Nicht alle Frauen sind Feministinnen und auch Feministinnen hadern mit so blöden Themen wie der Frage, ob ihr Bauch zu dick ist für den Bikini oder ob sie sich vielleicht doch irgendwann mal Botox spritzen lassen. Nichts ist widersprüchlicher als das, was wir denken und das, was wir fühlen. Zu tief sitzt, was uns Gesellschaft, Medien und von klein auf unsere Familie erzählen von: Das tut man nicht, so hat man bitte auszusehen. Wobei in „man“ alle drinstecken – Mädchen, Jungs, queere Personen…
Ich habe mir Dora Stanic´zum Flamingo und Dosenbier-Interview eingeladen. Wir haben uns kennengelernt, als ich in Nürnberg auf dem Lorenzer Platz während der Veranstaltungen der „Klimabibel“ beim Evangelischen Kirchentag über meine Haltung zur Verkehrswende sprach. Dora ist Sprecherin des Bürgerbegehrens „Nürnberg autofrei“. Eine Stadt mit sicherer Mobilität für alle, nicht nur für die Menschen in Autos, ist uns beiden wichtig. Ich möchte Doras Weg zur Verkehrsaktivistin erzählen und wissen, was der für sie mit Feminismus zu tun hat.
Wir verabreden den Termin am Telefon – und reden dann plötzlich über eine Stunde vor allem über unser Körperbild. Ich weiß gar nicht mehr, warum unsere Bäuche plötzlich so nach vorne drängten. Taten sie aber. Früh geprägt sitzt eben tief. Als ich dann mit Dora, der Psychologin und angehenden Psychotherapeutin, an meinem Esstisch Espresso trinke, stelle ich ihr meine liebste Einstiegsfrage: Was haben dir deine Eltern beigebracht übers Mädchensein?
Dora wurde in Zagreb geboren und kam als Baby mit ihren Eltern nach Nürnberg. Sie lebten zehn Jahre am Nordostbahnhof in der Nähe ihrer Uroma, die mittlerweile 96 Jahre alt und für sie ein ganz wichtiger Mensch ist. Gleichsam ihr erstes Rolemodel. „Sie kam als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine nach Deutschland und musste vieles erdulden, aber sie ist nicht verbittert, im Gegenteil. Sie hat diese Zeit überstanden und weiter gemacht. Trotz aller schlimmen Erlebnisse ruht sie in sich, das bewundere ich total. Mich hat sie immer so genommen, wie ich bin“, erzählt Dora. Vielleicht habe sie auch ihr Gerechtigkeitsempfinden von der Uroma geerbt, die übrigens nie „nur“ zu Hause bei den Kindern blieb, „sie hat immer gearbeitet, das war ihr wichtig.“
Ihre Familie war nicht politisch
Politisch sei ihre Familie nicht, erzählt die 27-Jährige. Lange habe sie sich selber dumm gefühlt und angenommen, nicht mitreden zu können. Politische Debatten fanden in ihrer Familie keinen Raum. „Als ich in der neunten Klasse war, habe ich mich geärgert, als sich Angela Merkel gegen die Ehe für alle aussprach, aber zu Hause konnte ich darüber nicht diskutieren.“ Engagiert sei sie immer gewesen, aber lange mit wenig Vertrauen in die eigene Wirksamkeit.
Ihr Eltern wollten, dass Dora in die deutsche Gesellschaft „reinpasst“. Sich einpasst. „Vielleicht hatten sie selber auch nicht das Gefühl, etwas ändern und beeinflussen zu können.“ Aufgewachsen im undemokratischen Jugoslawien unter Tito, hatte vor allem ihr Vater ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Doras Mutter, die Übersetzerin, sagte aber auch oft das zu ihr: Mach den Mund auf und widersetz dich, wenn dir was nicht passt. Mach dich von niemandem abhängig, auch von keinem Mann.
„Für meinen Vater, den Konstrukteur, ist es wiederum das Wichtigste, dass alles nach Plan läuft. Man entscheidet sich für etwas und weicht dann nicht von seinem Weg ab.“ Platz für Kreativität? Fehlanzeige.
Mit der Pubertät kam dann der Körper ins Spiel. Beziehungsweise die wirkmächtigen Erzählungen über unsere Körper. Dünn sein, reine Haut haben und keine Cellulitis – „das Muster sitzt seitdem bei mir tief“. Dora stellte sich oft auf den Rand der Badewanne, um im Spiegel sehen zu können, ob ihre Beine durch den Sport dünner wurden. Wie hoch sie die Bikinihose ziehen musste, um den Hüftspeck zu verdecken. „Ich hatte das Gefühl: das macht man eben so als Mädchen.“
Doras Mutter war stark übergewichtig, die Tochter sollte bitte den Normen entsprechen. Dora nahm die Dogmen für selbstverständlich – und doch gab sie als Achtjährige einem Jungen eine Ohrfeige, weil er ihre Mutter fett nannte. Sie kaschierte Bauch und Oberschenkel. Sie fand ihren Körper mangelhaft, konnte mit ihrer Mutter aber nicht darüber reden. „Und mein Vater gab klare körperliche Bewertungen ab. Er sagte zum Beispiel, dass ich nicht mit Jogginghose rausgehen soll. Ich könnte ja meinem Traummann begegnen.“
Unsere Körper kosten uns Kraft
Wie die Gesellschaft mich haben will, so bin ich, nur nicht anecken: Ich kenne keine Frau, die nicht, zumindest in Phasen ihres Lebens, gegen ihren Körper anarbeitet. „Ich habe meinen Körper lange nicht als Teil von mir gesehen, der mich durchs Leben trägt“, sagt Dora. „Mittlerweile will ich keine einzige Bewegung mehr nur deshalb machen, um dünner zu sein.“
Unsere Körper kosten uns so viel Kraft, „aber Menschen mögen dich nicht für deine glatte Haut, sondern für deine Eigenschaften. Und dafür kannst du etwas tun, indem du ein netterer Mensch wirst“, sagt Dora. Oder indem du dich politisierst und einsetzt für Veränderung.
Der Klimawandel war schon mit 13 ein wichtiges Thema für Dora. Sie informierte sich über Youtube-Videos, wollte vegan essen. Das erlaubten ihre Eltern aber nicht. Als sie Jahre später in Bayreuth für ein paar Semester Biochemie studierte, setzte sie das um. Kein Fleisch, kein Plastik, Waschnüsse statt Ariel und weiterhin großes politisches Interesse. Donald Trumps Wahl zum Präsidenten war für sie eine Katastrophe. Aber alles war noch sehr auf der Ebene des eigenen Lebensstils. Dora dachte, sie müsse erst alles über ein Thema wissen und lesen, um sich eine Meinung erlauben und politisch einmischen zu können. Erst später verschwand der Gedanke, den vor allem Frauen so gut kennen: Aktivismus geht nur perfekt vorbereitet. Nö, weniger ist auch gut genug.
Doch damals hielt sie der eigene hohe Anspruch davon ab, auf Demos oder in eine Partei zu gehen Auch das Bürgerbegehren „Nürnberg autofrei“ hätte sie vor einigen Jahren noch nicht starten können, sagt sie. „Ich war eher einzeln unterwegs und nicht mit anderen, bis mir klar wurde, dass es ja um strukturelle Themen geht und man sich zusammenfinden muss, um etwas zu verändern.“
Veränderung geht zusammen besser als allein
Das Wort Feminismus spielte während ihres Studiums für sie keine Rolle. Obwohl sie in den Biochemie-Vorlesungen in Bayreuth eine „krasse Männlichkeit“, heftigen Konkurrenzkampf und Dozenten erlebte, die sich über Studentinnen lustig machten. Die Probleme gab es dann beim Psychologie-Studium in Innsbruck zwar nicht mehr, aber es gab Kommilitonen, die sich gerne mal in der WG-Küche das Geschirr von den Frauen wegräumen ließen. Dora fand es besser, das mit Humor abzuräumen als mit ernsten feministischen Debatten.
Heute nennt sie sich Feministin, überlegt aber genau, wo sie das sagt. Denn immer noch schrecke der Begriff viele ab. Deshalb benutze auch die Gruppe der rund 20 Aktiven hinter dem Bürgerbegehren „Nürnberg autofrei“ das Wort lieber nicht. „Wir wollen die Menschen lieber thematisch abholen“, sagt Dora, die in der Öffentlichkeit als Sprecherin des Bürgerbegehrens auftritt.
„Städte sind für Männer gebaut“
Verkehrsplanung hat ja unbestritten viel mit Genderfragen zu tun. „Städte sind für Männer gebaut“, betont Dora. Das Bürgerbegehren, für das bis zur bayerischen Landtagswahl am 8. Oktober 2023 mindestens 15000 Unterschriften zusammenkommen sollen, wende sich gezielt an diejenigen, die in unseren autogerechten Städten benachteiligt werden.
Deutsche Städte sind geplant für den Alleinverdiener, der morgens mit dem Auto zur Arbeit fährt und abends zurück. Und nicht für Frauen und all diejenigen, die die Carearbeit erledigen und viele kurze Wege zurücklegen – zur Kita, zur Arbeit, wieder zur Kita, zum Spielplatz, zum Einkaufen und wieder nach Hause. „Frauen sind anders mobil als Männer, sie sind mehr zu Fuß, mit dem Rad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Das müssen wir bei der Verkehrsplanung endlich berücksichtigen. Sie sind unsere Adressatinnen.“
„Nürnberg autofrei“ möchte den Autoverkehr in Nürnberg bis 2030 um 80 Prozent reduzieren. Dafür soll die Stadt verkehrsberuhigte Quartiersplätze in den Stadtteilen einrichten und Super-Blocks wie in Barcelona. Falschparker sollen strenger kontrolliert und das Parken auf Gehwegen auch durch bauliche Veränderungen erschwert werden. Das Angebot an Leihfahrzeugen soll die Stadt erweitern und sich auf Bundesebene für Änderungen engagieren. Zum Beispiel dafür, dass Kommunen selber entscheiden können, wo sie Tempo 30 einführen.
Dora hätte sich erhofft, dass sie mit dem Bürgerbegehren das Verkehrsthema richtig groß machen können in Nürnberg. Dass die Veranstaltungen viele unterschiedliche Menschen mobilisieren. Da ginge noch mehr. „Manchmal fühle ich mich klein, weil wir nur ein lokales Bürgerbegehren sind und auf der anderen Seite Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) steht, der bundesweit eine Politik pro Auto macht.“
„Wir nehmen die Verkehrspolitik so nicht mehr hin“
Es frustriere sie enorm, wenn Politik die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht umsetze. Etwa mit Blick auf notwendige Maßnahmen, um den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor zu reduzieren. „Die kennen wir alle, trotzdem passiert nichts.“ Aber da mit einem lokalen Bürgerbegehren dagegenzuhalten, mache eben doch Sinn. „Weil es zeigt, dass wir Bürgerinnen und Bürger die autozentrierte Verkehrspolitik nicht mehr wollen.“ Frauen wie Männer, gemeinsam.
Dieses gemeinsame Kämpfen für Veränderung vermisst sie bei feministischen Debatten. Auf der einen Seite gebe es auch bei Frauen internalisierten Sexismus. Also Frauen, die Genderstereotype und traditionelle Rollenzuschreibungen weitertragen. „Die Frauen sind keine geschlossene Gruppe, nicht jede ist feministisch. Wenn wir alle eine klare Haltung hätten, wäre es viel einfacher.“ Dora ermüden die Debatten auch unter Freundinnen mittlerweile. „Auf der anderen Seite finde ich es echt an der Zeit, dass sich auch die für Veränderung einsetzen, die die Nutznießer der bestehenden Strukturen sind, nämlich die Männer.“ Aber in ihrer Generation sehe sie kaum einen, der dazu bereit ist.
Wer über Ressourcen verfügt – Geld oder Zeit – habe die Macht zu entscheiden, wie es gesellschaftlich weitergeht. Und für Dora damit die Pflicht, für Wandel zum Besseren loszugehen. „Das ist für mich nicht nur ein feministisches, sondern ein gesellschaftliches Thema.“
Manchmal fühle sie sich, also könne sie gar nichts verändern. „Aber wie lässt sich Veränderung messen? Haben wir mit dem Bürgerbegehren schon etwas verändert, weil wir in der zweitgrößten Stadt Bayerns die Verkehrswende zum Thema machen und sich der Stadtrat mit uns befassen muss?“ Oder beginnt Wandel erst dann, wenn eine Straße ganz praktisch für Autos gesperrt wird? In Paris und Barcelona, auf die viele neidisch schauen, weil sie Radwege ausbauen, Autoverkehr reduzieren, für Grün und für gute Wege für zu Fuß Gehende sorgen, sind es übrigens Bürgermeisterinnen, die die Verkehrswende gegen alle Proteste vorantreiben.
Aktivistinnen treiben die Politik vor sich her
Frauen, die zeigen was möglich ist, wenn man nur will, gibt es zum Glück viele. Ihr Vorbild gibt Kraft, wenn alles grad mal wieder im eigenen Leben und der politischen Arbeit zäh läuft. Ich bin überzeugt: Ohne Aktivistinnen geht es gerade nicht. Sie müssen Politik treiben, aufrütteln, Lobbyismus enttarnen. Dass sie dabei immer wieder auch über ihren Bauch lamentieren oder schon mit 27 darüber nachdenken, ob sie es mal schaffen, mit Falten zu altern – das sind Themen, die sind da, über die müssen wir reden. Bis wir sie zusammen zum Teufel jagen, ich mag da nicht nur pessimistisch sein. „Ich habe Angst, dass ich doch die dumme Pute werde, die später mal Botox nimmt“, sagt Dora. Aber dass sie bis dahin viel politische Arbeit macht – das ist keine Frage.