Twitter ist so etwas wie ihr digitales Zuhause, in der Mittagspause geht sie gerne joggen. Ansonsten: Fahrrad statt Auto, Romane gern Langstrecke, Austausch mit anderen immer gern. Mareike Lüken erhielt 2019 die Auszeichnung als eine von „100 Führungsfrauen in der Mobilitätsbranche“, Kategorie: Influencerin. Ihr Ziel: Die Mobilitätswende.
Ich spreche mit der Mönchengladbacherin, die sich bei der Firma Scheidt & Bachmann als „Head of Marketing & Product Sales“ mit Vertriebstechnologie für den öffentlichen Nahverkehr beschäftigt, darüber, warum sie sich digital stark macht für Mobilitätswende und Chancengerechtigkeit.
Doch zu Beginn unseres Zoom-Gesprächs bitte ich Mareike Lüken um ihre Kennenlerngeschichte mit Digitalcoachin Saskia Listle. Diese hatte sie als Interviewpartnerin für Flamingo und Dosenbier vorgeschlagen – nachzulesen in der Weiterempfehlung unter dem Porträt von Saskia Listle.
Liebe Frau Lüken, wie haben Sie und Saskia Listle sich kennengelernt?
Mareike Lüken: Das war im Januar 2020 bei einem Working Out Loud-Circle. Wir waren fünf Frauen und wollten uns gegenseitig stärken. Saskias Ziel war es, sich auf ihre Auftritte als Speakerin bei zwei anstehenden Konferenzen vorzubereiten. Ich konnte ihr dafür etwas aus meiner Erfahrung weitergeben und sie unterstützte mich mit ihrem Know-how über Vertriebsfragen.
Eigene Erfahrungen weiterzugeben ist Ihnen ein großes Anliegen. Auf Twitter sind Sie zum Thema Digitale Transformation aktiv und geben Denkanstöße zur Mobilitätswende. Auf LinkedIn haben sie mit zwei Mitstreiterinnen in diesem Frühjahr zu einer Veranstaltungsreihe über „Das kleine Glück“ eingeladen und mit Gästen darüber nachgedacht, wie wir diesem näher kommen. Woher kommt Ihr Wunsch zum digitalen Austausch?
Hm, eine schwierige Frage. Wenn ich darüber nachdenke, dann hat es wohl zwei Gründe. Seit ich vor wenigen Jahren in die digitalen Netzwerke eingetaucht bin, habe ich so viele Inspirationen bekommen und konnte von vielen Menschen lernen, die ihre Erfahrungen in Posts, Podcasts oder Interviews teilen. Das finde ich so wunderbar, dass ich es ähnlich machen wollte. Jetzt schreibe ich über meine Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse und höre weiter mit großen Ohren den anderen zu.
Andererseits bin ich jetzt 40 Jahre alt und in den digitalen Netzwerken erst aktiv seit ich Mitte 30 war. Ich startete zu einem Zeitpunkt, als mir klar wurde, dass man Dinge nur tun kann, wenn man sie auch tut. Keiner kann meine Gedanken lesen, ich muss schon sagen was ich will. Davor hatte ich im Bereich digitale Kommunikation in der Firma neue Aufgaben übernommen, aber die Dinge liefen für mich nicht in die richtige Richtung. Es war dann der Geschäftsführer, der mir neue Wege aufzeigte und ich dachte mir: Wie blöd ist das denn? Warum konnte ich nicht direkt sagen, was ich möchte? Ich glaube, vieles hängt mit der Sozialisation zusammen. Mädchen bekommen eher vermittelt: Warte bis du aufgerufen wirst, bevor du sprichst. Aber wenn du etwas willst, dann musst du es auch ungefragt sagen.
Sie wurden als wichtige Influencerin in der Mobilitätsbranche ausgezeichnet, wie schaffen Sie es, andere für Ihre Anliegen zu gewinnen?
Ich bin anfangs in Twitter irgendwie reingerutscht. Aber wenn ich dort Dinge gestartet habe, wollten andere oft schnell mitmachen. Das war natürlich toll. Ich stelle mich selber eigentlich gar nicht so gerne in den Fokus, sondern möchte Innovation treiben und Zukunft mitgestalten. Für mich bedeutet Netzwerken, über digitale Medien Gemeinschaften zu finden zu Themen, die ich bewegen möchte. Dieser Community-Gedanke ist mir wichtig.
Das Auto ist nicht immer die beste Wahl
Sie transportieren lieber Ich-Botschaften und keine kategorischen Forderungen, damit erreichen Sie auf Twitter immerhin 2193 Follower. Wie können Sie auf diese Weise aber die Mobilitätswende vorantreiben?
Das stimmt, ich streite mich nicht gerne oder stehe im Kreuzfeuer. Beim Thema Verkehr zeige ich Alternativen zum Auto auf und versuche zu vermitteln, wie viel mehr Spaß es machen kann, mit dem Rad zu fahren oder Wege zu Fuß zu erledigen. Ich habe zum Beispiel vor zwei Wochen eine Freundin am Bodensee besucht und bin mit dem Auto gefahren, weil es mir praktischer erschien. Aber der Verkehr war die Hölle! Das Auto ist halt nicht immer die beste Wahl. Im Sommer mit dem Rad durch die Stadt zu fahren ist zum Beispiel total schön. Ich will Lust auf Alternativen machen. Da ist es viel leichter zu zeigen, wie schön es gerade im Sommer ist, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren. Ich glaube an die Wirkung geteilter Erfahrungen. Wem zum Beispiel einmal bewusst geworden ist, wie vollgestellt der öffentliche Raum mit Autos ist, der ist vielleicht inspiriert darüber nachzudenken, wie diese Flächen noch genutzt werden könnten.
Was sind Ihre Visionen für eine neue Mobilität?
Wir müssen weg vom Autozentrismus, hin zu einer gerechten Mobilität für alle, die am Verkehr teilnehmen. Wir brauchen eine Sharing-Community mit den besten Lösungen für alle und insgesamt weniger Verkehr, Emissionen und Lärm. Es kann doch nicht sein, dass wir uns vorstellen können Weltmeister zu werden oder Pakete mit Drohnen zuzustellen, es aber für unmöglich halten, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern!
Beruflich befassen Sie sich mit der Frage, wie Verkaufssysteme für Fahrkarten im öffentlichen Nahverkehr kundenfreundlicher werden können. Was ein wichtiger Punkt ist, auch im Großraum Nürnberg erinnert das Tarifsystem an einen undurchdringlichen Dschungel. Sie sind in einer technikgetriebenen und männerdominierten Branche unterwegs. Wie wichtig ist Ihnen die Vernetzung mit Kolleginnen?
Sehr wichtig. Denn obwohl ja alle in der Gesellschaft in irgendeiner Weise mobil sind und der öffentliche Nahverkehr zu über 50 Prozent von Frauen in Anspruch genommen wird, arbeiten unter 20 Prozent Frauen in der Mobilitätsbranche. Technische Entwicklung und Planung übernehmen zu über 80 Prozent Männer. Bei den Führungspositionen ist ihr Anteil noch höher. Da ist es ein wichtiger Punkt, sich mit Kolleginnen auszutauschen und für gendergerechte Mobilität zu sensibilisieren.
Netzwerk für die Mobilitätswende
Sie sind seit zwei Jahren Mitglied bei Women in Mobility (WiM) und haben 2020 den Hub in der Region Rhein-Ruhr mit aufgebaut. Das Netzwerk engagiert sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Branche. Auch, aber nicht nur, in Führungspositionen. In Franken haben sich ebenfalls Frauen unter dem WiM-Dach organisiert. Können Sie tatsächlich verändern, wer die Entscheidungen über die Zukunft der Mobilität fällt?
Zumindest ist es für uns ein zentrales Anliegen, die Strukturen zu verändern. Dabei hilft es, dass wir gut in Unternehmen vernetzt sind. Zu unseren Supporterinnen und Supportern gehört zum Beispiel auch Sigrid Nikutta, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Bahn. Die Gründerinnen der WiM werden oft auch nach Speakerinnen für Branchen-Veranstaltungen angefragt. Rein männlich besetzte Podien will ja fast keiner mehr. Unsere Arbeit ist aber weniger politisch, unser Augenmerk liegt tatsächlich auf der Vernetzung und dem fachlichen Einfluss. Von der Auszubildenden bis zur Geschäftsführerin wollen wir über den persönlichen Kontakt jede einzelne stärken und mit ihren Kompetenzen sichtbar machen sowie Mentorinnen und Ansprechpartnerinnen vermitteln. Als ich das erste Mal bei einem Treffen dabei war, hatte ich sofort das Gefühl: Das ist meine fachliche Community. Davor fühlte ich mich bei Businesstreffen oft außen vor, wenn der 50-jährige Kollege mit dem 50-jährigen Kunden spricht.
Sie treten in den sozialen Medien auch für Empowerment und Chancengerechtigkeit ein. Gehören Sie zu den Führungskräften, die Kolleginnen fördern?
Unbedingt! Ich biete mich jüngeren Kolleginnen zum Beispiel als Ansprechpartnerin an. Ich frage sie, ob sie mit mir einmal im Quartal reflektieren möchten, wo sie gerade stehen und wohin sich ihre Karriere entwickeln soll. Dabei ist für mich auch der Gedanke wichtig, wie ich meine acht Stunden im Büro noch sinnvoller einsetzen und für mich glücklicher gestalten kann. Es geht für mich nicht nur um den Verdienst, sondern um die Frage, wie ich eigentlich arbeiten möchte. Ich habe leider manchmal den Eindruck, dass das die nachkommende Generation gar nicht so sehr interessiert.
Klassische Rollenverteilung verhindert Innovation
Dabei hat die doch den Ruf, besonders nachhaltig zu denken und der Work-Life-Balance einen hohen Stellenwert einzuräumen.
Ja, das stimmt. Aber ich habe zum Beispiel eine Werkstudentin in Erinnerung, die der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Arbeit erst mal gar nichts abgewinnen konnte. Nach drei Monaten sagte sie mir dann, dass sie es doch spannend findet, sich zu fragen, wie sie ihre Arbeitszeit einsetzen möchten. Sie habe nur erst mal länger darüber nachdenken müssen.
Die Generation der Frauen, die heute um die 40 Jahre und älter sind, ist ja ins Berufsleben gegangen ohne eine konkrete Vorstellung zu haben von der gläsernen Decke und den strukturellen Nachteilen für Frauen. Sind die Jüngeren heute besser vorbereitet?
Ich habe nicht den Eindruck. Einerseits ärgert es mich, dass sich die Sozialisierung gar nicht so wesentlich verändert hat. Typisches Mädchen- und Jungenspielzeug, Schubladendenken und die klassische Rollenverteilung in der Familienphase – das alles gibt es noch. Zugleich haben die jungen Frauen aber wie wir nach der Ausbildung das Gefühl, dass sie alles erreichen können und ihnen alles offensteht. Ihnen sind die Probleme nicht klar. Mir sind sie bewusst geworden, als in meinem Umkreis die Leute heirateten und die Frauen in ihren Karrieren plötzlich festhingen, weil die Arbeitgeber dachten: Jetzt hat sie geheiratet, dann kommen bestimmt bald Kinder. Beförderungen und Wechsel waren von dem Zeitpunkt an oft Männersache.
Was können wir tun, um Frauen besser für den Gender-Gap zu sensibilisieren?
Ich rede darüber ganz offen mit meinem Team, auch mit den Männern. Ich würde es toll finden, wenn Jugendliche schon in den Schulen einen Einblick in weibliche Berufsbiografien bekommen, am besten von den Frauen selbst. Die müssen nicht tolle Karrieren hingelegt haben, sondern einfach nur offen erzählen, wo sie Benachteiligung erlebt haben. Das könnte etwas in den Köpfen von Mädchen und Jungen verändern.