Foto: A.F. Endress

Zeit für ihre zwei Ziegen hat Ilonka Scheuring nur, wenn auf dem Weingut mal eben alles auch ohne sie läuft. Was nicht oft der Fall ist...

Ute Möller
10.08.2021
Lesezeit: 6 Min.

Weinkönigin mit rosa Gummistiefeln

Winzerin Ilonka Scheuring lebt für ihren Wein: "Auf den Job als Chefin kann einen nichts vorbereiten."

Mit zehn Jahren saß Ilonka Scheuring schon am Steuer des Traktors, um die Strohernte aufzuladen. Spielen im Kinderzimmer? Langweilig. Lieber wühlte die kleine Ilonka im Kompost nach Würmern oder sammelte Käfer. Wenn Kunden auf das Weingut ihrer Eltern in Margetshöchheim kamen, um Wein zu probieren, stellte sie sich dazu und verkostete mit. Im Glas statt Traubensaft eine Apfelschorle.

Ich kann mich glaube ich ganz gut in Ilonka Scheurings Kindheit im unterfränkischen Dorf hineinversetzen. Ich verbrachte meine ersten Jahre zwar in Dortmund-Kley im Ruhrpott, doch – vielleicht erstaunlich für manche – gibt es dort auch grüne Wiesen. Und gegenüber von dem Hochhaus, in dem ich mit meinen Eltern wohnte, bestellte ein Bauer seine Felder. Mit den Kindern war ich bald befreundet und ich erinnere mich gut an Rutschpartien durch die Gülle und Ohrenzwicker zwischen den Steinplatten in dem großen Garten. Stubenhocker wurde ich erst später, als Teenager.

Ausbrechen wollte sie nie

Ilonka konnte als Jugendliche nicht im Bett abhängen und bis morgens Party machen, „ich hatte Verpflichtungen auf dem Weingut“. Stellte sich für Ilonka Scheuring nie die Frage, ob sie statt das elterliche Weingut zu übernehmen, nicht lieber doch ausbricht aus der dörflichen Idylle? „Ne, ich wollte nie weg“, sagt sie und schwärmt von ihrem „Maroggo am Main“, dem 3000 Seelen-Ort, um das herum ihre acht Hektar Weinberg liegen.

In den letzten 20 Jahren haben weltweit immer mehr Frauen Weingüter übernommen, Exotinnen in der traditionell männlich dominierten Branche sind sie aber immer noch. Ilonka Scheuring schätzt, dass von den rund 200 fränkischen Weingütern in der Größe ihres Betriebs maximal in zehn eine Frau den Wein verantwortet.

„Frauen wechseln oft ins Marketing“

Ihre Eltern hatten den Betrieb im Nebenerwerb bewirtschaftet. Ihr Vater arbeitete im Weinberg und im Weinkeller, ihre Mutter übernahm Büro, Marketing und Verkauf. Diese Kombination sei der Klassiker, meint die 36-Jährige. „Es lernen zwar immer mehr Frauen den Beruf, in meiner Berufsschulklasse saßen immerhin vier Frauen bei insgesamt 20 Teilnehmern.“ Aber oft wechseln die Winzerinnen nach der Ausbildung in den Vertrieb oder ins Marketing und arbeiten nicht im dem Weinberg.

„Das hängt damit zusammen, dass einen der Beruf körperlich an die eigenen Grenzen bringt.“ Im Sommer steht Ilonka Scheuring oft schon um 4 Uhr früh im Weinberg, weil es danach zu warm ist. Dann höre sie zwar, wie die Vögel anfangen zu singen und die Atmosphäre sei wirklich großartig, „aber Zeit, um das zu genießen, hat man bei der Arbeit nicht“.

Abends falle sie „auf jeden Fall ausgeglichen ins Bett, ein Fitnessstudio brauchst du da nicht mehr“. Sie sei in der Regel zu müde, um sich noch über irgendetwas Sorgen zu machen. Das sei was Schönes, diese Zufriedenheit.  Bereut habe sie es jedenfalls nie, dass sie den Betrieb übernommen hat.

Auch in Neuseeland wird nur mit Wasser gekocht

2010 war es so weit. Ihr Vater drängte Ilonka früh in die Verantwortung, dass sie als Frau künftig die Geschäfte führen würde, war dabei nie ein Thema.  Die 25-Jährige hatte gerade nach ihrem Techniker für Weinbau und Oenologie die Ausbildung zur Weinküfnerin an der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim absolviert. Anschließend schaute sie neun Monate lang Winzern in Südtirol und Neuseeland über die Schulter. Die wichtigste Lehre: Auch dort wird nur mit Wasser gekocht, muss jeder Winzer seine eigenen Akzente setzen.

Und in Margetshöchheim hatte jetzt Ilonka Scheuring das Sagen. „Darauf wird man in der Ausbildung nicht vorbereitet, ich musste vieles ausprobieren oder manchmal auch auf die Erfahrung meiner Eltern zurückgreifen.“ Anweisungen zu geben, zum Beispiel den Saisonarbeitskräften bei der Ernte, sei kein Problem, wenn man wisse, was zu tun ist.

„Ich versuche, meine Mitarbeiter zum Mitdenken zu bewegen. Wenn es möglich ist, möchte ich ihnen auch Entscheidungsfreiheiten geben.“ Die Arbeit mache schließlich nur halb so viel Spaß, wenn einem alles vorgesetzt werde. Aber wenn der Stress mal zu viel wird, kann Ilonka Scheuring aus der Haut fahren, „dann schreie ich auch mal rum“.

Wein der Eltern mit Vorsicht verändert

Den elterlichen Wein hat sie in den letzten Jahren mit Erfolg weiterentwickelt. Als ich über die sozialen Medien ankündige, dass ich ein Porträt von Ilonka Scheuring schreibe, melden sich gleich drei Fans ihrer Weinkreationen. Dank Ilonka Scheuring sei er zum Perlweinfan geworden, schreibt mir ein früherer Kollege. Ihr Wein munde, meint ein Facebook-Freund.

Schon in ihrem ersten Jahr als Chefin bekommt sie von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft die Auszeichnung „Jungwinzerin des Jahres“ verliehen. Der elterliche Wein war ihr zum Teil zu herb und zu trocken, sie entwickelte Silvaner und Scheurebe vorsichtig weiter. Ihr Vater ist ihr beim Verkosten ein wichtiger Berater.

Ilonka Scheuring experimentiert auch in die süße Richtung und brachte mit „Femina Glut“ einen Likörwein mit 19 Prozent „Volumen“, sprich Alkoholanteil, auf den Markt. Der Name ist Programm, „der Femina Glut kommt im ersten Moment weiblich-verführerisch rüber, danach offenbart er seine Power“.

Winzerin Ilonka Scheuring macht in Unterfranken guten Silvaner
Ilonka Scheuring mit ihrer Babyziege „Brix“, die Mama dazu heisst „Pinot “ von Pinot Noir. Foto: A.F. Endress

Sie mag das Wort. „Frankenwein mit Frauenpower“ wirbt sie auf ihrer Homepage . Dort sieht man sie mit stylischer Brille und rosafarbenen Gummistiefeln. Die machte sie zu ihrem Markenzeichen, seit sie die Weinberg tauglichen Treter bei einem ihrer Auftritte als Landfrauenköchin im Bayerischen Fernsehen trug.

„Als Frau ein Weingut zu führen, ist noch eine Besonderheit. Ich habe mir gedacht, dass ich aus diesem Alleinstellungsmerkmal auch ein cooles Image machen kann.“

In der klassischen Männerbranche würden Winzerinnen grundsätzlich noch beäugt, „auch wenn ich das bei meinen fränkischen Kollegen nie so gemerkt habe“. Sie ist bei Vinissima, dem bundesweiten Berufs-Netzwerk für Frauen in der Weinbranche, organisiert. „Weil die Mühlen der Veränderung einfach zu langsam mahlen.“

Den Verein Vinissima gründeten sieben Frauen aus der badischen Weinbranche vor genau 30 Jahren. „Damals wurde in den Weinbruderschaften geklüngelt, unter den Männern wurden die Geschäfte gemacht. Die Gründerinnen von Vinissima hatten das Ziel, für die Frauen ein starkes eigenes Netzwerk aufzubauen“, sagt Geschäftsführerin Stefanie Dreißigacker.

Traditionelles Weltbild

In den drei Jahrzehnten sei die Branche offener geworden für Frauen an der Spitze von Weingütern. Immer mehr Frauen lassen sich laut Dreißigacker zur Winzerin ausbilden und führen dann auch Betriebe. „Aber es bleibt noch viel zu tun“, ergänzt sie. In der Landwirtschaft sei das Familienbild leider immer noch traditionell, Weingüter werden weiterhin eher von den Söhnen übernommen. „Es findet aber langsam ein Umdenken bei der Elterngeneration statt.“

Übernehmen Frauen nicht den elterlichen Betrieb, heiraten sie oft ein und übernehmen Verantwortung im Weingut der Schwiegereltern. Stellt sich Nachwuchs ein, „bleibt der traditionell an der Mutter kleben“, sagt Dreißigacker. Und die Winzerinnen tauschen dann – auch ganz traditionell – die Arbeit am Weinberg gegen die im Büro ein. Weil sich das mit Kindern besser vereinbaren lässt, wenn die Männer sich für die Betreuung nicht so verantwortlich fühlen.

„Wir müssen erfolgreiche Frauen sichtbar machen“

Bei Vinissima sind bundesweit über 600 Frauen aus der Weinbranche organisiert. Aus dem vergleichsweise kleinen Anbaugebiet Franken kommen 30 Mitglieder, 16 davon arbeiten im Weinbau. Bei Vinissima finden Fortbildungen statt, zum Beispiel zum Thema Unternehmensführung. Das Netzwerken stärke die Frauen, meint die Geschäftsführerin. „Wenn ich Frauen sehe, die ein Weingut wuppen, dann ist das ein großes Ansporn und macht Mut.“

Letztlich müsse endlich erreicht werden, dass es um die Person geht, die ein Weingut leitet, und nicht um das Geschlecht. „Wenn wir Frauen sichtbar machen, kommt das Umdenken in den Köpfen“, ist Dreißigacker überzeugt, die selber aus einer Weinfamilie stammt. Und deren Bruder, ganz traditionell, das elterliche Gut übernommen hat.

Vinissima mischt auch in der Weinbaupolitik mit. „Wir sind zum Beispiel bei den Sitzungen des Deutschen Weinbauverbands dabei. Dort sitzen dann zu 90 Prozent Männer und es dauert, bis Sie sich dort als Frau Respekt verschafft haben. Nicht jede will das.“

Frauen kaufen gern bei Winzerinnen

Wie gesagt: Die Mühlen mahlen langsam. Doch Ilonka Scheuring hat bemerkt, dass Frauen oft lieber Unternehmerinnen unterstützen, als bei der männlichen Konkurrenz zu kaufen. „Einige bestellen Wein lieber von einer Winzerin. Und sie kommen zu meinen Weinverkostungen, weil sie nicht das Gefühl haben, sich ohne großes Weinwissen zu blamieren.“ 

Scheuring hat zwar wenig Zeit, um angehende Winzerinnen zu fördern. „Aber ich kann meine Praktikantinnen unterstützen, die stellen nämlich eher mal ihr Licht unter den Scheffel als die Jungs.“ Auch sie habe, trotz der Erfolge, immer wieder Hürden zu nehmen. „Vor einer öffentlichen Präsentation muss ich mir jedes Mal sagen, dass ich das kann.“

Die größte Herausforderung hat die 36-Jährige gerade vor sich: In wenigen Monaten wird sie ihr erstes Kind zur Welt bringen. Eine Schwangerschaft in dem Hochleistungsberuf ist mega anstrengend. „Familienplanung ist für Winzerinnen eine viel größere Herausforderung als für die männlichen Kollegen“, sagt die 36-Jährige. Sie kann zwar eine Betriebshilfe anfordern, „aber die muss ich erst mal finden für neun Monate oder länger“.  Sie wird mehr Saisonarbeitskräfte beschäftigen müssen. „Aber als einzige Person, die im Betrieb alles weiß und absegnen muss, bist du als werdende Mutter extrem gefordert.“

Wenn das Kind erst mal da ist, wird es in wenigen Jahren auf dem Hof „mitlaufen“, wie früher die kleine Ilonka. „Dann ist es ein Vorteil, dass es auf dem Land aufwächst“, ist Ilonka Scheuring überzeugt.

Sie möchte noch nachhaltiger arbeiten

Ihre Wünsche für die Zukunft? Noch nachhaltigeres Landwirtschaften möglichst ohne Herbizide, mit wohl überlegten Neuanpflanzung und lieber mehr Qualität als Quantität. Geheizt wird auf ihrem Gut bereits mit selbst geschlagenem Holz. Mit zwölf Winzern gründete sie die Gruppe Ethos-Weinbau mit Haltung, für nachhaltigen Wein. „In diesem Bereich möchte ich noch expandieren, man kann immer noch schonender mit der Natur umgehen und noch kooperativer mit den Mitarbeitenden sowie den Kundinnen und Kunden.“

Von den Kunden habe immer noch mancher Vorbehalte, wenn er es mit einer Winzerin zu tun bekommt. Auf Messen werde schon mal eher ein männlicher Mitarbeiter am Verkaufsstand für den Winzer gehalten als sie.

„Du musst als Frau stärker mit Wissen überzeugen“

„Du musst du als Frau mit Wissen überzeugen, das ist anstrengend, dauert manchmal etwas, aber es geht!“  Sie rät allen Frauen: „Lasst Euch nicht von Männerbranchen abschrecken, sondern fangt an. Und merkt dann, dass ihr mindestens genauso gut seid.

Ilonka Scheuring empfiehlt: Michaela Meintzinger

Flamingo Kopf

„Die Michaela ist eine ehrliche, offenherzige und zuvorkommende Person. Sie ist wie ich gerade heraus und ihr Hotel ist mit viel Liebe zum Detail eingerichtet, das gefällt mir sehr.“ Die Weinwelt ist ein Dorf und so musste es wohl so kommen, dass sich Ilonka Scheuring und Michaela Meintzinger bei einer Veranstaltung kennenlernten. Während Michaela Meintzinger das Hotel im unterfränkischen Frickenhausen führt, kümmert sich Ehemann Jochen Meintzinger um das Weingut. Der Kontakt sei nicht sooo eng, weil alle viel zu tun haben, aber Ilonka Scheuring empfiehlt die Hotechefin auf jeden Fall als spannende Gesprächspartnerin. „Es fasziniert mich, in wie kurzer Zeit sie ihr Hotel hochgezogen hat“.

Michaela Meintzinger freut sich über die Interviewanfrage von Flamingo und Dosenbier, „ich habe schon viele Höhen und auch Tiefen erlebt und erzähle gerne davon“, sagt die Hotelchefin. Wir sind gespannt…