Manchmal ist es schon komisch, wie sich Kreise schließen, die es bis vor kurzem noch gar nicht gab. Von meinem Redaktionsschreibtisch schaue ich in die Wunderburggasse in der Sebalder Altstadt von Nürnberg. Auch das Schaufenster eines Ladens mit Retro-Möbeln sehe ich vom vierten Stock aus. Bis vor sieben Jahren war er das Reich von Inke Fürbeth. Damals hätte ich für unser Gespräch nur über die Straße gehen müssen. Und mich über eine nette und spannende Nachbarin freuen können.
Heute fahre ich mit der U-Bahn ins schöne Nürnberg-Gostenhof und besuche Inke Fürbeth – Raumausstatterin, Spezialistin für das Polstern und Restaurieren von Sitzmöbeln, Designerin – in ihrer Besitzbar. Der Laden in der Rothenburger Straße ist größer als der in der Wunderburggasse. Als sie dort im Keller ein Sofa restaurierte und es anschließend nicht mehr nach oben bekam, weil die Treppe zu schmal war, beschloss sie, dass es Zeit ist für ein größeres Geschäft mit Werkstatt. Und bezog die Besitzbar, die Laden für restaurierte Retromöbel und Werkstatt in einem ist.
Lernen, dass auch mal was schiefgehen kann
Inke wurde mir als Gesprächspartnerin von Diana Burkel, Chefköchin im Nürnberger Würzhaus, empfohlen. Die beiden haben sich vor vielen Jahren beim Feiern kennengelernt. „Didi ist offen und herzlich, sie war mir gleich sympathisch“, erzählt Inke. Sie habe damals auch in der Gastronomie gearbeitet, im Service. Später war sie Chefin im Restaurant Sachs & Söhne. Bis sie den Stress zwischen Polstern und Restaurieren am Tag und Gastro im eigenen Laden abends nicht mehr packte. „Das war schon doof, als ich das Sachs & Söhne aufgeben musste, aber ich musste wohl lernen, dass Dinge auch mal schiefgehen. Und das kannst du nur, wenn du es vorher probiert hat.“
In der Besitzbar stehen Sitzmöbel, die zwischen den 1950er und 1970er Jahren Design und nicht Mainstream waren. Aber auch das Bauhaus der 1920er Jahre hat es Inke angetan, „die Möbel wurden freier in den Formen und die Produktion hat sich mit dem Design weiterentwickelt.“ Sessel bestanden nicht mehr nur noch aus Holzbeinen plus gepolstertem Sitz, sondern auch aus Metall und Leder und Stoffgurten. Letztere kommen bei Inkes eigenem Design wieder ins Spiel. Aber davon später.
„Ich war halt jung und naiv!“
Wenn ich Inke frage, ob es nicht hart oder zumindest manchmal blöd war, als Frau eine Raumausstatter-Ausbildung zu machen, unter lauter Männern, dann lacht sie nur. Sie lacht auch ihr typisches Inke-Lachen, wenn ich wissen will, wie viel Angst sie mit 23 hatte, als sie sich selbständig machte. „Ich war halt jung und naiv, dann macht man einfach“, sagt sie schließlich. Schon als Mädchen sei sie sehr trotzig gewesen, „ich wollte nicht tun, was von mir erwartet wurde. Abitur, Studium, das war nicht meins. Ich habe schon früh gemacht, was ich wollte, zum Beispiel einen handwerklichen Beruf gewählt.“
Diese Unabhängigkeit von den Erwartungen anderer ist bis heute typisch für die Designerin. Sie ist davon überzeugt, dass man „immer selber entscheiden und wählen kann, was man tun will.“ Das klingt erst mal selbstverständlich, dann ziemlich ermutigend und auf keinen Fall nach Trott und Stillstand.
Sich mit Inke darüber unterhalten zu wollen, dass sie während ihrer Ausbildung oft mit Männern Fußböden verlegte, tapezierte und Stühle polsterte, bringt nicht viel. Weil sie darin kein großes Thema sieht. Als wir ein wenig später über die bekannte Möbeldesignerinnen Charlotte Perriand sprechen, die für Le Corbusier die berühmten Stahlrohrmöbel entwarf, sagt sie: „Ich bewundere schon, wie sie und andere Künstlerinnen sich damals gegen die Männer durchsetzen konnten.“ Sie selber habe nie die Konfrontation gesucht. Sie stehe nicht gern im Mittelpunkt. „Ich finde es aber wichtig, dass Frauen die Dinge tun, die ihnen wichtig sind. Männer machen das schließlich auch.“
Inkes erster Berufswunsch war Bootsbauerin, „ich war als Kind oft am Meer und hätte es toll gefunden etwas zu bauen, was einen über das Wasser trägt.“ Sie bewarb sich in Hamburg und Berlin. „Aber die dachten sich wohl: Was wollen wir mit der Kleinen vom Land?“
In der Gastronomie lernte sie dann zufällig ihren künftigen Chef kennen, bei dem sie die Ausbildung zur Raumausstatterin absolvierte. Als sie in Nürnberg keinen Laden fand, für den sie gerne arbeiten wollte – das klassische Gardinen-Fachgeschäft kam für sie nicht in Frage – machte sie sich selbständig. Damals hieß das Ich-AG und die Fördermittel gingen für Wohnungsmiete und Essen drauf.
„Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf aufmerksam machen sollte, dass ich für Leute Möbel polstere. Für Werbung hatte ich kein Geld, das lief dann alles über Freunde und Weiterempfehlungen.“ Inke mietete sich bei einem Restaurator ein, „der gab mir viel Arbeit, aber weil er wusste, dass er so ziemlich mein einziger Auftraggeber war, zahlte er schlecht.“ Schließlich zog sie in die Wunderburggasse um.
Es dauere, bis man vertrauen in die eigene Arbeit hat. „Und wenn das Geschäft nicht so gut läuft, kommen die Existenzängste.“ Inke hatte mal zwei Angestellte, „die Verantwortung war belastend, wenn nicht so viel zu tun war“.
Inke konnte mit der Unsicherheit immer ganz gut umgehen, weil es ihr am wichtigsten ist, ihr Ding zu machen. „Und weil ich wusste, dass ich auch mit anderen Sachen mein Geld verdienen kann, mit Kellnern zum Beispiel.“ Dass sie ihre persönlichen Ansprüche total herunterschrauben kann, half ebenfalls.
Für das nächste halbe Jahr sind Inke Fürbeths Auftragsbücher voll. Das verdankt sie auch „Mugge“, der schmalen Bank aus Stahl und Holz und mit Gurten als Sitzfläche, die an die Stoffelemente einiger Bauhaus-Sitzmöbel erinnern. Die Bank entwarf Inke Fürbeth, als sie nach ihrem Umzug eine Sitzmöglichkeit für den Flur ihrer neuen Wohnung suchte. Und nicht fand. Über ein Jahr tüftelte sie an dem Möbelstück, suchte Lieferanten und Handwerker, die Eichenholz- und Stahlteile fertigen. „Ich wollte schon lange vorher eigene Möbel entwerfen, aber das tägliche Brot musste ja reinkommen und ich hatte einfach keine Zeit dafür.“
German Design Award für „Mugge“
Ihr erster Entwurf, benannt nach dem Nürnberger Stadtteil Muggenhof, gewann sofort den German Design Award. „Das ist doch gut, oder?“ Jetzt wünsche sie sich schon, „was Schönes nachzuschieben“, aber Druck mache sie sich deshalb nicht. Und da ist sie wieder, Inke Fürbeth, die macht was sie will und der es nicht darum geht, Erwartungen zu erfüllen. „Mir reicht meine eigene Zufriedenheit mit meinen Möbeln“, sagt sie. Und dass sie in der Design-Szene nicht so drin sein, „ich mache, worauf ich Bock habe.“
Seit einiger Zeit arbeitet sie an einem Schaukelstuhl aus Multiplex-Holzelementen. Ein Prototyp steht in ihrem Laden, rote Schnüre formen Sitz und Lehne. Was überraschend bequem ist. Inke möchte für ihre Sitzmöbel einfache Materialien sparsam einsetzen. Nachhaltig und ressourcenschonend zu arbeiten, ist ihr wichtig. „Ich mag keine voluminösen Möbel.“ Auch weil die Menschen immer häufiger umziehen, fertige sie Leichtes.
Der Award brachte ihr mehr Sichtbarkeit und Kunden, die nun mit anderen Augen auf ihre Arbeit schauen. Für das Nürnberger Hotel Karl August entwarf sie ein modulares Sofa mit Holzelementen für die Lobby. Weitere Aufträge folgten.
Radikal zu sein liegt ihr nicht
Ich verabschiede mich nach eineinhalb Stunden von der 39-Jährigen mit dem Gefühl, dass hier eine Geschichte so richtig gut läuft. Dass hier eine ihren Weg geht. Eine Feministin sei sie wohl eher nicht. „Das klingt so radikal, aber um etwas zu verändern, muss man das ja auch sein, ich bin dafür nur nicht der Typ.“
Es sei aber wichtig, dass andere Frauen laut werden, „um für Frauen, die mehr Gegenwind haben als ich, weil sie zum Beispiel in einem Angestelltenverhältnis arbeiten, wo Männer bevorzugt werden, etwas zu verbessern.“ Wie gesagt: Bei Inke Fürbeth kam die Kraft aus dem Trotz, es anders machen zu wollen, als es die Umwelt von ihr erwartet. Dieser Gedanke wird mich jetzt immer inspirieren, wenn ich durch die Wunderburggasse laufe.