Empowerment bedeutet auch: Haltung zeigen, Position beziehen. Unter „Aktuelles“ kommentiert Flamingo und Dosenbier deshalb unterschiedliche Themen, die gerade dazu aufrufen. Dieses Mal: Die Pläne der Stadt Nürnberg, in den Hof der Kongresshalle einen Theaterbau zu setzen.
Es ist ein Flächendenkmal von internationalem Rang, es zeugt ganz besonders eindrucksvoll vom Größenwahn des Nazi-Verbrecherregimes. Die Nürnberger Kongresshalle hätte 50 000 Menschen Platz bieten sollen. Weil sie nie fertig wurde, ergänzt seit dem Baustopp 1939 vor allem Leere den Torso. Die Brachfläche wurde so zu einem wesentlichen Teil der Geschichte, die die Kongresshalle am Nürnberger Dutzendteich erzählt. Wer den Innenhof besucht, ergänzt in seiner Imagination die Leere um fehlende Bauteile. In der Vorstellung öffnet sich damit aber noch ein weiterer Raum – für die Verachtung für die Nazi-Täter und das Gedenken an die Opfer des Unrechtsregimes. So wurde zum Beispiel der Granit an der Außenfassade im Konzentrationslager Flossenbürg von Häftlingen unter unmenschlichsten Bedingungen geschlagen. So ist der Täterort auch ein Ort der Opfer. Respekt für diese und ein hellwaches demokratisches Bewusstsein sind hier verortet. Die Nürnberger Kongresshalle ist ein einzigartiger Geschichtsort. Daran kann es keinen Zweifel geben.
Diesen zu verändern kann folglich kein pragmatischer Akt sein. Doch genau als dieser erscheint die Entscheidung der Stadt Nürnberg, in den Innenhof der Kongresshalle ein Zwischennutz für die sanierungsbedürftige Oper zu stellen. Laut Stadtspitze soll das eine schnell auf- und auch wieder abzubauende Halle sein. Nichts Festes, nichts aus Stein Gebautes mit dem von Beginn an genau und sensibel zu prüfenden Anspruch, auf Dauer dem Ort gerecht zu werden.
„Es kann kein pragmatischer Akt sein“
Wobei sich der Stadtrat ein Hintertürchen offen lässt: Man habe ja 15 Jahre Zeit – so lang kann die Sanierung der Oper dauern – um sich darüber Gedanken zu machen, ob der Interimsbau nicht doch stehen bleiben soll. Und wenn ja, für welche Nutzung. Ich bin keine Architektin, gehöre nicht zu dem Kreis der Büros, die die Stadt um Pläne für den Interim anfragen wird (ein Wettbewerb ist wohl nicht angedacht).
Ich stelle aber dennoch die Frage: Wie plant man ein Gebäude, dessen Zukunft offengehalten wird (hinter vorgehaltener Hand ist aus der Stadtspitze freilich ein saloppes und zweideutiges „Was in 15 Jahren ist, weiß ja jetzt noch keiner“ zu hören)? Wie geht man die Gestaltung einer Halle im Hof dieses Denkmals an, wenn man nur das Geld für ein zeitlich begrenztes Interim hat, aber zugleich vorgibt mitzudenken, dass dieses, für welche Nutzung auch immer, vielleicht doch stehen bleibt? Mir fehlt dafür die Fantasie.
Zumal die architektonischen Maßstäbe im direkten Umfeld enorm sind: Der gläserne Pfeil, der vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in den Innenhof der Kongresshalle deutet und diesen damit zu einem zentralen Ausstellungsstück macht, wird zu Recht als gelungener Kommentar zum Denkmal gelesen. Er ordnet dieses für die Museumsbesuchenden gleichsam ein. Es sollte aus meiner Sicht unvorstellbar sein, dass er künftig auf eine rasch geplante und fix hingesetzte Leichtbau-Oper deutet.
Für eine offene Debatte fehlt die Zeit
Doch die Stadt hat keine Zeit für eine aufwendige Planungsphase – die Oper muss spätestens 2025 im Interim spielen. Schon jetzt erscheint das gar nicht zu schaffen. Für eine ergebnisoffene Qualitätsdebatte – und nur eine solche macht Sinn – fehlt schlicht die Zeit.
Naivität im Umgang mit der Kongresshalle zeigte die Stadt schon in der Nachkriegszeit, da freilich im Kontext eines bundesweiten Aufbruchswunsches, der leichthin auch die Nazi-Bauten als Orte für den ersehnten Neuanfang las. Die Stadt plante tatsächlich kurzzeitig, den Hauptbahnhof hierher zu verlegen. Als das durch war, erklärte sie die Kongresshalle zur Messehalle.
1949 gingen die Besucherinnen und Besucher adrett gekleidet durch die Deutsche Bauausstellung. Nichts spielte auf die Geschichte des Geländes an, Kuchen gegessen wurde im Café oben auf der Kongresshalle unter freiem Himmel.
Es folgte 1950 die Ausstellung „900 Jahre Nürnberg“ – wiederum spielte die Nazi-Zeit keine Rolle. Nach dem Bau der neuen Messe ganz in der Nähe, wurde die Kongresshalle vor allem zum finanziellen Ballast für die Stadt. Sie vermietete unter – seit den 50er Jahren für Lagerräume, seit 1962 ans Fränkische Landesorchester, seit 1986 treten im „Serenadenhof“ Musikerinnen und Musiker auf.
Wer heute durch den Innenhof geht, findet Essensreste, kaputte Werbeschilder, verrostete Tonnen mit der Aufschrift „Nürnberger Fischtage“, Lager von Obdachlosen, Pappfiguren, auf die jemand Hakenkreuz und Judenstern geschmiert hat, ein SPD-Schild an einer Eingangstür und davor die Hinweistafel „Vorsicht! Absturzgefahr“. Das ist skurill, teilweise ekelhaft.
Jedenfalls ist kein Bemühen der Stadt spürbar, diesen Raum in Ordnung zu halten. Ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Info-Stelen als Teil der Ausstellung im Doku-Zentrum liefern historische Daten, der Rest ist profane Nutzung als Lager, Nachtquartier, Müllabladeplatz. Verfall als Konzept. Als Teil einer historisch aufgeladenen Leer-Stelle.
Bis die Oper eine Übergangsbleibe suchte, taugte das der Stadt Nürnberg. Die weiß seit langem, dass die Oper saniert werden muss und tat zu lange nichts. Jetzt drängt die Zeit und das Geld. Die Kongresshalle gehört der Stadt, sie muss also nichts für die Fläche zahlen. Und Interimsgebäude für marode Musiktheater sind gerade en vogue, wie unter anderem ein Blick nach Stuttgart und München zeigt. Man kann sich da fast als Teil eines Trends fühlen. Und das tut ja gerne mal gut, sich am Puls der Zeit zu wissen.
Doch es ist überhaupt nicht schick, eine Halle mit Theaterturm, Haupt- und Nebenbühnen, mit Zuschauerplätzen und Orchestergraben ohne gesellschaftliche Debatte und einen Austausch der Expert*innen an diesen besonderen Ort zu stellen. Denn diesen gibt es nur hier. Es ist eine exklusiv zu führende Debatte.
Kultur ist keine Deutsche Baumesse, schon klar. Sie ist ein gesellschaftlich anerkannter Kommentator der Geschichte. Doch dies ist kein zwingendes Argument dafür, jetzt in dieses einzigartige Denkmal ohne Diskurs eine Kulturstätte hineinzubauen, die aller Voraussicht nach bleiben wird. Die aufklärerische Rolle des Theaters ist zunächst mal ort-los.
Die Leichtfüßigkeit rächt sich
Die Leichtfüßigkeit der Entscheidung für die Kongresshalle, die über alle Parteien hinweg getroffen wurde, könnte sich rächen. Vor allem für das Renommee der Stadt, das mir ja grundsätzlich erst mal egal sein könnte.
Egal ist es mir aber nicht, wenn die Chance für einen gesellschaftlichen Diskurs darüber vertan wird, ob die Kongresshalle tatsächlich ein Spielort für Theater sein sollte. Egal ist es mir auch nicht, wenn die Stadt so tut, als könne man diese Debatte auch dann erst führen, wenn schon Tatsachen geschaffen sind. Als ließe sich Qualität schon irgendwie hinbiegen, wenn man ein paar Architekturbüros anschreibt und dann nimmt, was man sich leisten kann.
Es ist mir nicht egal, wenn die Debatte über eine neue Nürnberger Spielstätte für die freie Szene, die nach dem Auszug der Oper die leeren Räume in der Kongresshalle und die Aufführungshalle im Hof beziehen könnte, auf Kosten – jetzt schreibe ich es doch – der noch zu bestimmenden Eckpfeiler einer Erinnerungskultur für die Kongresshalle geführt wird. Dann werde ich sauer. Und schäme mich doch fremd für die Stadt der Menschenrechte. Und hoffe, dass die Geschichte noch eine überraschende Wendung nimmt. Zuweilen tut sie das ja, zumal wenn man sich selber dafür aus dem Fenster lehnt.