Die evangelische Kirche in Bayern ist von gleichberechtigten Führungsstrukturen weit entfernt. Braucht es ein Wunder, damit Frauen im Landeskirchenrat die Hälfte der Posten erhalten?
Kirche ist ja nun nicht dafür bekannt, Vorreiterin in Sachen Gleichstellung und Vielfalt zu sein. Doch die Geduld von Pfarrerinnen und Ehrenamtlichen der evangelischen Kirche im Freistaat scheint aufgebraucht zu sein. Oder anders gesagt: Es gibt gerade viele toughe Frauen in der evangelischen Landeskirche, die klipp und klar die Frauenquote für Führungsgremien fordern. Bei der Herbstsynode ab 24. November 2024 wird dieses Thema in Amberg auf den Tisch kommen. Viele Frauen in der Kirche hoffen, dass dann endlich Bewegung in die Debatte kommt.
„Wir wollen aber nicht nur hoffen und beten, sondern handeln“, sagt Brigitte Wellhöfer. Die langjährige Nürnberger Stadträtin sitzt im Leitungsteam des Arbeitskreises in der Landessynode „AEE – anders.evangelisch.engagiert“. Das Gremium ist für Revoluzzertum bekannt. Gegründet im Zuge der 68er-Bewegung, setzte es die Frauenordination durch. Jetzt sorgte das basisdemokratische Gremium mit einer Eingabe an die Synode dafür, dass es zur Debatte über die Frauenquote kommt. Aus aktuellem Anlass.
Drei von 13 Ämtern im Landeskirchenrat der evangelischen Kirche in Bayern sind ab Dezember mit Frauen besetzt. In Bayreuth geht Regionalbischöfin Dorothea Greiner in den Ruhestand, für sie nachgerückt ist jetzt die Schwabacher Dekanin Berthild Sachs. Was sich zumindest wie ein glatt gelaufener Erhalt des Status anhört, war heiß umkämpft. Denn bevor jetzt Berthild Sachs zum Zug kommt, hatte die Berufungskommission bereits dem Nürnberger Dekan Jonas Schiller den Posten zugesagt. Der zog dann zurück, offiziell aus persönlichen Gründen. Vorangegangen war aber ein Aufstand der Frauen.
„Irgendwann bewirbt sich dann eben keine Frau mehr“
Die Landshuter Dekanin Nina Lubomierski postete im Juni auf Instagram ein kämpferisches Reel, in dem sie beklagte, dass für die freie Stelle im Oberkirchenrat wie in den letzten zehn Jahren wieder mal ein Mann gewählt worden sei. Wenn man zehn Mal hintereinander keine Frau berücksichtige, dann stelle sich eben irgendwann überhaupt keine mehr zur Wahl. „Dann hat sich das Problem auf diese Weise erledigt“, sagte Lubomierski bitter und bekam dafür auf Instagram über 430 Likes.
Bereits im Frühjahr dieses Jahres hatten Kirchenmitarbeiterinnen an Landesbischof Christian Kopp und an die Nürnberger Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern jeweils eine Countdown-Box mit Zahlenschloss überreicht, die erst geöffnet werden können, sobald sechs Posten im Landeskirchenrat mit Frauen besetzt sind.
Pfarrerin Tia Pelz aus der Melanchthongemeinde in Nürnberg war in München beim Landesbischof dabei. Dieser signalisierte immerhin, dass man über eine Frauenquote sprechen könne. Ob er nun seinen Einfluss spielen ließ, damit Berthild Sachs nachbesetzt wird, ist unklar. Die Vorsitzende des Berufungsgremium, die Präsidentin der Synode Annekathrin Preidel, hatte der Forderung nach einer Quote jedenfalls eine Absage erteilt. Die Begründung: Man müsse die Besten wählen.
Dieser Satz hat nicht nur Brigitte Wellhöfer zutiefst empört, sondern auch Claudia Voigt-Grabenstein. Als Pfarrerin der prominenten City-Kirche von St. Lorenz in Nürnberg kennt sie die (Macht-)Strukturen in der evangelischen Kirche sehr gut. „Es kann doch nicht sein, dass die Besten in den letzten Jahren immer Männer waren“, sagt sie. „Außerdem ist es ein völlig intransparentes Kriterium, weil überhaupt nicht klar ist, welche Kompetenzen nötig sind, um zu den Besten gezählt zu werden.“
Sie fordert, dass das Personalreferat offenlegt, was man für eine Führungsposition in der evangelischen Landeskirche mitbringen muss.
Tia Pelz kritisiert ebenfalls strukturelle Mängel bei den Stellenbesetzungen: „Es ist doch entscheidend, ob man es für Frauen überhaupt möglich macht, Führungsaufgaben zu übernehmen. Wenn sich Frauen oft gar nicht bewerben, wie zuletzt der Landesbischof bei unserem Besuch erklärte, ist das ein Zeichen dafür, dass die Strukturen in der Organisation nicht passen.“ Die Landeskirche müsse eben in Frauenförderung, Mentoring und familienfreundliche Rahmenbedingungen investieren. „Wenn sich kaum Frauen für bestimmte Führungspositionen interessieren, sagt dies mehr über die Kirche aus als über die Fähigkeiten der Frauen.“
Stellenbesetzungen in der Landeskirche sind nicht transparent
Wobei noch nicht einmal offengelegt wird, wer sich für eine Leitungsfunktion beworben hat. Jetzt verlangen aber viele Frauen in der Landeskirche transparente Bewerbungsprozesse. Und eine Petition mit der Forderung nach Quote und Frauenförderung haben bisher 513 Personen unterschrieben.
Wenn die Strukturen nicht von denjenigen verändert werden, die sie bestimmen, dann ist die Quote ein sinnvolles Mittel. „Frauen sind die Hälfte der Gesellschaft, unter den Theologiestudierenden machen sie sogar 80 Prozent aus“, sagt Brigitte Wellhöfer. Auf der mittleren Führungsebene der Landeskirche stellen sie aber nur 30 Prozent. „Das wollen wir ändern, denn die weibliche Sicht ist eine eigene und das müssen wir in Kirche und Gesellschaft deutlich machen.“
Claudia Voigt-Grabenstein findet, dass Frauen und Männer unterschiedlich führen. „Frauen bringen eine andere Kreativität ein. Sie gehen auch mal andere als die gewohnten Wege. Außerdem sind sie besser in Multitasking als Männer.“ Im Alltag Familienarbeit und Job vereinbaren zu müssen, lasse ihnen gar keine andere Wahl.
Sie leitete 16 Jahre lang die Gemeinde in Nürnberg-Worzeldorf. Nach der Trennung von ihrem Mann, mit dem sie sich vorher die ländliche Pfarrstelle geteilt hatte, stemmte sie Kirche und drei Kinder alleine. „Wenn du deine Kinder zu Hause hast, gerade an einer Predigt schreibst und dann klingelt es an der Tür und du musst dich plötzlich um einen Sterbefall kümmern, dann geht das nicht ohne Gelassenheit. Der Pfarrberuf ist oft chaotisch und daran scheitern immer wieder vor allem Männer, die ein klares System brauchen.“
Seit zwölf Jahren leitet Claudia Voigt-Grabenstein die Pfarrstelle der prominenten Lorenzkirche, „als erste Frau seit Martin Luther“. Sie hätte sich nie hierher beworben, erzählt sie, der damalige Dekan fragte sie. Sehr naiv sei sie auf die große Pfarrstelle gewechselt. „Aber ich bin Reiterin und mein Motto ist: Wenn du ein Hindernis siehst, dann wirf dein Herz drüber und das Pferd kommt nach.“
Sie wurde von Anfang an in St. Lorenz sehr genau beobachtet. Ein Platz an so einer bekannten Kirche sei ein Machtplatz und für manchen passe es nicht, dass da eine Frau sitzt. Von den Gemeindemitgliedern sei sie schnell anerkannt worden, aber ansonsten werde genau beäugt was sie tut.
Sie will auf Augenhöhe zu den Gläubigen sprechen
Zum Beispiel ließ der Kirchenvorstand unter ihrer Leitung die hoch gebaute Kanzel schließen. In St. Lorenz werden die Menschen nicht mehr von oben herab „bepredigt“. „Das sehe ich auch eher als Möglichkeit von mir als Frau, dass ich lieber auf Augenhöhe vor den Gläubigen spreche.“ Und das muss jetzt auch der Landesbischof, wenn er St. Lorenz besucht.
Stromlinienförmig ist Claudia Voigt-Grabenstein ganz sicher nicht. Die obere Führungsebene machte ihr klar: Dein Platz als geschäftsführende Pfarrerin ist im Büro. „Dann ist die Kirche eben mein Ehrenamt.“ Sie will bei den Menschen sein und lässt sich nicht einfangen.
In Sachen Gleichstellung tue sich in der Landeskirche ein bisschen etwas, „Dekanatsfrauen werden sehr gefördert und auch in Kirchenvorständen gewinnen Frauen an Einfluss.“ In der zweiten großen Nürnberger Innenstadtgemeinde St. Sebald seien bei den jüngsten Wahlen zum Kirchenvorstand von 18 Kandidierenden sieben Frauen gewesen, „und sie wurden alle gewählt, das halte ich für ein Wunder.“
Die Kirche profitiert von Gleichberechtigung
Problematisch sei es vor allem für Pfarrerinnen, die zu selten in der Hierarchie nach oben kommen. Für Tia Pelz schwächt dies die Landeskirche: „Die Kirche profitiert von Gleichberechtigung. Denn, wie die Synodalpräsidentin Preidel betont hat, brauchen wir in diesen Zeiten die Besten. Wenn wir davon ausgehen, dass Fähigkeiten in den Geschlechtergruppen gleich verteilt sind – dass es sowohl unter Männern als auch unter Frauen starke Führungspersonen gibt, dann ist es wichtig, Chancengleichheit herzustellen.
Ab März 2024 sitzen vier Frauen im Landeskirchenrat, im Herbst wurde eine Oberkirchenrätin für einen männlichen Vorgänger berufen. Parität ist das bei doppelt so vielen Männern noch nicht. Aber sollte sich die Synode bei ihrer Tagung für eine Quote aussprechen, könnte sich der Frauenmachtanteil schneller ändern. Und ein Wunder bräuchte es dann dafür auch nicht mehr.