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Kein Bordcomputer, keine Klimaanlage und keine Servolenkung: Automobilität hat viel mit Erinnerungen zu tun.

Ute Möller
21.12.2022
Lesezeit: 4 Min.

Vom privaten Untersatz zum Datenspeicher

Unsere vielen persönlichen Verkehrswenden hängen eng mit unseren Erinnerungen an Automobilität zusammen. Und damit, was wir an technologischer Entwicklung wirklich wollen

Schon vor dem Heiligen Abend schließt sich der Kreis zu Türchen Nummer Eins des Mobilitäts-Adventskalenders von Flamingo und Dosenbier. Andi Honkas „Outing“ an Tag 20 als Frau, die Autos liebt, hat dafür einfach die perfekte Steilvorlage geliefert.

Anfang Dezember hatte ich davon erzählt, wie gerne ich als Kind mit dem Auto verreiste. Der grüne Simca meiner Eltern hatte keine Klima-Anlage – es waren ja die 70er Jahre. Niemand hatte ernstlich ein Problem damit, im Sommer im Blechbrutkasten vor sich hin zu schwitzen. Fenster auf und Durchzug machen ging ja immer.   

An der Tanke gab es ein Capri, der Pony pappte auf der Stirn und die Gesichter waren erhitzt. Wetter war Wetter und das durfte man auch spüren. Natürlich war es auch mal langweilig, stundenlang im Auto. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich mir die Zeit vertrieb. Ich glaube, ich habe viel aus dem Fenster geguckt.

Bei einer der ersten Solo-Fahrten baute ich gleich einen Unfall

Mit 17 war klar, dass ich den Führerschein mache. Am Prüfungstag wartete meine Mutter angespannt vor der Fahrschule und alle freuten sich, dass das Thema nach 30 Fahrstunden durch war. Bei einer meiner ersten Solo-Fahrten baute ich gleich einen Unfall mit dem Fiat Panda meiner Mutter und jobbte im Sommer am Fließband, um den Schaden bezahlen zu können.

Es gab kein Navi und mich stresste es immer, wenn ich den Weg nicht gut kannte. Doch schon bald war Autofahren trotzdem vor allem: Freiheit. Ich bestimmte, wann ich wohin fuhr. Wie lange ich abends um die Häuser zog. Das war cool.

Oldtimer haben keine Bordcomputer: Wollen wir wirklich, dass Autos in Zukunft immer mehr Daten speichern? Foto: Unsplash/ Tyler Nix

Am Sinn, ein Auto zu besitzen, zweifelte ich nicht. Es war ein Stück meiner neuen Selbständigkeit. Mein sicherer, privater Raum auf vier Rädern. Das sahen auch andere Frauen so. Als ich für ein Jahr zum Studieren nach Wien ging, traf ich dort eine Kommilitonin aus Bochum wieder. Ich hatte mein Auto nicht mitgenommen, sie schon und sie sagt ziemlich verständnislos zu mir: „Was, du fährst abends mit der U-Bahn zu deinem Zimmer im Außenbezirk, hast du keine Angst allein unterwegs?“

Autos sind vieles und eines auch: ein Fixpunkt für Emotionen. Mit meiner eigenen Familie mochte ich es später, das Gepäck einfach in den VW-Bus werfen zu können, auch unser Hund hatte noch Platz. Wenn wir uns für einen spontanen Umweg entschieden, konnten wir in dem Ding auch noch übernachten. Da war es wieder, das Gefühl von Freiheit. Und als ich mal heftigen Liebeskummer hatte, hätte ich, total verheult, eine Zugfahrt von Nürnberg zu meiner Freundin nach Bochum nicht überstanden. Aber im Auto war ich für mich. Und fühlte mich unbeobachtet und geschützt.

Viele individuelle Verkehrswenden

Wir alle haben unsere Geschichten, in denen Autos und andere Formen des Reisens eine Rolle spielen. Es wäre einfach zu sagen, dass diese Erinnerungen keine Rolle spielen, wenn wir jetzt über unsere individuellen Verkehrswenden nachdenken. Aber es wäre auch gelogen.

Autos verstopfen unsere Städte und bestimmen zu einem viel zu großen Teil, wie wir leben. Sie tragen in großem Umfang zur Klimakatastrophe bei. Ich halte es im Kopf nicht aus, wenn jetzt ernsthaft über E-Fuels nachgedacht wird, für deren Herstellung und geringe Effizienz wir viel zu viel Energie aufwenden müssen. Nur um den Verbrennungsmotor am Leben zu erhalten. Der ist wie der Fetisch der deutschen Automobilindustrie, die erst jetzt, viel zu spät, versteht, dass auch sie was beitragen muss zur Rettung des Klimas. E-Mobilität nämlich. Hätten die deutschen Hersteller gar nicht gedacht, dass ihnen andere Länder da den Rang ablaufen könnten. China zum Beispiel.

Ich werde kein neues Auto kaufen

Ich bin voll dafür, dass wir uns von der Automobilität verabschieden, wie wir sie schon viel zu lange über alle Maßen pflegen. Ich werde mein Auto – ein Verbrenner, den ich vor rund fünf Jahren gekauft habe –  fahren, bis er schlapp macht. Dann werde ich mir kein neues kaufen.

Auch keinen Stromer. Mit denen habe ich nämlich ein Problem: Sie werden immer mehr zu fahrenden Computern, haben Außenkameras und blicken auch nach innen. Die Bordtechnologie sammelt Daten, auch von der Person, die am Steuer sitzt. Aber ich will nicht in einer gläsernen E-Kutsche sitzen, die mich zum Teil eines undurchschaubaren Datentransfers macht.

Autos brauchen keine immer komplexeren Bordcomputer

Fenster zum Runterkurbeln, Aschenbecher in der Seitentür zum Rausklappen: Erinnerungen sind eine wunderbare Sache. Auch weil sie ein Regulativ sind für das, was wir in Zukunft wollen. Ich möchte nicht, dass das Auto Daten über mich speichert. Ich will im übertragenen Sinne immer noch entscheiden können, wann ich das Fenster runterkurbele. Wann meine Privatsphäre geschützt ist. Ich möchte keinen Bordcomputer mit Spracherkennung, keine Alexa, die speichert, wohin ich wann fahre, mit wem ich telefoniere oder ob ich heulend vor Liebeskummer am Steuer sitze.

Wir sollten Datenschutz nicht der Bequemlichkeit opfern. Wir wissen doch aus Erfahrung: Dinge selber zu machen, kann echt ein Feature sein. Lassen wir uns das nicht nehmen. Die Automobilindustrie entwickelt immer komplexere fahrende Computer mit Entertainment ohne Ende, das kostet Energie und unsere Daten. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir das jetzt sagen.

Mobilitäts-Adventskalender 2022 von Flamingo und Dosenbier