Zwei Kreuzbandrisse, jetzt ein abgeplatzter Knorpel am Knie: Michaela Drescher, seit dieser Saison Verteidigerin in der Frauenmannschaft des 1. FC Nürnberg, zu treffen ist eine ganz besondere Erfahrung. Weil die 25-Jährige aus all den Hürden in ihrem Leben so viel Kraft gewonnen hat, dass ich mich, doppelt so alt wie Michi, manchmal als die Jüngere fühle. Aufzugeben komme für sie nicht in Frage, sagt sie mir. Mal durchzuhängen ja, Angst auch. Aber liegen zu bleiben auf keinen Fall.
Ein Interview über Schmerz, die Freiheit im Kopf und darüber, wie wertvoll es ist, seine Erfahrungen an andere weiterzugeben. Darüber, dass Angst zum Leben gehört und niemanden daran hindern sollte, Neues zu probieren. Das hat viel mit Fußball zu tun, aber nicht nur. Wobei ich bei dem Gespräch mit Michi in einem Café in der Nürnberger Südstadt große Lust bekommen habe, die Kickerinnen des 1.FCN auf dem Platz zu sehen. Sie spielen nämlich wie die Männer in der zweiten Fußballbundesliga. Frauenfußball bekommt aber viel weniger mediale Aufmerksamkeit. Auch darüber spreche ich natürlich mit der Verteidigerin, die keinen Ball verloren gibt, sich aber nicht an Themen aufarbeiten mag, die sie nicht ändern kann.
Liebe Michi, wie fühlst Du Dich nur wenige Tage nach Deiner Knorpelverletzung?
Michaela Drescher: Es gibt Momente, da sitze ich zu Hause und weine einfach. Weil ich Angst habe, dass ich nicht mehr rankomme. Nach meinem ersten Kreuzbandriss vor neun Jahren, zog ich mir dieselbe Verletzung im letzten Sommer in dem anderen Knie zu. Da war ich bei Saarbrücken unter Vertrag. Als ich dieses Jahr nach Nürnberg wechselte, habe ich bis Mitte August noch Reha gemacht. Nach der Verletzungspause saßen meine Pässe nicht. Ich bin sehr zweikampfstark, aber wenn dir das Timing fehlt, gewinnst du die Zweikämpfe eben nicht. Das war mein Hauptproblem in diesem Sommer. Weil ich extrem ehrgeizig bin, brauche ich Leute um mich herum, die mir sagen: Genieß doch einfach den Moment. Du darfst jetzt sechs Monate schlecht spielen, du warst schließlich ein Jahr raus. Freu dich einfach über jedes Training, das besser geht.
Du hast für den 1.FCN im DFB-Pokal gegen Eintracht Frankfurt 30 Minuten gespielt und kurz darauf ist das mit Deinem Knorpel passiert. Es muss schrecklich gewesen sein, sofort wieder auszufallen.
Natürlich, das war es auch. Ich war seit dem 29. September bei drei Ärzten. Besonderes Vertrauen habe ich zu meiner alten Mannschaftsärztin aus Saarbrücken. Für mich ist es ein Unterschied, ob eine Ärztin nur Spitzensportlerinnen behandelt und weiß, dass wir nach der Profikarriere noch laufen können müssen. Wir können uns nicht wie die gut bezahlten Männer zur Ruhe setzen. Oder dem Arzt eine Millionen auf den Tisch legen für ein neues Kniegelenk. Spitzensportlerinnen müssen daran denken, dass sie ein Leben danach haben. Deshalb studieren wir auch alle oder machen eine Ausbildung. Viele in der zweiten, aber auch in der ersten Liga, müssen beruflich noch was anderes machen. Meine alte Mannschaftsärztin ist extrem ehrlich und direkt, deshalb habe ich oft mit ihr telefoniert. Ärzte oder Ärztinnen, die vor allem gut bezahlte Männer oder Profis generell behandeln, sagen schneller: Wenn du wieder spielen willst, dann mach zwei Wochen Pause und geh wieder auf den Platz. Sie berücksichtigen die Langzeitfolgen manchmal weniger. Das meinen sie nicht böse, aber deshalb gehe ich einfach gerne zu Ärzten, denen ich vertraue und die die Situation von Profifußballerinnen gut kennen.
Das ist die medizinische Seite, aber wie geht es Deiner Psyche?
Ich bin davon überzeugt, dass alles, was passiert, einen Grund hat. Der erste Kreuzbandriss passierte 2012, als ich in der U17-Juniorinnen-Bundesliga für den 1.FFC Frankfurt spielte. Ich habe rückblickend das Gefühl, dass ich damals etwas abgehoben bin. Ich wusste nicht mehr genau, warum ich den Sport mache und habe auch nicht mehr extra trainiert wie vorher. Ich hatte so viel Lob gehört und mit 15 oder 16 kann man damit manchmal nicht so gut umgehen. Dann habe ich mir das Kreuzband gerissen und nicht ein Spiel in der Juniorinnen-Bundesliga gemacht.
Wenn du so eine Verletzung hast, hast du extrem viel Zeit über dein Leben nachzudenken. Mir ging es nach der OP gar nicht gut. Ich wollte zum ersten Mal in Ruhe gelassen werden, weil ich dachte, mit dem Fußball ist es eh vorbei. Zum Glück ist meine Mum immer da und ich hatte eine tolle Physiotherapeutin, mit der ich auch heute und gerade derzeit während meiner Knorpelverletzung noch in Kontakt bin. Sie arbeitet jetzt beim FC Bayern München bei der ersten Frauenmannschaft. Sie hat mich mit meiner Mum wieder vom Boden aufgehoben. Und nach der Reha hatte ich das Gefühl, dass die Verletzung den Sinn hatte, dass ich wieder weiß, warum ich eigentlich Fußball spiele. Und dass ich nie wieder abgehoben sein möchte. Ich will nie wieder auf dem Platz stehen, eine Gegnerin ansehen und mir denken: Dich schlage ich eh. Denn wenn ich in einen Zweikampf gehe und denke, dass ich den sicher gewinne, verliere ich ihn. Weil das Ego zu groß ist. Das habe ich in dem Jahr extrem gelernt. Seitdem bin ich wieder fokussierter auf das, was ich tue.
Wann in Deinem Leben hast Du Dir zum ersten Mal die Frage gestellt, warum Du Fußball spielst? Und was war die Antwort?
Das ist eine gute Frage. Ich weiß gar nicht, ob das jemand beantworten kann, der wirklich liebt was er tut. Ich komme jedenfalls aus keiner Sportlerfamilie. Meine Mutter erzählt immer, dass wir als ich fünf Jahre alt war an einem Fußballplatz vorbeiliefen, und ich gesagt habe: Das will ich machen, und ich möchte sein wie Oliver Kahn. Meine Eltern haben mich im Verein angemeldet und seitdem bestand mein ganzes Leben nur noch aus Fußball.
Die Leidenschaft für den Fußball war also einfach da?
Ja. Meine Mum war immer fasziniert davon, dass ich alles für den Fußball tue. Sie denkt, dass es mir in die Wiege gelegt wurde, ich den Sinn meines Lebens von Anfang an hatte und dass er für mich darin besteht, auf dem Platz zu sein. Ich wusste auch schon früh, dass ich beruflich in den medizinischen Bereich gehen möchte. Ich habe Sportwissenschaften studiert und möchte in die Richtung Athletiktrainerin gehen. Nächstes Jahr starte ich noch eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, weil ich Patientinnen und Patienten helfen möchte, in allen Aspekten ihre Ziele zu erreichen.
Du weißt ja nur zu gut, wie sich Verletzungen anfühlen.
Oft wurde mir in meinen Rehas gesagt: Stell dich nicht so an, lauf doch weiter. Und ich dachte mir dann: Es geht gerade nicht darum, dass mein Knie nicht kann, sondern mein Kopf kann nicht mehr. Du hast Phasen in der Reha, in denen dein Kopf dir sagt, dass er den Schmerz nicht mehr spüren möchte. Dann machst du eben nichts. Es ist schlimm, wenn ein Therapeut nicht versteht, dass dein Kopf einfach zumacht, weil er diesen Dauerschmerz ja schon hat und es an dem Tag nicht akzeptiert, dass du durch die Übungen einen doppelten Schmerz draufkriegst. Man muss und kann in einer monatelangen Reha nicht immer Vollgas geben.
Du bist es gewohnt, mit Schmerzen Fußball zu spielen. Der Einsatz der Fußballerinnen im Leistungssport ist genauso groß wie der der Männer. Ärgert es Dich, dass die männlichen Profis so viel Geld kassieren?
Ich habe eine Seminararbeit über das Gender-Pay-Gap im Frauenfußball geschrieben. Natürlich ist es ungerecht, dass Frauen im Profifußball nicht wirklich bezahlt werden, das ist aber auch in anderen Sportarten so und das oft sogar Genderunabhängig. Andererseits würde es auch vielleicht keinen Frauenfußball mehr geben, wenn die Vereine den Spielerinnen 2000 oder 3000 Euro im Monat zahlen müssten. Sie kriegen ja keine Einnahmen, weil Frauenfußball bei den Medien nicht so beliebt ist und nur wenige zuschauen. Somit bleiben auch Sponsoren und generell Gelder aus.
Warum fiebern bei den Frauen so wenige mit?
Das ist schwierig zu sagen. Ich bin der Meinung, entweder liebst du Frauenfußball oder Du hasst ihn. Ich kenne niemanden, der einfach sagt: Ja, find ich cool.
Redet Ihr in der Mannschaft darüber?
Ja, klar, aber selten. Man merkt ja, dass das Interesse steigt, wenn zum Beispiel Frauenfußball-WM ist. Auch in der ersten Bundesliga nimmt es zu. Es ist ein Prozess. Ich weiß auch gar nicht, ob mehr Frauen oder Männer bei uns zusehen und aus welchen Gründen. Ich persönlich finde Frauenfußball attraktiver, aber Männerfußball ist intensiver. Weil da meistens viel mehr schnell passieren kann. Aber es gibt jetzt auch schon Frauenspiele, die viel schneller und intensiver sind. Das Niveau ist wie in jeder anderen Sportart extrem gestiegen. Auch in den Medien wird immer mehr darauf geachtet, dass auch Frauen als Expertinnen und Moderatorinnen zu sehen sind. So wird Frauenfußball attraktiver und langsam kommen die Sponsoren. In der ersten Liga haben Spielerinnen bereits Förderer, in der zweiten Liga kennen ich wenige.
Bist du nicht sauer, dass die Männer im Profifußball mit mehr Geld aus dem Sport rausgehen und viele existentielle Sorgen nicht so haben wie die Frauen?
Ich kenne auch Gegenbeispiele. Erstens musst du mit Geld umgehen können und zweitens machen viele Männer ja nichts anderes, als Fußball zu spielen. Ich weiß gar nicht, ob mich das ein ganzes Leben lang erfüllen würde. Ich weiß nicht, wie viele der Männer im Profifußball das Abi oder ein Studium haben. Was machst du denn dann, wenn du mit 30 aufhörst? Ich glaube das können sich viele Frauen nicht vorstellen, weil uns beigebracht wird, dass wir noch etwas anderes machen müssen. Ich finde die Unterschiede in der Bezahlung auch nicht fair. Aber es bringt mir nichts, mich darüber aufzuregen, es ändert ja nichts.
Warst Du schon immer so tough und hast Dich von nichts unterkriegen lassen?
Ich war immer sehr zielstrebig. Ich hatte nach meinen Jahren in Frankfurt und meinem abgeschlossenen Abitur ein Vollstipendium für Amerika und habe da zwei Jahre eine Art BWL studiert und am College Fußball gespielt. Ich bin den ersten Tag dahin gekommen und wollte einfach nur nach Hause. Ich konnte extrem schlecht Englisch (lacht). Dann war ich direkt in Manhattan und ich komme aus der Kleinstadt Münster bei Dieburg in Hessen. Dann war die Mentalität komplett anders, es war der Horror. Aber den Schritt, etwas abzubrechen, bin ich nie gegangen. Ich habe vom Fußball in Amerika auch viel gelernt. Dort sind die Spielerinnen athletischer und mir wurde zum ersten Mal Krafttraining richtig nahe gebracht. Außerdem wird man sehr schnell erwachsen, wenn man von dem einen auf den anderen Tag alleine in einem fremden Land lebt.
Wie bist du dann nach Cloppenburg gekommen?
In Frankfurt habe ich nach dem Kreuzbandriss in der dritten Mannschaft gespielt. Ich habe die Erstligateams in Freiburg und Jena angeschrieben, weil ich unbedingt meinen Traum wahrmachen wollte, hochklassig zu spielen. Ich hätte nach Jena gehen können, aber dann kam das Stipendium für die USA. Danach habe ich einfach wieder Vereine angeschrieben und mich für Cloppenburg entscheiden. Dort hatte ich fußballerisch die schlimmste Zeit in meinem Leben. Ich kam mit der Trainerin einfach nicht klar, und ich war kurz davor, mit dem Fußball aufzuhören. Ich hatte in neun Spieleinsätzen nur rund 150 Spielminuten in der ganzen Saison. In der Hinrunde war ich am Boden zerstört. Meine Eltern kamen trotzdem zu jedem Spiel, um mich zu unterstützen. Aber nach der Hinrunde habe ich entschieden, dass ich mich nicht unterkriegen lasse. Auch wenn ich nicht spielte, war das Training für mich. Ich habe die Zeit genutzt, mich so weiterzuentwickeln, dass ich im Sommer den Schritt in eine andere Mannschaft machen konnte.
Das war dann Saarbrücken. War Dein Selbstvertrauen nach den Erfahrungen in Cloppenburg nicht extrem angeschlagen?
Doch, natürlich. Und in der ganzen Sommervorbereitung in Saarbrücken war ich auch katastrophal. Die Trainer haben meinen Kopf geschüttelt und gesagt: Jetzt halte ihn doch einfach mal aus dem Spiel. Ich war so in meinem Kopf gefangen, weil ich Angst hatte, wieder negatives Feedback zu bekommen. Aber wir haben das erste Saisonspiel ausgerechnet gegen Cloppenburg gehabt und auch wenn ich vorher in Testspielen immer nur eingewechselt worden war, sagte mein Trainer zu mir: Jetzt spielst du von Anfang an! Ich war so nervös, aber als das Spiel angepfiffen wurde, war ich im Flow. Die Trainerin von Cloppenburg stand neben dem Spielfeld und schrie die ganze Zeit: Ihr wisst, dass Michi nichts kann, ihr kennt ihre Schwächen. Geht auf sie. Aber ich habe jeden Zweikampf gewonnen und wir siegten 3:1. Das war das beste Gefühl in meinem Leben. Und ab da war ich in Saarbrücken gesetzt.
Wie bist Du in diesen Flow gekommen?
Du musst aufhören, deinen Kopf anzuhaben. Und einfach machen. Denn wenn Du schon so lange Fußball spielst, es liebst und immer weiter an Dir arbeitest, dann kannst du es auch. Jeder kann das. Du musst dir einfach vertrauen. Wichtig war an dem Tag nach so einer langen fußballerischen Down-Phase auch, dass ich das Vertrauen des Trainers hatte.
Also das braucht es schon auch, jemanden, der zu einem steht?
Nicht jeder braucht das, aber hinderlich ist es auf keinen Fall. Auch wenn Eltern oder Freunde hinter dir stehen, sind das immer Pluspunkte, weil du Stützen hast, die dich auffangen, immer zu dir stehen und komme was wolle du sie nicht verlieren wirst. Ich brauche oder habe gerne das Vertrauen vom Trainer. Er gibt dir die Freiheit, zu spielen und dein Ding zu machen. Ich bin älter geworden und brauche nicht mehr die Bestätigung vom Trainer, aber ich brauche das Vertrauen in das, was ich auf dem Platz tue.
Wie ist es möglich, ein Spiel zu genießen, auch wenn man nur 60 Prozent geben kann nach einer Verletzung und immer noch Schmerzen hat?
Meine Mum sagt oft den Satz: Ich gebe jeden Tag mein Bestes und das ist gut genug. Wir sind ja keine Maschinen, der Körper kann nicht jeden Tag dieselbe Leistung bringen, das muss man verstehen und akzeptieren lernen. Was mir aufgrund meines Ehrgeizes selbst oft schwer fällt. Ich versuche derzeit, einfach jede Sekunde, die mein Körper mir ermöglicht Fußball zu spielen, zu genießen. Und jeden Tag ein Stück näher an mein altes Level von vor einem Jahr zu kommen, im Fußballtraining und mit Training neben dem Platz.
Helfen Dir solche Sätze wie der von Deiner Mutter wirklich weiter?
Ich finde schon, dass es einen Unterschied macht, was man sich selber sagt. Ich habe schon vieles ausprobiert. Wenn du schlecht gelaunt bist, muss du dich mal vor den Spiegel stellen und dich eine Minute anlächeln. Ich hab das mal während eines Spiels in der Halbzeit gemacht, weil ich so schlecht drauf war. Es funktioniert. Und dann kannst du wieder rausgehen und spielen. Oder ich mache mal während eines Spiels kurz die Augen zu, um in dem Moment zu mir zu finden. Aber das sind keine Sachen, die man von Anfang an kann. Vor fünf, sechs Jahren hätte ich während eines Spiels meine Stimmung noch nicht umswitchen können. Das ist antrainiert.
Lernt man das auch von den Trainern?
In der ersten Liga vielleicht und bei den Männern auch eher als in den Frauenmannschaften. In Zweitliga-Frauenmannschaften ist das glaube ich eher selten. Ich weiß auch nicht, warum Mentaltraining in den Vereinen nicht so ankommt. Ich bin jetzt 25 Jahre alt und habe viel erlebt. Ich möchte gerne den jüngeren Spielerinnen mit meiner Geschichte helfen. Eine aus unserer Mannschaft hat sich auch das Kreuzbandriss gerissen und ich freue mich, dass sie weiß, dass sie immer mit mir reden kann. Ich weiß ja, welcher Schritt als nächstes kommt und kann ihr hoffentlich etwas ihre Ängste und Sorgen nehmen. Das ist ein gutes Gefühl.
Was war eine Herausforderung in Deinem Leben, die Du nicht leicht wuppen konntest?
Als ich Zwölf war, haben sich meine Eltern getrennt. Ich war mehr ein Papa-Kind. Mit ihm konnte ich alles machen, mit ihm habe ich mir eine Platzwunde beim Fußballspielen im Wohnzimmer geholt. Er hat mir auch beigebracht, offen und ehrlich zu sein. Nach der Trennung sagte er mir, dass sich nichts ändern wird und sah mir dabei ins Gesicht. Und dann bin auch davon ausgegangen, dass das stimmt, weil er wie gesagt nie gelogen hat. Doch nachdem er mit einer anderen Frau zusammengezogen war, brach unser Kontakt ab. Es ist eine langen Geschichte. Fest steht, dass sie mich sehr verändert hat.
Was hat das mit Dir gemacht?
Ich habe sehr viel auf meine Mutter geachtet und vielleicht etwas die Vaterrolle eingenommen. Denn mein älterer Bruder war zu dem Zeitpunkt schon fast ausgezogen. Ich wollte nie etwas machen, das meine Mutter verletzt oder ihr Sorgen bereitet, denn sie hatte genug zu tun nach all dem. Ich war nie betrunken, ich habe noch nie geraucht. Und ich habe extreme Vertrauensängste bei neuen Menschen. Ich hatte lange keine Beziehung, weil ich niemanden verletzen wollte, ich wollte mir sicher sein, dass es ein Leben lang passen kann. Ich habe vor etwas weniger als zwei Jahren den Menschen fürs Leben kennengelernt. Dass es eine Frau ist, hat mich selber überrascht.
Ist Homosexualität in der Frauenmannschaft ein Tabu? Im Männerfußball ist das ja nach wie vor so.
Wen man liebt, ist in der Mannschaft komplett egal. Bei den Männern weiß man, durch Insiderinfos und wenn man in dem Geschäft unterwegs ist, dass manche auch homosexuell sind, sie es aber nicht sagen dürfen. Das finde ich schlimm. Es soll doch jeder leben wie er will. Aber wenn sich die Männer outen, zerstört es ihre Karriere.
Ist es für Dich ein Thema, Dich in der Öffentlichkeit mit Deiner Freundin zu zeigen?
Anfangs war es das mehr. Wir sind ja noch in einer Generation aufgewachsen, in der es noch nicht das Normalste ist. Wenn ich meinem Neffen sage, dass ich Frauen liebe, sagt er nur: Oh, cool! Es ist kein Tabu mehr, aber in meiner Generation war es noch eher so, dass Eltern die Vorstellung hatten, dass es mal ein Haus, zwei Kinder, einen Hund und einen Mann geben wird. Das habe ich auch unbewusst beigebracht bekommen. Und das ist der einzige Punkt, an dem ich dachte, dass etwas mit mir nicht stimmt, weil ich die Erwartungen nicht erfülle. Grundsätzlich finde ich es gut, dass über Homosexualität mehr gesprochen wird, aber ich bin kein Fan davon, Regenbogenfahnen aufzuhängen oder die Kapitänsbinde mit Regenbogenfarben zu tragen. Ich mache mir ja auch keine Heterokapitänsbinde an meinen Arm. Es signalisiert nur wieder, dass es ist nicht normal ist. Das sollte es aber sein.
Warum sind Zweikämpfe Dein Ding, schreckst Du auch im echten Leben nicht vor Konfrontationen zurück?
Ich brauche keine Konfrontationen. Ich sag schon meine Meinung, auch wenn mich Spielerinnen fragen, wie sie auf dem Platz waren, bin ich ehrlich. Aber ich mag keine Konfrontationen, schon weil ich meine Eltern vor der Trennung ein Jahr lang habe streiten hören. Meine Mama hat dann mit meinem neuen Papa nicht mehr diskutiert, weil ich es schlimm finde, wenn Leute streiten. Ich bin ein Fan von normalem, ruhigen Reden.
Warum liegen Dir dann Zweikämpfe so?
Vielleicht weil ich mich schon durchs Leben gekämpft habe. Ob es Kreuzbandrisse waren, die Trennung, ob es jetzt die Sache mit dem Knorpel ist oder der Kampf, in der zweiten Liga zu spielen. Manche laufen einfach so durch, ich nicht. In New York habe ich mit 100 Dollar in der Woche gelebt und 35 Dollar gingen schon für die Fahrtkosten drauf. Aber ich wollte meine Mutter mit 18 nicht mehr um Geld bitten. Ich denke, ich möchte niemandem zur Last fallen. Ich habe gelernt, dass man alles im Leben hinkriegt, wenn man sich anstrengt. Du musst aber dafür was tun, es kommt nicht einfach so.
Der Videoanalyst, der mich für den 1. FCN gescoutet hat, sagte mit Blick auf meine Zweikämpfe, dass es bei mir immer um alles oder nichts geht. Entweder ich gehe zu 200 Prozent in den Zweikampf und dann gewinne ich ihn zu 95 Prozent. Oder ich verliere ihn, weil ich nicht da bin. Ich glaube, deshalb habe ich auch oft Verletzungen. Ich komme aus keinem Spiel ohne blaue Flecken. Ich will einfach diesen Ball, und dafür mache ich alles, oder fast alles. Ich gehe nie mit der Intention rein, Gegnerinnen zu verletzen, was man auch an nur vier bis fünf gelben Karten in den ganzen Bundesligajahren sieht. Ich höre nur einfach nicht auf zu rennen, bis der Ball über der Linie ist oder der Schiedsrichter abpfeift. Ich bin gefühlt schon 100 mal gegen oder in das Tor gerannt. Aufgeben gehört nicht zu mir.
Kennst Du Angst vor Spielen?
Klar habe ich manchmal Angst und bin auch oft in der Kabine nervös. Aber ich finde Angst nicht schlimm, sie darf dich nur nicht lähmen. Angst und Nervosität sind etwas komplett Normales, denn sie zeigen dir, dass du fokussiert bist. Ich bin ein Mensch, der gerne aus seiner Komfortzone rausgeht, um sich weiterzuentwickeln. Ich mag es nicht, wenn die Dinge stagnieren, so wie in Saarbrücken nach 3 Jahren. Ich war da gesetzt und hätte weiterspielen können, aber ich wollte was Neues lernen, andere Rollen einnehmen und bin deshalb nach Nürnberg gekommen. Ich hatte auch Angst vor dem Wechsel, aber die gehört zu Veränderung dazu.
Gerade macht es mir Angst, dass ich wegen der Verletzung vielleicht nicht mehr spielen kann. Ich finde es auch völlig okay, zu Hause zu sitzen und zu weinen. Meine Mutter und meine Freundin sagen mir auch, dass ich traurig sein darf. Aber es ist wichtig, wieder aufzustehen. Es bringt mir nichts, liegen zu bleiben. Ich habe noch viel vor im Leben und Höllenangst, dass das nichts wird. Aber das sind normale Ängste und man muss eben alles dafür tun, dass die Dinge gut laufen.