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Postkartenaktion von Flamingo und Dosenbier in St. Leonhard.

Ute Möller
12.03.2025
Lesezeit: 5 Min.

„Ich will, dass meine Töchter unbeschwert aufwachsen“

Postkarten-Aktion zum Frauentag in St. Leonhard in Nürnberg: Catcalling ist hier ein riesen Thema - Was Frauen erzählen und fordern

Am Weltfrauentag habe ich im Nürnberger Stadtteil St. Leonhard Postkarten verteilt. „Hey, gib mal deine Nummer, warum nicht, komm doch, bleib mal stehen.“ Das sind Sprüche, mit denen Männer im Viertel Frauen immer wieder anmachen. Catcalling ist ein großes Problem hier im Westen der Stadt. Ich habe die Anmachsprüche und Antworten von Frauen auf eine Postkarte gedruckt, zusammen mit der Forderung, dass sexuelle Belästigungen im Viertel aufhören müssen.

Beim Verteilen der Karten kam ich ins Gespräch mit einigen Frauen, sie erzählten mir ihre Geschichten. Hier sind drei, die mich besonders beeindruckt haben. Weil sie zeigen, wie viel härter das Leben von Frauen sein kann, weil sie Frauen sind.

Aus einem Wohnhaus in der Kreutzerstraße schallt laute Musik, kein Mensch ist zu sehen. Im Eingang zum Hof liegt Müll, im Hinterhof steht vor einer Mauer ein großer Grill mit einer Plane darüber. Eine blonde Frau taucht hinter der Mauer auf, einen Topfdeckel in der linken Hand. Sie klettert lachend über die Mauer, steigt auf den hölzernen Grillwagen. Ich will ihr rüberhelfen, nein, sagt sie, es geht schon. Ihre Tochter hat den Deckel in den Hof geworfen, wir laufen zusammen zurück zum Hauseingang und zu der lauten Musik.

„Ich will weg aus St. Leonhard“, erzählt sie mir. „Hören Sie doch, es ist Mittagsruhe“, aber Rücksicht ist nicht. Vor einem Jahr hat es in dem Haus unterm Dach gebrannt, „gerichtet wurde der Schaden nur notdürftig, jetzt soll das Haus schon wieder verkauft werden“, zum x-ten Mal, seit sie mit ihren zwei Kindern hier wohnt. Noch kein Eigentümer habe sich richtig um die Wohnungen gekümmert. „Das gehört hier alles kernsaniert.“ Doch trotz des desolaten baulichen Zustands zahle sie 700 Euro Miete für 48 Quadratmeter.

Der Traum: Raus aus dem Viertel

Weil die Nachbarn Kaufinteressenten nicht in ihre Wohnungen lassen, mache sie das eben. „Ich schäme mich nicht dafür, dass ich mit meinen Kindern in einer so kleinen Wohnung lebe. Das kann man sich auch schön machen.“ Sie erzieht die beiden alleine, es gibt einen Freund, der sei nicht immer in Ordnung, mal für zwei Tage, ja, dann aber wieder gar nicht. Sie zuckt mit den Schultern.

Raus aus dem Viertel, weg vom Lärm, in eine größere Wohnung – das sind Träume, die sie aufzählt und dann lacht sie, als glaube sie selber nicht mehr daran, dass sie sich noch erfüllen. Wenn in Nürnberg Messen stattfinden, habe sie Jobs, sonst oft nicht. Doch wer zum Jobcenter gehe, kriege keine gute Wohnung, s0 sei das eben.

In der Grünstraße, rund 300 Meter weiter, treffe ich vor dem großen Wohnblock Tina. Den Putzeimer in der Hand, bester Laune, kommt sie mir entgegen. Als ich sie frage, wie es sich als Frau in St. Leonhard lebe, wird sie ernst. Sie deutet in Richtung U-Bahnausgang in der Schweinauer Straße, den könne man nicht mehr benutzen, weil da bei gutem Wetter immer Männergruppen stehen und Frauen anmachen. „Meine Tochter ist 13 und sie zieht sich echt nicht freizügig an, ganz normal eben, aber trotzdem kommentieren die Männer, was sie anhat. Heute Nachmittag geht sie mit Freundinnen zu einem Geburtstag und ich überlege zusammen mit den anderen Müttern, ob wir sie mit der U-Bahn fahren lassen können oder nicht.“

Tinas Mann kommt nach Hause, mit einem Paket Waschpulver und drei Blumensträußen. Zum Frauentag bekommen Tina und die zwei Töchter Rosen. „Ist er nicht wunderbar?“ lacht sie. Dann wird sie wieder ernst. „Ich möchte nicht, dass meine Töchter merken, dass ich mir wegen der Männer auf der Straße Sorgen mache. Sie sollen unbeschwert aufwachsen können.“

Was man tun kann gegen die Männer, die Frauen hinterherrufen und bedrängen, fragt sich auch eine Mutter, die mit ihrem Sohn im Marie-Juchacz-Park an einem der kleinen Holztische sitzt und spielt. Auf den Bänken vor der Kirche St. Bonifaz säßen regelmäßig Männer, oft zugedröhnt mit Alkohol oder Härterem, „die rufen vor allem jungen Frauen nach, schrecklich ist das.“ Im Sommer 2024 habe ein Mann gezielt Frauen angesprochen, die mit ihrem Hund spazieren gingen, „das war auch in der Zeitung und jemand hat Anzeige erstattet.“

Als Frau sollte man abends nicht im Park sein

Als Frau sollte man abends nicht im Juchacz-Park sein, das sei wie ein ungeschriebenes Gesetz. „Das sagt doch alles. Ein Bekannter von mir ist Polizist, auch er riet mir, aus dem Park wegzubleiben.“ Vor rund drei Jahren habe ein Mann eine ihrer Freundinnen neben dem Basketballplatz hinter dem Spielplatz in der Leopoldstraße ins Gebüsch gezerrt. „Sie konnte sie wehren und hat den Täter angezeigt.“ Von einer Festnahme weiß sie nichts.

„Als Mutter eines kleinen Kindes veränderst du dich in einem solchen Umfeld“, erzählt sie. „Man schottet sich ab, ich will mit keinem mehr etwas zu tun haben und verbringe meine Zeit nur noch mit Menschen, die mir nahestehen.“ Eigentlich sei sie sehr offen, komme gerne mit Leuten ins Gespräch, doch wenn sie in St. Leonhard unterwegs ist, gelte das nicht mehr.

Und wer soll etwas an der Lage der Frauen ändern?

„Und wer soll an der Situation für die Frauen etwas ändern können, was denken Sie?“ fragt sie mich. Mehr Ordnungspolitik, mehr Polizeistreifen – das fällt mir als erstes ein. Ja, da habe sie auch etwas erlebt. Als sie im Sommer mit dem Fahrrad auf dem Hans-Sachs-Platz in der Nürnberger Altstadt unterwegs war, habe ein Mann einer anderen Radfahrerin den Weg verstellt. „Ich ging zu einem zufällig in der Nähe stehenden Polizeibus. Sechs Beamten kontrollierten den Mann und der hatte tatsächlich eine Waffe dabei.“ Das die Polizisten so schnell reagierte haben, fand sie gut.

Kommt am 15. 3.2025 in den Marie Juchacz-Park

Kommt am Samstag, 15.3.2025, 14 Uhr, in den Marie-Juchacz-Park in Nürnberg St. Leonhard, Leopoldstraße. Die Sozialdemokratin Marie Juchacz hat 146. Geburtstag, sie war Antifaschistin, eine brillante Rednerin und Kämpferin für Frauenrechte und das Recht auf Abtreibung, sie gründete die Arbeiterwohlfahrt. Marie Juchacz wurde von den Nazis verfolgt, ging ins Exil und kehrte 1949 nach Deutschland zurück. Flamingo und Dosenbier, das Empowerment-Magazin aus Franken, erinnert an Marie Juchacz und ruft dazu auf, am Samstag Ideen zu sammeln, was gegen das Problem sexueller Belästigungen im Marie Juchacz-Park und in St. Leonhard zu tun ist. Teilt diesen Aufruf, kommt dazu, teilt eure Meinung.