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Immer wieder begegne ich einem Flamingo - dieser langweilte sich in meiner Nachbarschaft bei den Mülltonnen. Natürlich habe ich ihn gerettet.

Ute Möller
21.01.2024
Lesezeit: 5 Min.

Joggen auf der Stelle, oder: Feminismus raus aus dem Hamsterrad!

Der Wochenrückblick von "FlaDo" schaut voraus in nach-woke Zeiten

Flamingo und Dosenbier wagt den Wochenrückblick dieses Mal mit einem Ausblick auf nicht-woke Zeiten. 

Feminismus macht müde. Wir joggen auf der Stelle und können uns nicht mal vormachen, dass uns die Anstrengung weiterbringt. Durch den Wald zu joggen bringt auch der Seele was, aber der Stillstand im Hamsterrad törnt einfach nur ab.

Immer wieder reden wir über dasselbe, im Januar über die Lohnlücke. Die war 2023 wenig überraschend genauso groß wie 2022 und 2021. Bundesweit bekamen Frauen statistisch im Schnitt 20,84 Euro, Männer 25,30 Euro brutto. In Bayern beträgt der Unterschied 5,61 Euro, also noch mal mehr.

Mütter, nehmt weniger Elternzeit! Darf man das sagen?

Seit 2021 ist der Gender Pay Gap stabil, aber warum beantragen Mütter auch nach der Geburt ihres Kindes im Schnitt 14,6 Monate Elternzeit und Männer nur 3,6 Monate? Warum gehen so viele Frauen in Teilzeit, sobald Kinder da sind? Warum wählen viel mehr Frauen als Männer schlechtbezahlte Jobs?

Ich habe mich gefreut, als ich heute in einem Artikel des Autors Ijoma Mangold in Die Zeit las, dass das Ende der Wokeness gekommen sei. Ich lese gerne morgens im Bett beim Kaffee Zeitung. Von Mangold fand ich dort den schönen Satz „Die Wo­ke­ness-Wel­le hat sich an sich selbst er­schöpft: Die Ide­en ha­ben nichts Sub­ver­si­ves mehr und ver­mö­gen schon des­halb we­der die Ju­gend noch die Avant­gar­de zu ent­zün­den.“

Identitätspolitische Programme sind mir grundsätzlich nicht geheuer. Ich bin eine Anhängerin ergebnisoffener, sachlicher und in jedem Fall respektvoller Diskussionen. Die können sich gerne hartnäckig und laustark am Thema abarbeiten, aber ich möchte immer nach meinen persönlichen Motiven und Motivationen gefragt werden. Mangold bringt die Krux woker Debatten auf den Punkt: „Das Trübsinnige an dieser bleiernen Zeit (der Wokeness in den Jahren zwischen 2014 und 2022: Anmerkung) war, dass die bürgerliche Mitte den Katechismus schluckte, um sich Ärger zu ersparen. So fehlte es an produktiven Debatten. Wer widersprach, fand sich gleich auf der anderen Seite des Frontverlaufs im Kulturkrieg.“

Wer zu verspielt war, flog auf die Matte

Ich möchte gerne der Annahme folgen, dass wir wieder Zeiten produktiver Debatten bekommen, die den interessierten und differenzierten Blick auf das jeweilige Gegenüber einschließen. Die letzten Jahre haben Themen wie Diversität, Antirassismus und ein wachsendes Bewusstsein für rassistische Strukturen, Selbstbestimmung und das Recht auf Selbstdefinition, sowie Gleichstellung und Genderunterschiede gleichsam wie im Boxring hart verhandelt. Kein Schlag durfte sein Ziel verfehlen, wer zu verspielt war, herumtänzelte und den Blick schweifen ließ, flog auf die Matte.

Auch Feminismus beinhaltet erstarrte Debatten, die unter Feministinnen ritualisiert immer und immer wieder geführt werden.

Ich erinnere mich gut an das Gespräch mit einer Ingenieurin vor über zwei Jahren beim Sommerfest eines Nürnberger Frauennetzwerks. Sie war, wir ich bald erfuhr, eine alleinerziehende und wütende Mutter zweier Kinder. Ihr Ex-Mann habe sich nach der Geburt der Kinder zu wenig gekümmert, ihre Karriere habe darunter gelitten. Schließlich sei die Beziehung daran gescheitert, dass mit dem Vater keine gerechte Aufteilung der Familienarbeit zu machen gewesen sei.

Das Patriarchat als Ausrede: Mal ehrlich, ist doch doof

Die allgemeine Bemerkung von mir, dass Frauen meiner Meinung nach schon vor der Geburt ihres ersten Kindes klar machen müssten, wie sie sich das Familienleben wünschen und dafür ganz klare Regelungen einfordern sollten, konterte sie verschnupft mit dem Hinweis auf das Patriarchat. Männer hielten sich doch gar nicht an Abmachungen. Letztlich bliebe man ausgeliefert. Die Kinder allein großzuziehen, sei deshalb für Mütter mit Karriereambitionen oft die einzige Möglichkeit für ein mega anstrengendes, aber erfülltes Leben.

Jagoda Marinic schreibt in ihrem Buch „Sheroes“: „Ich kenne Länder, da heißt es: ,Schatz du hast Karriere, aber du hast auch Familie‘ – und dann endet die Karriere eben um 17 Uhr. Nach dem Motto: Sonst macht mir ein anderer die Kinder.“ Die Autorin und SZ-Kolumnistin geht davon aus, dass Frauen in Deutschland ihr Recht auf geteilte Familienarbeit  von den Vätern ihrer Kinder viel zu wenig einfordern. Sie findet deutsche Frauen im Vergleich zu Müttern aus Skandinavien, Spanien und anderen Ländern zu duldsam, zu bereitwillig schlüpften sie in klassische Rollenbilder.

In der Konsequenz verdienen sie gleichbleibend weniger als Männer. Deutschland habe tatsächlich sowohl insgesamt als auch im Vergleich zu Ländern mit ähnlich hoher Frauenerwerbstätigkeit einen der höchsten Gender Pay Gaps in Europa, teilte das DIW Berlin 2021 mit.

Vereinbarkeit als zermürbende Last

Dieses „selbst schuld“ ist natürlich kompliziert. Weibliche Sozialisation ist eine ganz spezielle und das deutsche Ehegattensplitting  zementiert die Rolle des männlichen Versorgers. Zu wenig Kinderbetreuungsplätze machen Vereinbarkeit für viele zur zermürbenden Last.

Doch Marinic hat Recht: Das Argument, dass uns patriarchale Strukturen keine andere Chance lassen, als unsere Karriere schwerpunktmäßig in Küche und Kinderzimmer zu verlagern, zählt nur bis zu einem bestimmten Punkt. Nämlich dem Beginn einer ebenfalls komplizierten, aber dennoch möglichen Eigenverantwortlichkeit.

Und hier könnten die Chancen und Wirkmächte einer erfrischten, ergebnisoffenen, feministischen Debatte in nach-woken Zeiten beginnen. Wir könnten uns, frei von persönlichen Befindlichkeiten, gegenseitig ermöglichen, neue Perspektiven einzunehmen. Uns von unseren Erfahrungen, unseren Schwächen, aber vor allem von unseren Stärken berichten.

Abweichungen von gewohnten Argumenten und Mechanismen frauenpolitischer Arbeit und feministischen Wirkens könnten wir nicht als Angriffe auf die eigene Haltung sehen. Sondern als Eröffnung eines Debattenraum, in dem Neues möglich wird. Wir fordern schon so lange die Quote oder Parität auf Wahllisten. Wir organisieren weibliche Panels, wir feiern uns auf Frauenkonferenzen.

Wer das wie ich schon lange beobachtet und selber tut, hat immer öfter das Gefühl des déja-vu. Des Stillstands oder des Perpetuum mobile. Klar, wir werden all das weiter tun. Aber was geht da noch?

Alternative Wege zu finden und zu beschreiten, ist möglich in neuen Debattenräumen, in denen jede und jeder von sich reden und handeln kann im Vertrauen darauf, dass es nicht darum geht, Erwartungen des bestehenden feministischen Diskurses zu erfüllen. In dem sich Solidarität unabhängig macht vom eigenen Erfolg in der feministischen Bubble, der sich vor allem an der von der Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran beschworenen „Sichtbarkeit“ in den sozialen Medien bemisst. Dieser Blick macht den Feminismus und dessen Vertreterinnen zur Ware und zum bitteschön stets attraktiven Bild, das sich bereitwillig den Gesetzen der Medien unterwirft.

Ich habe keine Zeit mehr an die Erwartungen anderer zu verschwenden

Feminismus bedeutet längst den inklusiven Blick und beinhaltet die Forderung, dass alle Menschen denselben Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und Selbstbestimmung haben müssen. Die Gruppe der Feminist*innen ist vielfältig. Auch dies kann in nach-woken Zeiten dazu beitragen, dass wir nach neuen Positionsbestimmungen Ausschau halten.

Unter Freunden, in der Nachbarschaft, unter Kollegen, in Gesprächen mit neuen Bekannten – überall lassen sich Momente feministischen Empowerments finden. Als ich im vergangenen Sommer das Fest in einer Kleingartenanlage besuchte, saß neben mir einer Frau, die bereits in Rente war und seit vielen Jahren mit großer Leidenschaft ihren Garten pflegte. Was die anderen über ihren Garten denken, ob er ihnen gefällt oder ihnen zu unordentlich ist, interessiere sie nicht mehr, sagte sie. „Mir war viel zu lange wichtig, was andere über mich denken. Jetzt mache ich das, was zu mir passt, und damit geht es mir verdammt gut.“ Sie habe grundsätzlich keine Zeit mehr an die Erwartungen anderer zu verschwenden.

Sie wirkte so glücklich, dass ich dieses kurze Gespräch beim Bier nicht vergessen werde und  mich tatsächlich bei ihr für den Moment der geteilten Erfahrung bedankte.