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Jessica Könnecke im Lager von "Mit Ecken und Kanten"

Ute Möller
28.08.2021
Lesezeit: 5 Min.

Nachhaltig arbeiten ohne Perfektionismus

Jessica Könnecke gründete „Mit Ecken und Kanten“, weil sie ökologisch sinnvoll wirtschaften will

Nach dem Gespräch mit Jessica Könnecke fühle ich mich wie nach einer mentalen Wellnessdusche – die Gründerin des Unternehmens „Mit Ecken und Kanten“ hat mir in Erinnerung gerufen, dass Perfektionismus wahrlich nicht der Weg zum Glück ist. Dass Zweifel an den eigenen Ideen völlig okay sind. Und dass mich Menschen beeindrucken, die für ihre Überzeugungen leben. Die haben so ein Lächeln im Gesicht, das Freude in die Welt bringt. Schön ist das!

„Es sind die vielen kleinen Dinge im Leben, die einen dorthin bringen, wo man gerade steht“, ist Jessica Könnecke überzeugt. Ihr Lebensmosaik ist bunt. Bevor die Fränkin 2017 „Mit Ecken und Kanten“ gründete, ihren Onlineshop für fair Produziertes mit kleinen Schönheitsfehlern, studierte sie International Business an der Technischen Hochschule Nürnberg. Dort lernte sie, wie die klassische Wirtschaft tickt. Schnelles Wachstum, möglichst viel Konsum – das war nicht ihr Ding.

An der Universität in Lund packte sie einen Master in Internationalem Marketing drauf und lernte dort übrigens auch die Gründerinnen von „hejhej-mats“ kennen, die von Nürnberg aus nachhaltige Yogamatten vertreiben und die ich auch für „Flamingo und Dosenbier“ getroffen habe.

In Schweden dachte sie darüber nach, wie sich Werbung für nachhaltige Produkte einsetzen lässt. Sie schrieb für ein Studentenmagazin über Nachhaltigkeit und nach einem Praktikum bei einem Mode-Start-up entstand ein Konzept, wie sich gebrauchte Kinderkleidung immer wieder in den Kreislauf bringen lässt.

Das Gefühl war da

Mit zig Ideen im Gepäck zog sie schließlich in eine WG in Berlin. Und viele kennen das: Wenn es einmal da ist, das Gefühl, wofür man losgehen möchte, passieren sie tatsächlich, die kleinen Dinge, die einen schließlich in die Umsetzung bringen.

Jessica Könnecke schlenderte eines Tages im Wedding über einen Flohmarkt und entdeckte in einer Kiste unter einem Verkaufstisch Geschirr, das nicht zum Kauf angeboten wurde. Sie fragte nach und erfuhr von den Händlern, dass sich die Tassen und Teller nicht verkaufen ließen, weil sie kleine Macken haben. Die Frage, warum es bislang keinen Markt für Unperfektes gibt, ließ sie nicht mehr los.

Jessica Könnecke sprach darüber mit nachhaltigen Start-ups, mit Designern und Herstellern von Kosmetik, die ebenfalls wegwarfen, was eine kleine Macke hatte. Verpackungen mit Dellen, Produkte nah am Verfallsdatum, eine leicht schräge Naht an einem Pullover oder Prototypen – sie alle kamen in den Müll und nicht zur Kundin.

„Ich schrieb zig Hersteller an“

Nun ist es nicht so, dass die Fränkin, die in der Nähe von Herzogenaurach aufwuchs, wo mit adidas und Puma zwei Treiber des milliardenschweren und auf ständiges Wachstum setzenden Sportartikelmarktes sitzen, frei von Ängsten wäre. Sie verließ Berlin, zog in das Haus ihrer Eltern in Herzogenaurach und begann dort, Pakete zu packen. „Ich schrieb zig kleine Shops und Hersteller von fair und nachhaltig produzierten Artikeln an, um zu fragen, ob ich verkaufen darf, was sie wegen kleiner Fehler aussortiert hatten.“

Sie hatte die ersten Erfolge, „ich habe mit kleinen Stückzahlen angefangen, mit zehn bis 20 Flaschen eines Shampoos, mit Einzelstücken der Berliner Designerin Natascha von Hirschhausen.“ Anfangs bekam sie die Ware auf Kommissionsbasis und schaffte es, ihr Business ohne Kredit zu starten. Freund Georg baute den ersten Online-Shop mit WordPress. Bis heute ist er ihr technischer Support.

„Unsicherheit ist wie ein Schutzmechanismus“

Die Angst, dass sie mit ihrem Onlinehandel etwas anbietet, das keiner haben will, begleitete ihre Anfänge. Unsicherheit lasse sich aber auch positiv nutzen, meint sie. „Sie ist wie ein Schutzmechanismus. Sie stellt uns noch mal ganz klar vor die Frage: Will ich das wirklich, ist diese Herausforderungen das Richtige für mich?“

Als sie von der Instagram-Community positives Feedback bekam, tat das gut. Als der etablierte Naturkosmetikhersteller Weleda die Zusammenarbeit mit ihr aufnahm, war das eine gute Referenz.

„Wenn man ein Unternehmen gründet, weiß man nicht, was passiert. Das kann Angst machen. Da hilft es, sich zu fragen, was schlimmstenfalls auf einen zukommen kann. Ich habe mir gesagt: Wenn das Geschäft nicht so gut läuft, suche ich mir eben einen Nebenjob.“

Jessica Könnecke gründete "Mit Ecken und Kanten" in Herzogenaurach.
Jessica Könnecke wünscht sich eine diversere Gründungslandschaft. Foto: Nici-Schwab-Fotografie

Könnecke hätte gerne eine diversere Gründungslandschaft in Deutschland. „Ich habe während des Studiums nichts über das Gründen eines Unternehmens gelernt. Meine Eltern haben auch nicht gegründet. Mir fehlten wie so vielen Frauen die Vorbilder.“

Ihr ist es umso wichtiger, selber ein Role Model für Gründerinnen zu sein. Dabei möchte sie nicht nur ihr Wissen über die Selbstständigkeit weitergeben, sondern auch ihre Vision eines nachhaltigen Wirtschaftens.

„Es geht nicht um schnelles Wachstum“

„Wenn ich bei Veranstaltungen für Start-ups gepitcht habe, zum Beispiel in Berlin, ging es da immer um Profit und schnelles Wachstum. Für mich bedeutet Erfolg aber, ein Unternehmen aufzubauen, das sich langsam entwickeln kann und in dem sich die Mitarbeitenden wohlfühlen. Natürlich müssen auch wir effizient arbeiten, aber die Menschen stehen im Vordergrund.“ Als sie 2018 ihre erste Werkstudentin einstellen konnte, sei das ein Meilenstein gewesen, „da war plötzlich eine Person, die meine Ideen teilt.“

Könnecke arbeitet fortan im Team, was nicht nur einfach sein: „Ich musste lernen, meinen eigenen Perfektionismus, den ich zugegebenermaßen habe, nicht auf andere zu übertragen. Vor allem beim Schreiben von Texten habe ich einen hohen Anspruch an mich selbst, aber jeder kommuniziert anders.“ Und überhaupt: Kein Team müsse perfekt sein, „unsere Community schätzt diese Haltung sehr“.

Mittlerweile hat sie 13 Angestellte, in den Morgenrunden mit dem Team kann jede sagen, wie es ihr gerade geht.  Bis auf Freund Georg hat Könnecke nur Frauen angestellt, „weil sich kaum Männer beworben haben“.

Auch die Produkte sprechen eher Kundinnen an. „Mit Ecken und Kanten“ zog über einen Zwischenstopp in Nürnberg nach Fürth. Im Lager findet sich über Food-Produkte, Trinkflaschen aus Glas, nachhaltig und fair hergestellte Mode, Yogamatten von hejhej-mats, Kosmetik und Wohnaccessoires viel Faires mit kleinen Macken. Versendet werden die Bestellungen mit DHL Go Green: Die CO2-Emissionen werden durch eine Pauschale, die in Klima-Projekte fließt, ausgeglichen.

Viele kleine Schritte gehen

Könnecke möchte die Welt verändern, ohne von sich und anderen Perfektionismus zu verlangen. „Ich reduziere privat Plastikmüll, aber komplett kriege ich das nicht hin. Ich gebe mein Bestes, gehe aber nicht in fünf verschiedene Läden, um zu hundert Prozent plastikfrei einzukaufen. Das ist mir zu stressig.“ Es brauche viele Menschen, die kleine Schritte gehen, und nicht wenige, die perfekt sind.

Klamotten kauft sie kaum, viele Secondhand. Der Film „The true cost“ von 2015, in dem die unmenschlichen Produktionsbedingungen der Kleidungsindustrie gezeigt werden, war schließlich einer der kleinen Baustein, die sie dazu brachten, nachhaltig zu wirtschaften und zu leben.

Auf der Seite von Mit Ecken und Kanten geben Könnecke und ihr Team immer wieder Tipps und Infos zu Themen wie Greenwashing oder Entschleunigung weiter. Das Business als gesellschaftlicher Auftrag mit dem Ziel, die Welt etwas besser zu machen – das ist der Kern nachhaltigen Wirtschaftens. Tatsächlich werde der Wunsch nach einem wirtschaftlichen Wachstum, das ökologisch sinnvoll ist und die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt, immer größer, freut sich Könnecke. Die Pandemie habe wie ein Katalysator gewirkt. Jetzt bleibe zu hoffen, dass der Effekt nicht wieder verpufft.