Foto: privat

"In Deutschland und Portugal ist für Frauen in den Ingenieursberufen vieles ähnlich schwierig": Joana Pastor arbeitet in der Automobilbranche in Porto.

Ute Möller
23.11.2021
Lesezeit: 9 Min.

„Ich bin ein Role Model“

Es ist immer wieder spannend, einen Blick in andere Länder zu werfen: Joana Pastor arbeitet als Ingenieurin in Portugal. Sie kennt Diskrimierung und blöde Sprüche von Kollegen nur zu gut. Aber ihre Generation stehe für einen Wandel zum Besseren.

Joana Pastor ist ein positiver Mensch. Sie geht eher davon aus, dass sich die Dinge zum Besseren verändern – das sprichwörtlich halbvolle Glas eben. Das macht ein Gespräch mit der 26-jährigen Ingenieurin aus Porto so kraftvoll. Ihr Studium verdiente sich die Portugiesin als Surflehrerin. Ziemlich tough zog sie ihr Elektrotechnikstudium mit Schwerpunkt Informatik durch – als eine von sechs Frauen. Joana ist eine Bekannte und ich dachte bislang, dass in Portugal die Quote der Frauen in den MINT-Studiengängen höher ist als in Deutschland. Der Frauenanteil im Ingenieurswesen liegt in Deutschland gerade mal bei 18 Prozent. Bei den Informatikern machen die Frauen nur etwas über 16 Prozent aus.  Doch leider zeigt sich im Gespräch mit Joana: Ich lag ganz schön daneben. In Portugal sind Ingenieurinnen ebenfalls rar.  Aber das wird sich in Zukunft ändern, würde jetzt Joana zuversichtlich sagen…

Liebe Joana, schön, dass wir uns zumindest via Laptop-Bildschirm sehen können. Du arbeitest als Ingenieurin in der Automobilbranche und entwickelst Software für Steuergeräte. Wie viele Frauen arbeiten noch in Deiner Firma?

Joana Pastor: Ich bin bei Continental Engineering Services angestellt, Continental kennt man ja auch in Deutschland sehr gut als großes Unternehmen. In meiner Firma in Porto arbeiten 130 Leute, davon sind nur 18 Frauen. Und da sind die Kolleginnen aus den Human Resources schon mitgerechnet. Ingenieurinnen sind es also noch weniger. In meinem Studienjahrgang an der Universität in Coimbra waren wir 2013 in Elektrotechnik mit Schwerpunkt Informatik insgesamt 100 Studenten, aber nur sechs Frauen. Maschinenbau studieren komischer Weise mehr Frauen. Keine Ahnung, woran das liegt.

Schon in der 5.Klasse sind in Deutschland laut Studien die Mädchen weniger selbstbewusst in Mathe als die Jungs. Hast Du einen ähnlichen Eindruck in Portugal?

Für das Fach Mathematik glaube ich nicht, dass sich da Mädchen weniger zutrauen. Schon eher in Fächern, die mehr mit Technik und Physik zu tun haben. Ich denke es hängt damit zusammen, wie wir aufwachsen. Und da gibt es eben Unterschiede zwischen Mädchen und Jungs.

Was sind die Unterschiede in Portugal?

Das fängt schon mit den unterschiedlichen Spielzeugen für Mädchen und Jungs an. Sie werden mit unterschiedlichen Dingen in Zusammenhang gebracht, Jungs eben eher mit elektronischem Spielzeug. Das ändert sich langsam und das ist auch dringend nötig, weil diese Zuordnungen einfach keinen Sinn machen. Aber wir haben noch einen weiten Weg zu gehen.

In Deutschland ist das nicht anders.

Ich denke auch, dass die Verhältnisse sehr ähnlich sind.

       

Warum hast Du Dich dafür entschieden, Ingenieurin zu werden? Hattest Du Role Models?

Nein. Meine Familie ist mit der Gesundheitsbranche verbunden. Meine Mutter ist Apothekerin und mein Vater Arzt. Ich habe keine Ingenieure in der Familie. Ich mochte aber schon als Kind alles, was mit Elektronik zu tun hat. Ich war immer sehr neugierig, wenn jemand etwas darüber erzählt hat und ich mochte auch das Programmieren. Ich habe aber nicht daran gedacht, etwas in der Richtung zu studieren.

Inwiefern warst Du neugierig?

In der siebten Klasse gab es etwas an der Schule, das sich Project Area nennt. Dort kann man einen Schwerpunkt wählen, und ich wollte die Grundlagen der Elektrizität kennenlernen. Was bedeutet Widerstand, wie kann man Volt messen – das hat mich einfach interessiert. Woher da meine Neugierde kam, weiß ich gar nicht.

Hatten Deine Freundinnen ähnliche Interessen?

Nein, aber das war kein Problem für mich. Ich habe schon früh verstanden, dass Menschen unterschiedlich sind und sich für verschiedene Dinge interessieren. Das ist völlig okay für mich und ich habe das schon als Kind akzeptiert. Es wurde dann während des Studiums etwas anders. Mädchen in Ingenieursstudiengängen werden anders behandelt. Manchmal sind sie in einer bevorzugten Rolle, aber oft ist es an der Uni auch schwer, in diesen Fächern ein Mädchen zu sein. Meine Mitstudenten waren fair und hilfsbereit, es gab mehr Probleme mit Lehrkräften. Meine Kolleginnen in der Firma, mit denen ich darüber gesprochen habe, haben das auch so in Erinnerung.

Welche Probleme gab es mit Dozenten?

Wenn von 100 Studierenden in einer Klasse nur drei Mädchen sind, dann fällst du einfach mehr auf und der Lehrer merkt es sich eher, wenn Du etwas mal nicht weißt. Dann bist du wie gelabelt als diejenige, die etwas nicht wusste.

Das passiert ja irgendwie nicht willentlich, Frauen fallen in diesem Zusammenhang auf, weil sie so wenige sind. Aber gab es auch bewusste Herabsetzungen?

Ja, die gab es, sogar von Professorinnen. In einem Seminar haben wir Arbeitsgruppen gebildet und in einer waren nur Frauen. Da sagte die Dozentin zu uns: Oh, ihr seid nur Frauen, das kann ja nicht gutgehen. Eine Kollegin, die Maschinenbau studiert hat, erzählte mir von einer Situation, in der ein Dozenten sagte, dass Frauen ja ohnehin nicht Autofahren können. Das sind völlig überflüssige Kommentare, aber ja, die gibt es. Das ist schon hart.

Haben Dich solche Situationen verunsichert?

Klar, sie sorgen dafür, dass man weniger Selbstvertrauen hat. Für die eine gilt das mehr, für die andere weniger.

Als Du dann nach dem Studium Deine erste Arbeitsstelle angenommen hast, hattest Du Nachteile, weil Du eine Frau bist?

Als ich in meiner ersten Firma in der ersten Arbeitswoche in der Pause einen Kaffee getrunken habe, machte ein älterer Kollege aus meinem Team, zu dem 18 Männer gehörten und in dem ich die einzige Frau war, eine völlig überflüssige Bemerkung über meine Handyhülle. Auf der war irgendein witziges Bild aufgedruckt und er sagte so etwas wie: Typisch Frau! Ich war total geschockt. Der Kollege kannte mich gar nicht und wollte mich da vor allen abqualifizieren. Ich erzählte das später zu Hause meiner Schwester und sie sagte: Ja, er hat damit ausdrücken wollen, dass du blöd bist. Ich wusste das natürlich, aber in der Situation konnte ich einfach nicht reagieren.

Das kann ich gut verstehen. Man ist dann oft einfach so baff, dass man nicht reagieren kann.

Ja, du hoffst ja auch immer, dass dir so etwas nie passiert. Aber ich habe oft solche Situationen erlebt.

Hast Du mittlerweile eine Strategie, wie Du auf Männer reagierst, die Frauen mit ihren Sprüchen abwerten wollen?

Nein, denn ich will eigentlich nicht kämpfen. Manchmal kann ich jetzt etwas sagen, aber oft immer noch nicht. In letzter Zeit ist mir so etwas auch nicht mehr passiert. Ich habe meinen Arbeitsplatz gewechselt und in meiner jetzigen Firma arbeite ich mit vielen jungen Ingenieuren in meinem Alter zusammen. Wir haben ein tolles und faires Miteinander. Vorher habe ich als Ingenieurin in einer Fabrik gearbeitet und da kamen mehr abwertende Bemerkungen von Männern. Das lag wahrscheinlich an dem ganzen Umfeld dort, in dem es mehr Frauenfeindlichkeit und subtile Herabsetzungen gab.

Ist es auch eine Generationenfrage?

Sicher, ich denke Leute in meinem Alter sind viel offener und respektvoller. Sie haben keine Vorurteile gegenüber Ingenieurinnen. Das war ja schon an der Uni so, dass ich mit den Gleichaltrigen gut klarkam, aber mit manchen Lehrkräften eben nicht. Ihre Einstellung ist einfach altmodischer.

Hast Du ein Netzwerk mit Kolleginnen in Deiner Firma? Netzwerke sind ja eine tolle Sache, um sich gegenseitig zu stärken.

Ja, weil ich zum Glück jetzt auch Frauen in meinem Team habe, habe ich einen Gruppenchat ins Leben gerufen und alle zu einem Frauen-Abendessen eingeladen. Wir haben ein gutes Vertrauensverhältnis, das ist echt super.

Siehst Du in Portugal eine gesellschaftliche Weiterentwicklung im Vergleich zu der Generation Deiner Mutter?

Ich denke, ihre Generation hatte es noch schwerer. Meine Mutter sagt immer zu mir: Wenn eine Frau etwas tun will, muss sie drei Mal mehr als ein Mann beweisen, dass sie es auch kann. Das gilt aber jetzt auch noch.

So ist es auch in Deutschland.

Ich denke sogar, dass Deutschland weiterentwickelt ist!

Was hälst Du von Mentoringprogrammen? Sollten mehr Role Models sichtbar gemacht werden? Kann das etwas verändern?

Vorbilder sind wichtig, damit sich Dinge zum Positiven wenden. Mentoringprogramme sind sicher sinnvoll, aber es ist noch viel zu tun. Meine Generation muss sich für Veränderung einsetzen.

Siehst du Anzeichen für Veränderungen zum Positiven?

Der respektvolle Umgang in meiner Firma, der motiviert mich.

Siehst Du Dich selber als Role Model?

Ja, ich bin ein Role Model. Ich mag es, das zu denken.

Das finde ich wunderbar, weil es Selbstvertrauen zeigt und Verantwortungsbewusstsein für die anderen. Ich habe mich das eine oder andere Mal geärgert, wenn ich Professorinnen interviewt habe und sie auf die Frage, ob sie Frauen besonders fördern, geantwortet habe, dass sie darin nicht ihre Aufgabe sehen. Sie wollten sich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass sie Männer benachteiligen. Aber wir haben eine ziemlich heftige Benachteiligungen von Frauen in den Wissenschaften und diese Professorinnen sind Rolemodels, ob sie wollen oder nicht. Dieser Aufgabe gilt es sich zu stellen, finde ich. Wie versuchst Du als Role Model Einfluss zu nehmen?

Ich versuche in allen Bereichen meines Lebens deutlich zu machen, dass alle die gleichen Rechte haben. Nicht nur im Job. Und dabei bin ich manchmal vielleicht sogar zu hart. Ab und zu muss ich in eine gewisse Distanz zu mir selber gehen, aber mir ist es wichtig zu zeigen, dass wir alle die gleichen Rechte und Chancen  haben sollten. Und ich möchte für die Zukunft etwas verändern. Meinen Kindern soll klar sein, dass Männer und Frauen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. Denn ich habe noch die Vorurteile zu spüren bekommen. Man muss keine tolle Ingenieurin sein, um ein Role Model zu sein. Man muss in der Lage sein, die Unterschiede zu benennen und muss sich dafür einsetzen, die Schwierigkeiten zu verringern, die Frauen jeden Tag zu spüren bekommen.

Hattest Du jemals das Gefühl, dass Du die blöden Kommentare nicht mehr aushalten kannst und vielleicht besser in eine andere Branche wechseln solltest?

Nein, nie. Ich bin eine Person, die nicht groß darüber nachdenken will. Ich versuche, diesen Dingen einfach keinen Stellenwert einzuräumen. Das gelingt mir nicht jeden Tag gleich gut, aber ich will einfach schnell damit abschließen und weitermachen.

Viele jüngere Männer in Deutschland wollen eine andere work-life-balance als ihre Väter und für ihre Kinder da sein. Es gibt da einige, die zusammen mit den Frauen für ein neues und gleichberechtigtes Miteinander losgehen. Ist das in Portugal auch so?

Ja, ich denke schon. Die Generation meines Vaters hat zu Hause gar nicht mitgeholfen. Auch mein Vater nicht, obwohl meine Mutter genauso wie er gearbeitet hat. Aber mein letzter Freund hat das immer gemacht. Jüngere Männer denken mehr über ihre Rolle und ihre Aufgaben in einer Partnerschaft nach.

Müssen Frauen Deiner Generation dann gar nicht mehr mit den Gleichaltrigen darum kämpfen, dass Familienarbeit natürlich beide Partner übernehmen sollten?

Doch, es gibt noch Kämpfe, aber weniger. Es ist ein langwieriger Prozess.

Wenn Dich ein Mädchen fragt, ob es Spaß macht in Portugal Ingenieurwissenschaften zu studieren, was würdest Du antworten?

Klar macht es das und ich würde es jederzeit wieder studieren. Es war im College manchmal ein ziemlicher Kampf, da gab es einige Herausforderungen, und auch in meinem früheren Job. Aber jetzt ist es wie gesagt viel besser.

Wollen Deine Freundinnen eher zu Hause bleiben, wenn sie Kinder haben?

Ich denke es ist ein Unterschied, ob jemand studiert hat oder nicht. Ohne Studium bleiben die Frauen vielleicht eher bei den Kindern zu Hause, aber die Frauen, die mit mir studiert haben und mir näher stehen, werden weiter arbeiten. Da bin ich mir sicher. Aber sogar unter Leuten aus meinem Umkreis kann Feministin immer noch ein Schimpfwort sein. Nach dem Motto: Ah, da kommt die Feministin! Und das ist dann abwertend gemeint. Dahinter steckt glaube ich, dass viele mit dem Begriff eher Extremismus als die Ziele des Feminismus verbinden. Wir müssen unbedingt mehr miteinander reden, das ist ganz entscheidend, finde ich.