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In vielen Ländern gehen Menschen auf die Straße, um für die Rechte der Frauen und eine freie Gesellschaft im Iran zu kämpfen.

Ute Möller
21.10.2022
Lesezeit: 5 Min.

„Mein erster Gedanke morgens gilt meinen Verwandten im Iran“

Nasrin lebt in Nürnberg, doch ihr Herz und ihre Gedanken sind im Iran. Sie berichtet von einem Leben im Ausnahmezustand und der Hoffnung auf Wandel

Nasrin schläft seit Wochen nachts kaum. Wenn die Iranerin, die aus Angst vor möglichen Folgen in diesem Artikel nicht bei ihrem echten Namen genannt werden möchte, um 6 Uhr morgens in Nürnberg aufsteht, schaut sie als erstes in die sozialen Netzwerke, um möglichst viel darüber herauszufinden, was über Nacht im Iran passiert ist.  Sie versucht regelmäßig mit ihrem Bruder, einem Professor an der Universität in Teheran, zu kommunizieren. Über das Internet wir das immer schwieriger. Kanäle, die vor den Protesten im Iran offen standen, sind unzuverlässig geworden. Das Regime riegelt die Kommunikation ins Ausland ab.

Wenn die 63-Jährige mit ihrem Bruder sprechen kann, erzählt er ihr von den Studentinnen und Studentinnen, die verhaftet wurden. „Er leidet, ist entsetzt über jede und jeden, der plötzlich nicht mehr in die Hochschule kommt. Auch die Professoren werden unter Druck gesetzt. Mitarbeiter des Geheimdienstes sitzen in den Universitäten, sie hören mit, was gesagt wird“, sagt Nasrin. Sie verließ 2000 den Iran. Dort hatte sie in einem Labor gearbeitet, in Nürnberg machte sie eine  erzieherische Ausbildung und unterstützt jetzt geflüchtete Frauen im Asylverfahren. Viele kommen aus dem Iran, ihr Netzwerk ist groß.

Schon Siebtklässler protestieren

Nicht nur, dass Geheimdienstleute in Hochschulen und andernorts mithören. Kameras sehen an vielen Orten im Iran mit, unter anderem an den Schulen. „Schon Siebtklässerinnen rufen Parolen gegen die iranische Regierung, auch Kinder werden verhaftet.“ Und ermordet, es gibt die Zahl von 23 toten Kindern. Mädchen, die das Kopftuch nicht mehr tragen. Kinder, die für Freiheit eintreten. Die Härte, mit der das Regime vorgeht, ist unvorstellbar. Und doch ist sie real.

Seit fünf Wochen gehen die Menschen im Iran auf die Straße für eine freie Gesellschaft. Es begann mit den Kundgebungen nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini, die das Kopftuch nicht „richtig“ trug und dafür sterben musste. „Jetzt werden die Mädchen gezwungen, in die Schule zu gehen, mit Kopftuch“, erzählt Nasrin. Die Mädchen müssten erklären, dass sie sich an die Regeln halten. Sie habe Videos aus Schulen gesehen, in denen Mädchen im Hintergrund aufsagen, dass sie es richtig finden, das Kopftuch zu tragen.

Seit fünf Wochen kämpfen die Menschen im Iran für Gleichstellun und ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Für einige ist das längst eine Revolution, mit ungewissem Ausgang. Foto: Unsplash

„Die Menschen möchten endlich frei reden können. An den Hochschulen wollen sie sich offen austauschen über Wissenschaft, Forschung, Kunst“, sagt Nasrin. Für uns in Deutschland ist das selbstverständlich, umso unverständlicher ist das bisher schwache politische und mediale Echo auf den Kampf der Iranerinnen und Iraner um eine freie Gesellschaft.

Schwaches politisches Echo auf die Proteste im Iran

Der Schriftsteller und Friedenspreistäger Navid Kermani aus Köln kritisiert in der Wochenzeitung Die Zeit, dass es sich derzeit als Iraner falsch anfühle, in einem Deutschland zu sein, „wo kaum jemand um den Iran bekümmert zu sein scheint“. Nicht im Kulturbetrieb, nicht in der Politik.

Nasrin kritisiert, dass die erst in dieser Woche beschlossenen EU-Sanktionen die kleinen Leute treffen. Die Einreiseverbote nach Deutschland, unter anderem für Mitglieder der Sittenpolizei, werden ihrer Meinung nach nichts ausrichten. Nachdem der Iran Drohnen an Russland geliefert hat für den Krieg in der Ukraine, folgten jetzt weitere EU-Sanktionen. Gegen das Unternehmen Shahed Aviation Industries sowie drei ranghohe Militärs.

Proteste von diesem Ausmaß habe sie im Iran noch nie gesehen, sagt Nasrin. „Die Menschen werfen mit Steinen, mehr haben sie nicht, und sie werden beschossen, niedergeprügelt und ermordet.“ Sollten die Proteste, die für einige längst eine Revolution sind, niedergeschlagen werden, fürchtet sie sich vor dem, was dann käme. „Dann würden all die Menschen, die jetzt bei Protesten gefilmt werden, verfolgt und verhaftet.“ Wenn die Welt nicht mehr hinsieht, würde Furchtbares passieren, fürchtet sie.

Wenn ich verschwinde, wurde ich ermordet

Besonders aggressiv gehe die Regierung aktuell gegen die Protestierenden im Westen des Iran vor. „Auch in der schlimmsten Lage machen die Menschen Witze. Sie sagen zueinander, dass sie übrigens keine schlimme Vorerkrankung hätten und dass es deshalb ausgeschlossen sei, dass sie daran sterben. Wenn sie bei den Protesten ums Leben kommen, dann weil sie ermordet werden.“ Eine junge Iranerin habe über die sozialen Medien geteilt, dass sie weder depressiv noch selbstmordgefährdet sei. „Die Welt soll das wissen, falls sie verschwindet und Lügen über sie erzählt werden.“

Das Schlimmste der Welt zu zeigen, ist gerade für viele Protestierende im Iran wichtig. Kermani schreibt in seinem Artikel in der Zeit von mehreren Tausend Studentinnen und Studenten in der Scharif-Universität in Teheran, die ihre Diskussion live über Twitter teilten, als sie eingekesselt waren. Sie hätten sich über mangelnde Solidarität beklagt, speziell aus dem politischen Berlin. Am Samstag fährt Nasrin wie über 200 andere Iranerinnen und Iranern aus Nürnberg zu der Großkundgebung nach Berlin. Mehrere Tausend werden dort protestieren bei der Freedom Rally for Iran, der Titel „The Time has come“.

Iranerinnen und Iraner in Nürnberg und vielen anderen Städten leiden mit ihren Verwandten und Freunden, die im Iran jetzt auf die Straße gehen. Viele kommen zu Kundgebungen außerhalb des Iran, so wie am 22. Oktober in Berlin mehrere Tausend erwartet werden. Auch Nasrin wird dabei sein. Foto. Unsplash

Angst vor dem Gang zum Konsulat

Wie sollten die 63-Jährige und ihre Freunde hier in Nürnberg schlafen, wenn Verwandte und Freunde im Iran sterben? „Der Neffe von Bekannten wurde ermordet. Viele versuchen jeden Morgen als erstes, mit Verwandten Kontakt aufzunehmen.“ Zugleich erhalten viele Iranerinnen und Iraner in Deutschland die Aufforderungen, zum iranischen Konsulat zu gehen, um Passangelegenheiten zu erledigen. Wer dem nicht nachkomme, schade seinem Asylverfahren, „die Menschen haben jetzt aber Angst, zum Konsulat zu gehen“. Nasrin fordert, dass sich politische Parteien dafür einsetzen, dass die Iranerinnen und Iraner sich diesem Druck  nicht aussetzen müssen.

Viele haben von der iranischen Klettermeisterin Elnas Rekabi gehört, die bei den Asienmeisterschaften in Seoul demonstrativ das Kopftuch ablegte, bevor sie die Wand erklomm. „Sie wurde nach den Wettkämpfen in den Iran entführt, jetzt wird sie sich öffentlich für ihre Aktion entschuldigen müssen“, erzählt Nasrin.

Wenn die Proteste nichts öndern, wird es noch schlimmer im Iran

Viele Iranerinnen und Iraner in Nürnberg hätten kein Geld für die Bus- oder Zugfahrt zu der Kundgebung nach Berlin. Sie seien auf finanzielle Unterstützung durch andere angewiesen. „Viele leben in der Zeit des Asylverfahrens in beengten und schwierigen Verhältnissen.“ Sie begleitet sie durch das Verfahren, „eine 22-jährige Weltmeisterin im Kampfsport wohnt in Nürnberg in einer Unterkunft auf sieben Quadratmetern, es ist laut und sie kann kaum lernen.“ Dabei möchte sie sich schnell weiterbilden für die neue Arbeit, das neue Leben in Nürnberg. Nasrin fordert schon lange Unterkünfte ausschließlich für Frauen.

Sie ist überzeugt: „Wenn sich durch die Proteste im Iran nichts ändert, dann wird es schlimmer.“ Deshalb sei jede Unterstützung aus dem Ausland wichtig. Wenn sich in Europa Frauen die Haare abrasieren, darunter 50 französische Schauspielerinnen und deutsche Prominente wie Meret Becker und Katharina Thalbach, und das auf Instagram posten, gebe das Kraft. Zeichen der Solidarität seien deshalb wichtig, politische Zeichen ersetzen sie aber nicht.