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Nora Schöner arbeitet erfolgreich in der IT-Branche und setzt sich für Frauennetzwerke ein.

Ute Möller
06.12.2023
Lesezeit: 7 Min.

Sexistische Sprüche nicht weglächeln

Nora Schöner ist erfolgreich in der IT-Branche und tut vieles, um den Frauenanteil zu erhöhen

Weil es längst Menschen gibt, die für Veränderung losgehen, stellt der Adventskalender von Flamingo und Dosenbier genau diese Akteurinnen und Akteure des Wandels vor. Nora Schöner will die IT-Branche weiblicher machen, was dringend nötig ist. Der Frauenanteil liegt in Deutschland gerade mal bei rund 17 Prozent. Das ist an sich schon lächerlich wenig und aus gleichstellungspolitischen Erwägungen ein skandalöses Ungleichverhältnis. Vor dem Hintergrund, dass Mädchen mit der gleichen Lust auf Mathe in die Schule starten wie Jungs, Genderstereotype ihnen die aber auf dem weiteren Weg oft austreiben und am Ende, wenn es um die Jobs geht, auch wegen des geringen Frauenanteils viel zu wenig Fachkräfte vorhanden sind, wird es auch gesellschaftspolitisch bitter ernst.

Nora Schöner studierte Wirtschaftsmathematik, arbeitet aktuell bei superluminar als Senior Cloud Consultant und gründete das Netzwerk She’n IT Nürnberg mit. Wer sie live erleben will, kann Nora Schöner am Freitag, 8. Dezember 2023, ab 22 Uhr beim „Speed-Dating mit Flamingo und Dosenbier“ in der Nachtetage des Nürnberger Staatstheaters treffen.

Liebe Nora Schöner, Du hast mit She’n IT Nürnberg eine Plattform für Frauen in der IT-Branche mitgegründet. Was ist Deine Motivation? Wie lässt sich Deiner Einschätzung nach der Anteil der Frauen in der IT-Sparte langfristig vergrößern?

Nora Schöner: She’n IT entstand aus der Idee, einen Raum zu schaffen, in dem sich Frauen aus der IT in der Nürnberger Region wohlfühlen. Etwas provokanter gesagt: Ich wollte einen Gegenentwurf zum klassischen Tech-Meetup in Nürnberg. Ich bin regelmäßig bei Tech-Meetups in der Region unterwegs und sehe oft das gleiche Bild: Ich bin die einzige Frau.

Meetups können ein Katalysator sein

Mir ging es aber nicht nur darum, Frauen beim Meetup dabei zu haben. Ein „Safe Space“ ist nur ein Schritt. Ich will einen Raum schaffen, der offen für alle ist und vor allem Raum für Frauen lässt, ihr Können zu zeigen, z. B. durch Talks, oder sich einfach mit anderen Techies zu vernetzen. 

Meetups sind aber nur ein Teil. Sie können ein Katalysator sein. Aus meiner Sicht gibt es drei Stadien, die man betrachten muss: Die Lehrzeit (und davor), der Einstieg in die Arbeit und das Halten von Frauen in der Tech-Branche. Studien zeigen, dass ein signifikanter Anteil der Frauen nach ein paar Jahren der Tech-Branche aus verschiedensten Gründen den Rücken kehrt. Deshalb fokussiere ich mich derzeit vor allem auf die letzten beiden Stadien.

Nora Schöner fordert eine wertschätzende Unternehmenskultur, um die IT-Branche für alle attraktiver zu machen. Foto: oh

Um den Anteil langfristig zu erhöhen, muss sich unter anderem die Einstellung bei Kolleg:innen und Unternehmen ändern. Wir müssen hin zu einer offeneren Firmenkultur mit den Pfeilern Transparenz, Offenheit und Wertschätzung – in allen Bereichen, nicht nur bei der HR oder beim Sprint-Reporting an die Stakeholder.

 
Transparenz bei Gehalt, Aufstiegsmöglichkeiten und Ansprechpartnern in den Firmen. Offenheit für Diversität in Teams, bei Erkennen von Vorurteilen und für die eigene Weiterentwicklung. Wertschätzung und Empathie als Grundeinstellung. Die gegenseitige Rücksichtnahme ist wichtig. Das soll nicht bedeuten, dass man sich zurücknehmen und andere vorlassen muss. Es bedeutet vielmehr, sich gegenseitig zu unterstützen.

Familien sollten klassische Rollenbilder ablegen

Insgesamt finde ich es entscheidend, einen feministischeren Ansatz bei Mitarbeiter:innen-Entwicklung und Führung anzustreben. Es geht um uns alle, nicht nur um die Frauen in der IT, sondern auch für unsere männlichen Kollegen. Ich bin davon überzeugt, dass wenn wir den Fokus auf eine sich gegenseitig unterstützende, feministischere Arbeitsumgebung setzen, alle profitieren.


Man darf aber natürlich auch nicht die Zeit vor Karrierebeginn vergessen: In den Schulen Mädchen für MINT zu motivieren, nicht abzustempeln. Viel wichtiger ist es, sich in den Familien vom klassischen Rollenbild entfernen: Mädchen dürfen laut, selbstbewusst und technikbegeistert sein! Jungs dürfen sich für „klassische Mädchensachen“ interessieren. Am Ende geht es darum, den Weg des eigenen Kindes zu unterstützen.

Was hast Du persönlich im Job erlebt, was klar frauenfeindlich war? Wie war es in Schule und Studium? Und warum hast Du Dich vielleicht trotz der Genderstereotype für IT entschieden?

In meiner Schulzeit habe ich im Allgemeinen gute Erfahrungen gemacht: Ich war an einem Gymnasium mit naturwissenschaftlichem Fokus in Sachsen und habe auch Mathematik als Leistungskurs gewählt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass man es den Mädels nicht zutraute. Meine Eltern haben mich auch in jedem Schritt, den ich gewählt habe, unterstützt und mir nicht hineingeredet. Dafür bin ich sehr dankbar.

Physiklehrerin riet vom Mathestudium ab

Einzig meine damalige Physiklehrerin, die ich eigentlich sehr schätzte, hatte mir mein Mathematikstudium nicht zugetraut, mir sogar davon abgeraten. Das hatte mich schon geschockt, aber irgendwie war es mir auch egal. Ich habe es trotzdem durchgezogen und an einer kleineren Fachhochschule an der Polnisch-Tschechischen Grenze studiert.

Wir waren zwar ein recht kleiner Jahrgang, hatten aber dennoch einen hohen Frauenanteil. Das war in meinem Mathe-Leistungskurs in der Schule auch so. Man hat sich also nicht wie eine Außerirdische gefühlt.

Erst während der ersten Praktika und dann später im Job ist es mir aufgefallen, dass es doch nicht so viele Frauen im MINT-Bereich gibt. Vielleicht ist es auch ein Problem der Bayern und Franken (lacht). Ich bin 2013 mit meinem Mann von Leipzig nach Erlangen gezogen und habe in einer Firma in der Region meine Diplomarbeit geschrieben. Danach startete ich meine professionelle Karriere bei einem Versicherer in der IT-Abteilung.

Fragen zur Familienplanung

Mein erster Kontakt mit der fränkischen Kultur: Ich war mit 22 Jahren mit Abstand die jüngste Festangestellte in meiner Abteilung. In Gesprächen mit meinen älteren männlichen Team-Kollegen ging es schon öfter mal ums Kinderkriegen. Ich hab’s weggelächelt. Immer wieder betont, dass ich nicht so lange zu Hause bleiben würde. Ich bin ja auch aus dem Osten. Das kennt man es anders. Wozu habe ich denn sonst studiert? Irgendwann hat die Fragerei dann aber zum Glück aufgehört.

Leider blieben andere unschöne Situationen. Ein Kollege fand, die Mischung aus jung, dynamisch und Japan-begeistert sehr kommentierungsbedürftig. Mal kam ein Spruch, weil ich gerne zeichne, mal weil ich noch frisch vom Studium war. Ich war einfach nie gut genug.


Zu der Zeit kam der Film „50 Shades of Grey“ in die Kinos. Da gab es dann auch Sprüche im Büro dazu. Wir waren damals in einem vierer Büro – drei Frauen (jung bis alt) und er.  Wir haben es alle peinlich ignoriert. Das würde ich heute so nicht mehr machen.

Zum Glück waren nicht alle Kollegen so. Aber es war auch meine erste Berufserfahrung und die hat mich geprägt. Das merke ich heute noch. Mittlerweile bin ich daran aber gewachsen.

Immer wieder um das Selbstverständliche kämpfen

Es gab natürlich in den mehr als zehn Jahre, die ich jetzt in der IT arbeite, noch mehr: von klein gehaltenen Gehaltsverhandlungen und nicht angebotenen Aufstiegsmöglichkeiten, über Fotos von mir, über die sich lustig gemacht wurde. Mir wurde auch schon einmal gesagt, dass ich eine Anstellung nur bekommen habe, weil ich einem Team-Mitglied im Gespräch angeblich „schöne Augen gemacht habe“. Ich war geschockt und habe es weggelächelt, mir geschworen, beim nächsten Mal gleich zu reagieren und es nicht in mich hineinzufressen.

Generell möchte ich eigentlich eher nach vorne blicken, aber dann kommt die nächste Erfahrung und man denkt sich nur, „What the fuck!? Es reicht doch jetzt echt mal langsam. Wir sind in 202x.“
Auch die Kommentare zu der Gründung von „She ’n IT“ hätte ich so nie erwartet: „Dann machen wir jetzt auch ein Meetup für Männer auf!“ und ähnliches. Wenn auch vielleicht im Scherz gemeint, verletzt es doch. Eine weitere Würstchen-Party brauchen wir hier in der Region wirklich nicht.

Ich denke mir dann meist meinen Teil, aber es bleibt oft beim Denken. Ich würde gerne öfter sofort reagieren. Gleich kontern. Oft fehlt die Kraft dafür. Ich bin es leid, immer wieder Werte, die selbstverständlich sein sollten, verteidigen zu müssen. Aber ich weiß, dass es weiterhin wichtig ist. Denn wenn ich nicht für mich und meine Werte einstehe, wer tut es dann?

Auf jede Scheiß-Erfahrung folgt Empowerment

Ich bin auf der anderen Seite aber auch sehr dankbar, dass ich auf meinem Karriereweg dennoch den Mut nicht verloren habe. Man darf nicht vergessen, dass ich ohne meine männlichen Kollegen und IT-Freunde, die an mich glauben, vieles nicht erreicht hätte! Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich immer noch da bin. Auf jede Scheiß-Erfahrung folgt doch immer wieder ein Stück Empowerment. Das darf man nicht vergessen. Der gegenseitige Support ist wahnsinnig wichtig! Und den habe ich mir über die Jahre hart erarbeitet.

Siehst Du Unterschiede in der Einstellung zu Feminismus und Gleichstellung zwischen Deiner Generation und den älteren Frauen um die 50?

Das ist eine interessante Frage. Viel Berührungspunkte hatte ich bisher nicht in Bezug auf diesen Vergleich. Ich wurde mal von einer Frau um die 50 nach einem meiner Impulsvorträge gefragt, warum She ’n IT überhaupt nötig ist, es gäbe doch bereits Organisationen wie herCareer in München.

Einige Organisationen wollen nur ihr eigenes Süppchen kochen

Diese Aussage bestätigte mich in einem Eindruck, den ich seit Beginn mit She ’n IT hatte. Ich weiß nicht, ob es am Generationenunterschied liegt, aber ich hatte in der Vergangenheit das Gefühl, dass einige Organisationen für Frauen in Tech nur ihr eigenes Süppchen kochen (möchten).


Deswegen ist es mir wichtig, ein großes Netzwerk aufzubauen, Leute miteinander zu vernetzen und zu empowern. Mich macht es glücklich, wenn lokale Gruppen entstehen und ich dazu etwas beitragen kann.