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In Wien gibt es seit zehn Jahren eine Fußgängerbeauftragte. Und sehr charmante Straßenschilder.

Ute Möller
03.12.2022
Lesezeit: 3 Min.

Fußverkehr ist schön, aber oft kein Spaß

Politik für Fußgängerinnen zu machen, kommt als Thema in Deutschland erst langsam an. Dabei hat das Europäische Parlament das schon 1988 gefordert

Ich bin gerne zu Fuß unterwegs. Auch in der Stadt. Beim Radfahren habe ich oft Schiss vor den Autos. Laufen ist aber auch nicht der reine Spaß. Der Verkehrsring um die Nürnberger Altstadt ist zum Beispiel keineswegs wie ein gemütlicher, breiter Donut angenehm zu laufen. Stattdessen quetschen sich Radfahrerinnen und Fußgängerinnen oft auf engstem Weg aneinander vorbei. Ihr müsst nur mal von der Burg oder vom Plärrer zum Hallertor laufen. Das ist kein Spaß. An manchen Stellen sollen die zu Fuß Gehenden sogar die vierspurige Straße überqueren, um auf der anderen Seite zu laufen. Geht gar nicht, finde ich.

Klar, in den 70er Jahren wurden Städte so geplant, autogerecht eben. Doch schon 1988 vertrat das Europäische Parlament die Auffassung, „dass eine Politik zugunsten der Fußgänger den Angelpunkt für eine Politik darstellen muss, die darauf ausgerichtet ist, eine neue und menschlichere Stadtmentalität zu schaffen, weshalb sie zur grundlegenden Komponente der verkehrspolitischen, stadtplanerischen und baulichen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten werden muss“. Das war auch 2007 Inhalt der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“. Passiert ist bis heute aber – fast gar nichts.

80 Prozent der Deutschen gehen gern zu Fuß

Und das, obwohl doch ernstlich niemand etwas gegen eine „menschlichere Stadtmentalität“ haben kann. Und tatsächlich gehen laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums mehr als 80 Prozent der Deutschen gerne zu Fuß. Doch weil es eben nicht attraktiver wird, durch die Städte zu laufen, nimmt der Anteil des Fußverkehrs trotzdem nicht zu. Er liegt im Vergleich mit Auto, Öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Rad bei recht konstanten 25 Prozent.

Laut Autoverband ADAC fühlt sich nur die Hälfte der zu Fuß Gehenden sicher. Bei einer Befragung 2021 gaben knapp zwei Drittel an, sich von Radfahrenden, die mit zu geringem Abstand überholen, sowie von Autofahrenden, die beim Abbiegen nicht auf Fußgängerinnen achten, gestört zu fühlen. Acht Prozent kritisierten Wege, die von Fußgängern und Radfahrenden benutzt werden. Jeweils etwa 45 Prozent störten sich an schlecht einsehbaren Kreuzungen sowie fehlenden oder holprigen Gehwegen. Sogar die Interessensvertretung der Autofahrenden riet, Parkverstöße stärker zu ahnden und für ausreichend breite Gehwege zu sorgen.

Gleichheit ist schön – auch für alle, die im Straßenverkehr unterwegs sind. Foto: Möller

Das geht nicht ohne Eingriffe in den Autoverkehr. Und da trauen sich die Städte in Deutschland kaum ran. Als einziges Bundesland hat Berlin die Förderung des Fußverkehrs gesetzlich verankert. Aber auch da ist die Umsetzung zäh.

Ab Januar 2023 können jedoch in Berlin Fahrräder, Motorräder, Mopeds und E-Scooter kostenlos auf Parkplätzen für Autos abgestellt werden. Zugleich steigen die Parkgebühren für Pkw. Geregelt ist das in der städtischen Park-Gebührenordnung. Das alles passiert mit dem Ziel, mehr Platz für den Fußverkehr zu schaffen. Konservative Poltikerinnen und Politiker rechnen jetzt mit einem „Straßenkampf“.

Einzelne deutsche Städte beschränken punktuell die Zahl der Auto-Parkplätze oder widmen Straßen zu Fußgängerzonen um, auch Nürnberg. Doch weil zu wenig kontrolliert wird, ob sich die Autofahrenden auch an die neue Vorgabe halten, können sich zu Fuß Gehende dort eben doch oft nicht sicher fühlen.

Fußverkehr ist gefährlich

In Nürnberg waren 2021 von insgesamt fünf Unfalltoten drei zu Fuß unterwegs,  darunter zwei Senioren. Im Durchschnitt waren seit 2011 die Hälfte aller Getöteten im Nürnberger Straßenverkehr Fußgängerinnen und Fußgänger. Laufen ist gefährlich, vor allem für Ältere, Jugendliche und Kinder. Denn sie gehen überdurchschnittlich oft zu Fuß.

Doch beherzt den Straßenraum neu zu ordnen, traut sich Nürnberg wie viele andere Städte bislang nicht zu. So legt die Nürnberger Fußverkehrsstrategie von 2022 fest, dass nur „im Zuge anstehender Straßensanierungen und Baumaßnahmen“ geprüft werden soll, ob Gehwege verbreitert werden. Etwa weil geltende Standards nicht eingehalten werden oder dort besonders viele Menschen entlang laufen.  „Die Reduzierung der Qualität der Infrastruktur“ für Autos soll  zum „Gegenstand der nötigen Abwägung“ werden. Schwammiger geht’s nimmer.

Ich gehe gern zu Fuß, dafür nehme ich auch in Kauf, dass ich länger unterwegs bin. Ich möchte mir nächstes Jahr die „Superblocks“ in Barcelona anschauen. Es ist beeidruckend, was Städte außerhalb Deutschland hinkriegen an autofreier Infrastruktur mit kurzen Wegen zu Job, Läden und Arztpraxen.

In Nürnberg werden immer noch 15 Prozent aller Wege zur Arbeit oder zur Ausbildung bis zu zwei Kilometern mit dem Auto gefahren. Zwei Kilometer kann man gut laufen  – absolut kostenfrei. Und gesund ist es auch noch – wenn man durch eine Stadt läuft, die grün ist, die Platz bietet für Menschen, die nicht Auto fahren, und in der die Luft gut ist. Das kriegen wir übrigens auch mit der gleichen Anzahl an E-Autos nicht hin.

Mobilitäts-Adventskalender von Flamingo und Dosenbier

Bis Heiligabend finden sich hinter den Türchen des Adventskalenders 2022 von Flamingo und Dosenbier Interviews zur Verkehrswende. Und spannende Fakten - ich wusste zum Beispiel bislang nicht, dass das Europäische Parlament schon 1988 die Förderungen des Fußverkehrs forderte.