Ute Möller
26.02.2022
Lesezeit: 4 Min.

Schreiben, weil sonst kaum was geht

Welche Macht haben Worte, wenn in der Ukraine Krieg ist? Ich will ukrainische Autorinnen lesen und muss schreiben

Die russische Autorin Lena Gorelik beschreibt im Spiegel ihre Ohnmacht im Angesicht des Krieges. „Mich den Ukrainner:innen näher, verbundener fühlen, wage ich das tatsächlich, während ich hier in meinem Wohnzimmer  in München sitze, und sie in Luftschutzbunkern, und sie in Angst? Was haben sie denn von meiner vermeintlichen Nähe? Vielleicht ist das die größte Verzweiflung von allen: zusehen zu müssen, nichts tun zu können. Sofort der Reflex, diesen Satz zu löschen: Es geht in diesen Tagen nicht um unser Verzweifeln und nicht um unseren Schmerz.“

Es geht auch nicht um meinen Schmerz in der Altbauwohnung in Nürnberg-St.Johannis. Es geht nicht um meine Gedanken an die Studentinnen und Studenten, deren Eltern und die Lehrerinnen und Lehrer, die ich mit 18 oder 19 in Donezk traf. Partnerstadt von Bochum, meinem Heimatort. Es geht nicht um meine Erinnerungen an das verschneite Donezk, an die Schallplatten mit klassischer Musik in den mit müden Farben bedruckten Hüllen, die ich in einem Kaufhaus freudig erstand. Es geht nicht um meine Erinnerungen an einen Abend in einem Jugendzentrum, an dem ich zum ersten Mal in meinem Leben total abgestürzt bin, mit einem Jungen, dem ich später aus Bochum eine Zeit lang Briefe schrieb.

Ohnmacht hat auch etwas Antreibendes

Aber Ohnmacht hat auch etwas Antreibendes. In so einem Gemisch aus „ich kann ja doch nichts tun“ und der Hoffnung, dass es einen Unterschied macht, wenn ich trotzdem irgendetwas mache. Ich liege im Bett, nehme früh morgends das Handy und google. Auch wenn die Katastrophe ausbricht, wenn nur Kilometer entfernt Bomben fallen und Männer zu einem Krieg eingezogen werden und wir Bilder sehen, wie sie weinend ihre Kinder umarmen, bemühen wir die Suchmaschinen. Benutzen wir bekannte Mechanismen, um uns auf vermeintlich neutralem Boden auf dem Laufenden zu halten.

Autorinnen aus der Ukraine

Ich suche nach „Autorinnen Ukraine“, weil ich Texte lesen will von Frauen, die in dem Land geboren wurden, dessen Existenz fraglos ist. Dessen Existenz keine Brutalität, keine Barbarei, in Frage stellen kann. Wenn wir uns versprechen, dass wir dieses Land, das uns so nahe ist, niemals aufgeben in unseren Köpfen und Herzen, lebt es. Ich bin vielleicht naiv und durch meine Trauer und mein Entsetzen nicht ganz zurechnungsfähig. Aber ich will das glauben.

Ich finde Namen, einer davon ist Katja Petrowskaja. Sie wurde in Kiew geboren, lebt in Berlin, wir sind gleichalt. Ich lade mir auf dem E-Reader ihr Buch „Vielleicht Esther“ herunter, 2013 wurde sie für ein Kapitel mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Lese die ersten Zeilen in dem ersten Kapitel „Google sei Dank“. Katja Petrowskaja fragt, wie wir in Suchmaschinen finden können, was wir nicht schon gesucht haben. Wie wir uns weiter und breiter aufstellen innerlich, als wir es schon waren, als wir die Suchbegriffe eintippten.

Wen erreichen Mahnwachen und Worte?

Wie erreichen wir Kriegstreiber, Kriegsverbrecher, Solidarische mit dem Unmenschlichen, Anhänger der These, dass man sich mit Gewalt nehmen darf, was man will? Erreichen wir die mit unserer Trauer, mit unserer Wut, mit unseren Demonstrationen und Mahnwachen? Ich bin skeptisch. Und schreibe trotzdem weiter.

Petrowskaja forderte gestern im BR: „Natürlich müssen jetzt die stärksten Sanktionen durchgeführt werden, auch was das Erdöl und Gas angeht. Und Russland muss aus SWIFT ausgeschlossen werden. Was Waffen angeht, das muss jetzt entschieden werden und nicht übermorgen, wenn da Millionen Tote liegen, verstehen Sie? Das müssen Militär-Experten wirklich heute entscheiden, dass sie wenigstens etwas gegen die Raketen machen. Jetzt wird Kiew beschossen. Ich spreche mit meinen Freunden und ich muss sie fragen, ob sie noch leben oder nicht.“

Sprache als Anker? Funktioniert das?

Sie bemängelt, dass der Westen aus ökonomischen Interessen zu lange Putin zugesehen hat. Wie zögerlich die EU war und ist. Texte von ihr werden heute in Berlin im Maxim-Gorki-Theater gelesen. Sprache als Anker in einer unfassbaren Realität – das Theater in Berlin sucht Worte, „die uns helfen, aus diesem Abgrund wieder herauszukommen. Worte der Wahrheit, die wir mit unseren Freund*innen und Kolleg*innen im Osten Europas teilen.“

Gelesen werden Texte von ukrainischen und russischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Ich werde hier in Nürnberg in meiner Wohnung mitlese. „Vielleicht Esther“. Aber auch Texte der russischen Dichterin Elena Fanajlowa. Sie schrieb Gedichte über den Krieg in der Ostukraine. Ich finde diesen Text im Netz

„Eine Psychotikerin ist sie, Herr, du weißt, im Himmel, sie ist ein krankes Tier, ein Streichholz, die Flamme gib ihr und die ganze Stadt brennt ab; niemand wird gerettet, weder der Gerechte, noch der Penner; dreimal untergegangen, zweimal aufgeschlitzt doch würde ich nicht sagen, das ist unerträglich schlecht, offensichtlich ging es halt daneben, mir gefallen die Maskenbildner dieser Welt, manchmal öffne ich den Kragen: sei willkommen – neues Sonderkommando, die Unsrigen ohne Furcht samt russischer Propaganda sowie die Rose mit dem Namen weiß; nur das Herz der zarten Idiotin trocknet aus, es trocknet dieses Herz jetzt aus zerstör Huljapole Wolhynien ist tot das Herz ist jetzt verletzt, aber Amme -ruf die Wachmannschaft nicht an und glaub nur nicht, Wodka könnte nützen der Russe nimmt dich auch im Nebel“

Sprache ist ein machtvolles Mittel

Sprache ist ein machtvolles Mittel. In der Wut, in dem, was wir Realität nennen. Ansprechen gegen Krieg, dessen Terminologie wir, wie Lena Gorelik in ihrem Spiegel-Artikel schreibt, nur aus der Vergangenheit kennen in Europa. Aus den Geschichtsbüchern.

Zusammen anzusprechen gegen den Krieg, öffentlich, in den Theatern (was ist hier in Nürnberg geplant?), auf Plätzen, in Firmen, Schulen, Stadtverwaltungen und Jugendzentren – ich will glauben, dass das eine Macht hat. Dabei geht es auch um Persönliches, um Erinnerungen an Besuche in der Ukraine, an Menschen, an Gefühle. Wenn wir das alles zusammentragen, muss es doch irgendwie wirken.

Bomben stoppt sie nicht

Die Bomben stoppt es nicht. Der Krieg geht weiter. Die Suchmaschine meldet: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert die Aufnahme seines Landes in die Europäische Union. „Es ist ein entscheidender Moment, um die langjährige Diskussion ein für alle Mal zu beenden.“  In der Nacht wurden viele Menschen bei Angriffen in Kiew verletzt. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, postet ein Foto des blau-gelb angestrahlten Landtags und twittert, dass dies ein wichtiges Zeichen für Solidarität mit der Ukraine sei. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk findet „die Heuchelei zu Kotzen“. Galt Schwesig doch als harte Befürworterin der Gas-Pipeline Nord Stream 2. In den sozialen Medien leere Gesten zu posten, die vor allem dem eigenen Image dienen, ödet mich schon immer an. Jetzt gerade finde ich es tatsächlich unerträglich.