in ihrem Umfeld erlebe, dass gleichaltrige Frauen früh wieder zurück gehen in den Beruf, „einige schon ein halbes Jahr nach der Geburt, da tut sich gerade einiges.“
Madlen wuchs auf dem Land auf, spielte viel mit Jungs und wenn ihr Vater sie am Wochenende auf eine Baustelle mitnahm, hatte sie ihren kleinen Handwerkskoffer dabei und brachte ihren Holzschraubenzieher zum Einsatz.
Der Anteil der Frauen in den MINT-Berufen, also dort, wo Mathematik, Technik, Informatik und Naturwissenschaften eine Rolle spielen, ist in Deutschland sehr gering. Er liegt in Westdeutschland bei 15,2 und im Osten etwas höher bei 16,6 Prozent. Während des Gesprächs mit Madlen verfestigt sich mein Eindruck, dass dieser Unterschied auch damit zusammenhängt, dass Mädchen in Ostdeutschland ein anderes Selbstverständnis mit auf den Weg bekommen.
Studien belegen, dass Mädchen grundsätzlich in der Schule nicht weniger an Mathematik interessiert sind als Jungs. Doch sie sind oft ängstlicher und bewerten ihre Leistungen schlechter als Jungen, auch wenn sie die gleiche Note haben oder sogar besser sind. Die PISA-Studie hat 2015 gezeigt, dass Eltern in Deutschland zum Desinteresse der Mädchen an Mathematik beitragen.
Denn von den Eltern oft unbewusst vermittelte Rollenklischees verstärken die Unsicherheit, etwa wenn sie gute Leistungen in Mathematik bei Söhnen auf Kreativität oder Begabung, bei Töchtern aber auf Fleiß zurückführen. Wenn sie Mädchen eher eine sprachliche, als eine mathematische Begabung zusprechen. Wenn sie ihnen nur bei herausragenden Noten dazu raten, Mathematik zu studieren.
Madlen hatte immer das Gefühl, dieselben Möglichkeiten zu haben wie Jungs
Madlen wurde ganz selbstverständlich mit dem Bewusstsein erwachsen, dass sie dieselben Möglichkeiten hat wie Jungs. Dass sie natürlich in Mathe gut ist. Dass es sie nicht abschrecken muss, wenn sie als eine der wenigen Frauen in einem technischen Beruf arbeitet. Dass ihre Kompetenz zählt. Und dass ihre Eltern hinter ihr stehen. „Sie fuhren mich als Kind täglich zum Tennistraining ins 80 Kilometer entfernte Weimar, mein Vater arbeitete dann dort am Laptop.“
Mit Anfang 20 beendete Madlen ihre Tenniskarriere. „Der mentale Druck und das alleine Reisen wurden mir zu viel. Und die Leute in meinem Bekanntenkreis hatten auch Pläne, viele studierten schon, und ich wollte das dann auch.“
Sie hätte gerne Medizin studiert, aber ihr Notenschnitt im Fernabi reichte nicht. Also begann sie in Jena mit Ernährungswissenschaften. „Aber ich fand die Themen nicht spannend genug. Ich hatte nach zehn Jahren im Tennis einfach meinen Platz noch nicht gefunden.“ Eine verschleppte Lungenentzündung zwang sie zu pausieren und nachzudenken. Und Madlen beschloss, am Uni-Klinikum in Jena erst mal den Bundesfreiwilligendienst anzutreten.
Die starken Hierarchien im Klinikbetrieb setzten ihr zu. „Heute würde ich mich dort durchsetzen können, damals war es eine Herausforderung, aus der ich aber viel gelernt habe.“ Aber sie entdeckte ihr Interesse für Medizintechnik und studierte dies schließlich an der Universität Erlangen-Nürnberg. „Frauen belegen eher technische Studiengänge, die anwendungsbezogen sind. Bei den Medizintechnikern waren wir in etwa zur Hälfte Frauen.“
In den Elektrotechnik-Vorlesungen saßen zu 90 Prozent Männer
Nach zwei Semestern stieg sie um auf Elektrotechnik, weil ihr der technische Teil des Studiums immer wichtiger wurde. Und plötzlich saßen in den Vorlesungen zu 90 Prozent Männer, „aber das machte mir nichts aus, ich komme gut mit Männern klar, sie sind oft direkter und es gibt mit ihnen keinen Zickenkrieg, wie ich ihn im Krankenhaus erlebt hatte.“ Außerdem hatte Madlen da schon ihren Mann kennengelernt und studierte von da ab mit ihm zusammen.
Nach dem Studium arbeitete sie für sieben Monate im Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB, dann wechselte sie an den Lehrstuhl für Leistungselektronik in Erlangen. Dort schreibt sie jetzt ihre Doktorarbeit und lehrt. „Das macht mir großen Spaß und ich freue mich, wenn ich Studentinnen im Hörsaal sehe. Es ist mir wichtig, sie zu fördern und ihnen meine Begeisterung für das Fach zu vermitteln.“
In der Lehre will sie Studentinnen unterstützen
Impulse von außen, die Mut machen, seien wichtig. „Als ich Werkstudentin bei Siemens war, hat mir ein Vorgesetzter gesagt: Lass Dich im Kreis von lauter Platzhirschen nicht unterkriegen. Mach dich groß und zeige, was du kannst! Ich sehe es auch als meine Aufgabe an, Mädchen zu unterstützen.“
In der Arbeit unterscheiden sich Männer und Frauen durchaus, meint Madlen. „Männer sind experimentierfreudiger, sie probieren eher einfach mal was und denken: das kann doch gar nicht schiefgehen.“ Sie selber sei sehr systematisch, „ich will eine Sache bis ins Detail durchdacht und verstanden haben, bevor ich sie in der Praxis teste.“ Beides zu verbinden – die Experimentierfreude und das Systematische – findet Madlen ideal. „Auch deshalb brauchen wir mehr Frauen in Forschung und Entwicklung.“
Außerdem seien Frauen empathischer und das sei in Führungspositionen ein großer Vorteil für alle. Doch um dorthin zu kommen, müssten Frauen nach wie vor mehr leisten. „Sie werden gerne unterschätzt, aber wenn Frauen dann liefern, bleibt auch den Männern nichts anderes übrig, als ihre Expertise anzuerkennen.“
„In der Elektrotechnik funktionieren Quotenregelungen nicht“
Madlen findet Quotenregelungen schwierig als Mittel, um mehr Frauen in Führungspositionen zu verhelfen. „In der Elektrotechnik gibt es insgesamt nur sehr wenig Frauen, da kann es gar nicht funktionieren, über eine Quote zum Beispiel 25 Prozent Frauen in die Vorstände von Firmen in der E-Mobilitätsbranche zu bekommen. Ich möchte auch gar nicht bevorzugt werden, weil ich eine Frau bin. Die Leistung sollte zählen.“
Sie fordert wie so viele, dass Mädchen bereits in Kindergärten und Schulen lernen müssten, dass sie in ihrem Leben machen sollen, worauf immer sie Lust haben. „Das kann auch Mathe sein. Mädchen sollten ermutigt werden und gesagt bekommen: Lass dir das auf keinen Fall ausreden!“
„Ich möchte irgendwann dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen“
Denn die technischen Entwicklungen legen aktuell in vielen Bereichen die Basis für eine Zukunft, die das Leben aller Menschen verändern wird. Die E-Mobilität ist dafür ein gutes Beispiel. Auf dem Weg zu CO2-neutralen Autos ist noch vieles zu tun. Madlen erforscht die Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Autobatterie und Elektromotor, der gesamte Antriebsstrang eines E-Autos, übertragen ungewollt elektrische oder elektromagnetische Effekte auf andere Komponenten. Madlen entwickelt Lösungen, um diese Effekte zu reduzieren. „Auch im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren ist das eine wichtige Frage.“
Ihre Motivation ist es, „irgendwann dazu beizutragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen“. Die E-Mobilitätsbranche biete dafür viele Chancen. Dass sich diese mit mehr Frauen, die Entscheidungen treffen und ihre Expertise einbringen, verbessern, ist für Madlen Hoffmann keine Frage.