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Christiane Schleindl (re.) mit der Jury des Nürnberger "Heimat!"-Filmfestivals vor zehn Jahren.

Ute Möller
15.01.2024
Lesezeit: 6 Min.

„Können Sie überhaupt die Kamera tragen?“

Christiane Schleindl ist eine Pionierin des nicht-kommerziellen Kinos: Zum letzten Mal hat sie das "Heimat!"-Filmfestival kuratiert

Frauenkarrieren im Kino – „da haben wir noch lange keinen Idealzustand“, sagt Christiane Schleindl. Die Leiterin des Filmhaus Nürnberg macht seit 1981 Kino. Leidenschaftlich, mit dem Fokus auf Qualität, auf künstlerische Handschriften, die sich einprägen in die Erinnerung.

„Frauen habe heute größere Chancen in der Filmbranche mitzuspielen“, meint Christiane Schleindl. Doch Unterschiede, Lücken in der Chancengleichheit, die gebe es weiterhin. Es ist also kein Zufall, dass sie bei dem letzten „Heimat!“-Filmfestival, das sie mitverantwortet, den Fokus auf „Starke Frauen und Kino“ legt.

Bereits elfmal fand „Heimat.Das Filmfestival“ in Nürnberg statt. Veranstaltet wird es vom Bezirk Mittelfranken, dem Landesverein für Heimatpflege und dem Filmhaus Nürnberg. Christiane Schleindl und Bezirksheimatpflegerin Andrea Kluxen haben das Festivalprogramm viele Male zusammen gestaltet, in diesem Jahr zum letzten Mal. Beide gehen in den Ruhestand. „Wir wollten das Thema Frauen in der Filmbranche schon lange vertiefen, jetzt klappt es zum Abschluss noch damit“, freut sich Schleindl. Start ist am 18. Januar 2024 im Filmhauskino in der Königstraße.

Christiane Schleindl will Frauen Mut machen, ihren Weg zu gehen. Foto: oh

Heimat und Genderstereotype  – bei der Kombination geht bei vielen sofort das Kopfkino los.  Sissi, Die Mädels vom Immenhof – süßliche Heimatstreifen mit einem nie wirklich gefährdeten Zuckerguss aus Harmonie habe ich selber als Teenager gerne angeschaut. Das zuzugeben ist schon etwas peinlich. Das Märchenidyll der Heimatfilme der 50er Jahre sei für viele auch heute noch ein Sehnsuchtsort, meint Schleindl.  Sie wolle jedoch lieber zeigen, dass Filmemacherinnen erfolgreich neue Position zum Thema Heimat gefunden haben.

„Globaler“ Heimatbegriff bei Doris Dörrie

Das „Heimat!“-Filmfestival zeigt mit „Kirschblüten – Hanami“ und „Grüße aus Fukushima“ bekannte Filme der Regisseurin Doris Dörrie. Diese zeigt gerne Menschen auf Reisen, „die unterwegs sind und nach Ihren Wurzeln suchen.“ Der Heimatbegriff sei für Dörrie „global“. „Heimat ist dort, wo Menschen sind, die man liebt, wo man etwas für sich entdecken kann.“

Der Begriff Heimat ist gerade besonders aktuell. Viele Menschen verlassen ihre Heimat, wollen andernorts ankommen, landen aber in einem Europa, das sich politisch in einer „Flüchtlingskrise“ wähnt. Ankommende sind oft nicht (mehr) willkommen. Ihre Hoffnungen zählen nicht, sie sind vielmehr eine Belastung. Der Blick auf das individuelle Schicksal spielt immer weniger eine Rolle.

Das Plakat zum Festival, das vom 18. bis 21. Januar 2024 im Filmhaus Nürnberg stattfindet. Foto: Möller

Der Heimatbegriff im Film changiert, ist mehr als naives Idyll und Sehnsucht nach Harmonie. Heimat könne bedrohlich und beengend sein, wenn Menschen aus ihr flüchten müssen sagt Schleindl. Menschen finden eine neue, haben zwei Heimaten. Sie bilden neue Wurzeln, die wachsen entlang und neben bestehenden Verwurzelungen. Die Verbindungen zwischen alter und neuer Heimat sind komplex und immer in Bewegung.

Gisela Schneeberger kommt nach Nürnberg

Das „Heimat!“-Filmfestival zeigt auch Werke der gebürtigen Nürnbergerin Sophie Linnenbaum, die in Berlin arbeitet und in ihren Filmen immer wieder starke Frauen zeigt, die sich gegen Widrigkeiten durchsetzen. Zu sehen sind bis 21. Januar 2024 auch Filme mit  der bayerischen Schauspielerin Gisela Schneeberger. Kurzfilme junger Filmschaffender, Fotos, die Agnes Varda 1960 in Dinkelsbühl machte , ihr Film „Die Sammler und die Sammlerin“ und der Stummfilm „The Patsy“ von King Vidor komplettieren das Festivalprogramm, bei dem der Austausch mit den Künstlerinnen eine wichtige Rolle spielt.

Doris Dörrie erzählt von ihrem Weg zum Erfolg in der Filmbrache, Sophie Linnenbaum wird berichten, wie Frauen heute Einfluss gewinnen können. „Ich möchte Frauen mit dem Festival Mut machen, ihren Weg zu gehen“, sagt Christiane Schleindl. „Wir sind auf dem Weg dahin, dass Frauen die gleichen Chancen haben wie Männer. Weg von der Haltung: ,Die Frau ist das Problem, das wir gerade nicht brauchen können.‘ Aber angekommen sind wir noch nicht.“

Auch für die Werke junger Filmschaffender interessiert sich Christian Schleindl – das Foto zeigt sie als Mitglied der Jury des Mittelfränkischen Jugendfilmfestivals. Foto: oh

Frauen finden sich eher in der zweiten Reihe, wenn es um Einfluss geht. Laut Pro Quote Film, einem politisch aktiven Zusammenschluss von Regisseurinnen, wird nur jeder fünfte Kinofilm von einer Frau inszeniert. Filme von Frauen erhalten maximal 20 Prozent der Bundes-Fördermittel.

Christiane Schleindl erlebte offenen Sexismus, als sie sich 1979 beim Bayerischen Fernsehen als erste Frau um eine Hospitanz hinter der Filmkamera bewarb. „Ich wurde gefragt, wann ich denn wohl schwanger werden würde und ob ich überhaupt eine Kamera tragen könne.“ Damit hatte sie nicht gerechnet, „immerhin hatte es ja die Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre gegeben, ich dachte, wir wären schon weiter“. Die Hospitanz trat sie nicht an, ihre Karriere als Kamerafrau war beendet, bevor sie begonnen hatte.

Neue Berufung im Kinosaal

1981 fand sie eine neue Berufung und begann Kino zu machen. „Mir war immer wieder aufgefallen, dass es so viele tolle Filme gab, aber kaum jemanden, der sie mit Leidenschaft zeigte. Ich wollte solche Orte schaffen.“ Sie kreierte mit ihrem Team das Nürnberger Filmhaus, engagiert sich seit vielen Jahren für die kommunalen, also nicht-kommerziellen Kinos. Als Vertreterin des Bundesverbands kommunale Filmarbeit sitzt sie im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt.

Die Förderlandschaft kennt sie bestens, „das Fördersystem richtet sich nach dem möglichen Erfolg eines Projekts und nicht nach dem künstlerischen Anspruch“, kritisiert sie. „Filmschaffenden wird einerseits gesagt, dass sie mehr Biss haben sollen, aber zugleich sollen sie bitte nicht anecken“, das passe einfach nicht zusammen.

Kommen nach Nürnberg: Doris Dörrie und Gisela Schneeberger. Foto: Möller

Das Fördersystem müsse dringend einfacher werden. „Alle brauchen Geld, Unterstützung, ein gutes Team und dass ihre Idee gesehen wird. Auch Männer müssen sich durchsetzen und an Projekten dranbleiben, besonders in Zeiten wie diesen, wenn die Gelder in der Kultur schwinden.“

Talente müssen gesehen werden

Es gebe inzwischen einige gute Produzentinnen, aber grundsätzlich überlebe finanziell nur, wer immer mehr Filme produziert. Und Talente müssten eben auch gesehen und gefördert werden. „Wenn aber der Zuspruch hauptsächlich von Menschen kommt, die allein den finanziellen Erfolg im Blick haben, ist es schwierig.“

In ihren beruflichen Anfängen habe es nur wenige Frauen in den kommunalen Kinos gegeben, sagt Christiane Schleindl. Sie bekam auf ihrem Weg immer wieder zu hören: Lass das doch, das wird doch eh nichts. Entmutigen ließ sie sich davon nicht. Auch weil sie Mitstreiterinnen wie Christine Berg hatte. Diese ist Vorstandsvorsitzende des HDF KINO e.V., der zentralen Interessensvertretung der Kinobetreibenden in Deutschland. Zuvor war sie stellvertretende Vorständin der Filmförderungsanstalt und setzte sich dort bei der Besetzung der Gremien für die Frauenquote ein. „Man weiß längst, dass Quoten wirken, und ich bin Christine Berg sehr dankbar für ihren Einsatz“, sagt Christine Schleindl.

„Weiblicher Blick“ kann selbst zum Stereotyp werden

Die Frage nach dem „weiblichen Blick“ von Regisseurinnen – als ich in den 90er Jahren Theater- und Filmwissenschaften studierte, war die weibliche Perspektive im Unterschied zur männlichen ein gern genommenes Diskussionsthema – beantwortet Christiane Schleindl zurückhaltend. Sie spricht lieber von dem „persönlichen Blick“. „Der ist natürlich auch geprägt durch die Sozialisation und herrschende Genderstereotype“, aber das verallgemeinernde Sprechen über den „weiblichen Blick“ drohe seinerseits zum Klischee zu erstarren.

In der Debatte über Genderunterschiede nicht den Blick für das Persönliche und Individuelle zu verlieren, ist ihr wichtig. Frauen schauten bei Stoffen aus der Geschichte eher darauf, was historische Bedingungen für das Leben und den Alltag von Frauen bedeuteten. Aber die filmische Umsetzung sei eben jeweils für sich zu betrachten.

Links eine Szene aus dem Film „The Ordinaries“ von Sophie Linnenbaum, rechts ein Blick in das „Freibad“ von Doris Dörrie. Foto: Möller

Wenn Christiane Schleindl im Mai in den Ruhestand geht, wird ihr Team fortführen, was bei den vielen Festivals im Filmhaus Nürnberg inzwischen Standard ist: Filme von Frauen sind ebenso sichtbar wie die von männlichen Regisseuren. „Manchmal muss man Filme von Frauen suchen, aber es gibt sie und sie haben dieselbe Qualität“, sagt Schleindl. Die Filmwelt wandelt sich, so wie viele andere, wenn sich das Bewusstsein der Akteurinnen und Akteure wandelt. Auch in dieser Hinsicht ging Christiane Schleindl mit gutem Beispiel voran.