Ich will mir doch nicht sagen lassen, dass ich bis zum 20. August möglichst alle Spiele der Frauenfußball-Weltmeisterschaft gucken muss, nur weil ich eine Frau bin. Ich will mir die Spiele anschauen, auf die ich Lust habe. Viele werde ich ohnehin verpassen, weil sie wegen der Zeitverschiebung zwischen Neuseeland, Australien und Europa viel zu früh morgens im TV laufen.
Live mit dabei zu sein und das am besten beim Public Viewing, weil das ein gutes Symbol für die gemeinschaftliche Solidarität mit dem Frauenfußball ist – haben wir da jetzt einen feministischen Auftrag? Ich frage Birgitt Glöckl, die Leiterin der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg. „Die Frauen-Nationalteams brauchen keine öffentlichen Zeichen mehr, um sich unterstützt zu fühlen, denen geht es verhältnismäßig gut“, meint die Kulturwissenschaftlerin. Sie persönlich sei ohnehin kein Fan von Public Viewing. „Ich schaue wegen dem Fußball zu und nicht wegen der Stimmung. Was ich allerdings klasse fände, wären Live-Übertragungen im Kino auf der großen Leinwand. Da könnte man sich voll aufs Spiel konzentrieren.“
„Zeigt die Spiele und zahlt“
Wer sich Frauenfußball in Großaufnahme beguckt, sieht grobkörnig, was auch 2023 noch so alles schief läuft für die Kickerinnen. Nach der erfolgreichen Frauenfußball-Europameisterschaft 2022 galt das Geschäft mit den weiblichen Profis als immer gewinnträchtiger. Wenn aber der Markt für Frauenfußball wachse, dann müsse für die Übertragungsrechte der WM auch genauso viel bezahlt werden wie für das Weltturnier der Männer, argumentierte die Fifa in diesem Jahr listig bei den Verhandlungen mit den Sendeanstalten. Das grenzte an Erpressung, meint Glöckl. Sie hätte es als Gebührenzahlerin verstanden, wenn die TV-Stationen aus dem Handel ausgestiegen wären. „Aber für den Feminismus muss man natürlich sagen: Zeigt die Spiele und zahlt!“
32 Mannschaften treten in Australien und Neuseeland an, den ersten Sieg des Turniers fuhren überraschend die Neuseeländerinnen gegen die Norwegerinnen ein. Equal Pay, also die gleiche Bezahlung aller Profis im Fußball, wurde in Australien 2018 eingeführt. Damit ist Down Under die absolute Ausnahme und auch aus feministischer Sicht ein gut gewählter Austragungsort.
In Deutschland studieren Profi-Kickerinnen nebenbei, machen eine Ausbildung, verdienen Geld. Weil die Bezahlung durch die Vereine ein Witz ist. Laura Lücker, bis vor kurzem Torfrau der ersten Frauenmannschaft des 1. FC Nürnberg, verdiente 450 Euro, als sie noch mit Duisburg in der 1. Bundesliga spielte. Profisport als Minijob – für die Männer unvorstellbar.
Bei den Kickerinnen ist Mindestlohn ein Thema
Kein Wunder, dass die Kickerinnen der deutschen Nationalmannschaft zumindest ähnlich gute Bedingungen fordern, wie es sie bei den Männern gibt. Verteidigerin Kathy Hendrich meint damit: Zumindest neben dem harten Training und den vielen Spieltagen nicht mehr jobben zu müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. Lina Magull schrieb ihre Bachelor-Arbeit über einen Mindestlohn für Spielerinnen. Frauenfußball werde immer professioneller, also müsse auch mehr Geld in ihn fließen, fordert sie.
In Sachen Bezahlung sei Union Berlin aktuell vorbildlich, erzählt Glöckl. „Die spielen in der Champions League und haben jetzt auch den Frauen Profi-Verträge gegeben mit anständiger Bezahlung, obwohl das nicht der Liga entspricht, in der sie antreten.“ Im Fußball, der sich vor allem als Geschäft versteht, haben die Frauen nur eine Chance auf bessere Arbeitsbedingungen, wenn mehr Geld reinkommt. Klar, die Zahl der Zuschauenden beim Frauenfußball steigt, in der Spielzeit 2022/2023 kamen 359 428 Fans. Das waren im Schnitt 2723 Gäste pro Spiel – aber damit immer noch deutlich weniger als bei den Spielen der Männer.
Wenn die Clubs den Frauen schon deutlich weniger zahlen, dann könnten sie doch zumindest durch die Arbeitsbedingungen gute Kickerinnen an sich binden wollen, fordert Glöckl. Gute Trainingsbedingungen auf anständigen Plätzen gehören dazu, ebenso attraktive Anstoßzeiten für die Spiele und eine gute medizinische Betreuung.
Doch vieles laufe da immer noch in die falsche Richtung, Beispiel Familiengründung. Für aktive Spielerinnen sei das immer noch eine Riesensache.
Kaum ein Fifa-Verband setzt Mutterschutz um
Seit 2021 schreibt die Fifa zwar Mutterschutzregeln vor und professionelle Fußballerinnen haben Anspruch auf einen Mutterschaftsurlaub von mindestens vierzehn Wochen. In dieser Zeit müssen die Vereine ihnen mindestens zwei Drittel des Gehalts auszahlen, sie dürfen die Spielerinnen nicht entlassen und müssen sie nach der Geburt wieder in den Spielbetrieb aufnehmen. Doch laut Spielervertretung Fifpro setzt nur eine Minderheit der Fifa-Verbände die Vorschriften bislang um .
Sara Björk Gunnarsdottir, Kapitänin der isländischen Fußballerinnen und zweifache Champions-League-Siegerin, hat gegen ihren früheren Arbeitgeber Olympique Lyon geklagt und gewonnen. Der Verein hatte ihr am Ende ihrer Schwangerschaft nicht mehr den vollen Lohn gezahlt und eine Weile gar nichts mehr überwiesen.
Dass das Tribunal des Weltfußballverbands entschieden hat, dass Olympique Lyon an Gunnarsdottir 83 000 Euro nachzahlen muss, kann als Sieg für alle weiblichen Profis und deutlicher Fingerzeig an die Clubs gedeutet werden.
„Immer mehr Spielerinnen wollen nicht bis zum Ende ihrer Karriere warten, bis sie ein Kind bekommen“, sagt Glöckl. Familienfreundlichkeit stünde den Vereinen gut zu Gesicht. Dass Nationalspielerin Melanie Leupolz jetzt mit ihrem neun Monate alten Sohn und der Nanny zur WM geflogen ist, auf Kosten des Deutschen Fußballbunds, sei nicht selbstverständlich. Oft gelte eine Schwangerschaft noch als Krankheit und die Kickerinnen seien finanziell nicht abgesichert. Laut Fifpro boten 2017 nur drei Prozent der Erstligisten im Frauenfußball weltweit Kinderbetreuungsplätze an.
Almuth Schult stand sechs Monate nach der Geburt ihrer Zwillinge wieder auf dem Platz
Frauen starten in die Profikarriere ohne Aussicht auf lukrative Bezahlung, sie arbeiten oft nebenbei und wenn sie ein Kind bekommen, bezahlen sie das mit einer enormen körperlichen Belastung und finanziellen Einbußen. Und das oft ohne angemessene Sicherheiten und mit dem Druck, schnell wieder Leistung bringen zu müssen, um auch künftig regelmäßig bei Spielen eingesetzt zu werden. „Torhüterin Almuth Schult stand schon sechs Monate nach der Geburt ihrer Zwillinge für den Vfl Wolfsburg wieder auf dem Platz“, erzählt Birgitt Glöckl, die selber Zwillinge hat und sich die körperlichen Strapazen kaum vorstellen mag. „Aber für Almuth Schult war klar, dass sie schnell wieder zurückkommt, weil sie eben Sportlerin ist, das ist ganz einfach ihr Job.“ Die 31-jährige Spielerin wird im August ihr drittes Kind zur Welt bringen und will danach auch bald zurück auf den Platz.
Fußballerinnen trainieren auf den schlechteren Plätzen, zu den schlechteren Zeiten als die Männer. Wenn ein Mädchen Karriere im Fußball machen will, dann muss es sich selber informieren, welcher Verein gute Förderung anbietet. „Tutoring für Mädchen wäre sinnvoll“, sagt Glöckl. Während Jungs in den Sport-Internaten und Leistungszentren wissen, dass sie wenn es gut läuft mal das große Geld machen können, brauchen die Mädchen viel mehr Motivation, Willen und Begeisterung für den Sport, der ihnen keinen Reichtum bringen wird.
Und was kann die Fußball-WM 2023 jetzt den Spielerinnen bringen an Wandel, Besserungen, neuen Perspektiven? Kann sie das überhaupt? Zunächst mal soll das Turnier Spaß machen, den Spielerinnen und den Fans, findet Glöckl. Sie wünscht sich Hintergrundbericht, auch über das, was die Frauen insgesamt leisten. Und eine Berichterstattung, die Fehlpässe und schlechte Spielzüge klar benennt. Frauenfußball brauche keinen Schonraum, „da muss nicht alles bejubelt werden, nach dem Motto: Ach, die können ja wirklich spielen, die Frauen!“
Wenn das deutsche Team weit kommt, dann könne so etwas entstehen wie ein „Mitredezwang“. „Dann gucken viele zu und das Team gewinnt an Bekanntheit.“
„Die WM kann mehr Mädchen für Fußball begeistern“
Und das mit dem big business? „Ich habe noch nicht gesehen, dass es jetzt anlässlich der WM an jeder Ecke Spielerinnen-Trikots gäbe“, bei Fan-Artikeln sei noch Luft nach oben. Die WM könne dem Mädchenfußball aber durchaus einen Schub geben.
97 509 Mädchen bis 16 Jahren spielen in Deutschland in einem Verein Fußball – zum Vergleich: Über eine Millionen Jungs bis zum 18. Lebensjahr stehen auf dem Platz. Wenn Vereine jetzt für ihre Mädchenteams Public Viewing anbieten, sei das gut für die Leidenschaft für den Sport und ziehe vielleicht mehr Mädchen in die Vereine. Wenn Mädchen in den Trikots ihrer Idole vor dem TV sitzen, kommt vieles zusammen: Spaß, Leidenschaft und die Lust, es selber in den Stollenschuhen weit zu bringen. Ohne Unterstützung durch die Vereine und auch die Politik, die Geld geben muss für Plätze und Infrastruktur, wird es mit dem großen Geschäft und der Gleichstellung im Fußball aber nichts. WM hin oder her.