Ich stehe zu meinen Falten und dazu, dass ich gerade in einer „Woher komme ich und was will ich eigentlich jetzt – Phase stecke. Genau deshalb ist mir wohl das Buch „Stärker als Wut“ von Stefanie Lohaus in die Hände gefallen. Die Mitbegründerin des Missy Magazins analysiert darin unter anderem, wie sich in den 80er und 90er Jahren der Feminismus entwickelt hat.
Ich steckte zu Beginn meiner Zwanziger wie in einem Baumkuchen zwischen den dunklen und den hellen Ringen fest. Die fette Glasur, das waren die coolen Moderatorinnen auf Viva und MTV und die Spice Girls. Quasi die „Red Lipstick-Girls“ der 90er. Für sie war Feminismus nur wie eine der angesagten Neon-Farben, wie die schmelzige Schokolade über dem Teig, bestehend aus Slogans, die gut klingen mussten, nicht fordernd. Letztlich war doch schon alles geklärt, frau konnte werden, was sie wollte. Hinter den Feminismus machten diese Rolemodels einen Haken.
Ich steckte in der klebrigen Masse fest
Diese süße Masse war verdammt klebrig, und weil ich außerdem in meinen eigenen unpolitischen Lebensplänen feststeckte und selber alles andere als cool war, interessierte ich mich nicht für die Zutaten, aus denen die trockeneren Ringe des Mainstream-Baumkuchens gebacken waren: Frauen in West- und Ostdeutschland kämpften nach der Wende um neue und gemeinsame Wege für den Feminismus. Erste Landesfrauenbüros wurden eröffnet. Claudia Goldin begann zum Gender-Pay-Gap zu forschen, dafür hat die Harvard-Professorin jetzt den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern lag 1990 in Westdeutschland bei über 25 Prozent und in Ostdeutschland bei unter zehn Prozent. Da gab es viel auszuhandeln und auszuhalten, auch unter den Frauen. Der bundesweite Gender-Pay-Gap ist heute übrigens nur wenig niedriger als vor 30 Jahren.
Feminismus war damals, was er heute auch ist: Ein kapitalistischer Markt, aus dem sich Profit schlagen lässt. Mit Konferenzen von Frauen für Frauen, oder mit Empowerment-Coachings (Mein Instagram-Fund der Woche: Eine Coachin lässt sich ihre Wanderung auf dem Jakobsweg von Kursteilnehmerinnen finanzieren, die sie mitnimmt mit dem Versprechen, unterwegs auf dem heiligen Weg ließe sich Beratung besonders wirkungsvoll umsetzen.). Mit kostenpflichtigen Netzwerktreffen und Beratungsangeboten für Firmen, die diverser werden wollen oder auch nur das Thema zum Gender-Greenwashing nutzen.
Andererseits geht es feministisch damals wie heute ums Eingemachte. Bei den Debatten über den politischen Wandel nach der Wende 1989 stritten Frauen um Mitsprache und Einfluss. Derzeit sehen wir, dass der Frauenmachtanteil in Deutschland in politischen Gremien und Unternehmen kaum zunimmt. Oder im Gegenteil wie im bayerischen Landtag sinkt.
Veränderung braucht klare Regeln
Das ist für mich und für viele andere extrem frustrierend. Eine erfahrene Managerin aus Erlangen, die seit 30 Jahren für mehr Frauen in MINT-Berufen und Führungspositionen kämpft, sagte mir diese Woche, dass sich aus ihrer Sicht viel zu wenig zum Positiven verändere. Wichtig seien knallharte Regeln für Recruiting und Beförderungen. Wer Gleichstellung will, muss das ordentlich machen und darf nicht zulassen, dass im Mittelbau des Managements alles bleibt, wie es immer schon ist. Dazu gehört, dass sich Frauen den Arsch aufreißen, nur um dann doch nicht befördert zu werden, weil sie sich auch noch um die Familie kümmern und deshalb statt 40 nur 32 Stunden arbeiten.
Viele junge Frauen seien außerdem davon überzeugt, dass es die Quote nicht brauche. Sie könnten doch auch so schon alles erreichen. Und das erinnert mich dann wieder sehr an mich und die 90er Jahre: Meine größte Karrierehürde war für mich die Frage, was ich mir selber zutraue und ob ich gut genug bin. Dass in der männlich dominierten Medienbranche, in der ich arbeitete, noch ganz andere Dinge eine Rolle spielen, sagte mir keine und ich begriff es erst viel später.
Bereiten wir Frauen besser darauf vor, wie die Arbeitswelt tickt – das ist deshalb für mich eine ganz wichtige Forderung. Und lassen wir uns nicht ablenken vom Red Lipstick-Feminismus.
Gekämpft wird woanders
Es ist in Ordnung, sich bei Konferenzen, durch Speakerinnen, in Mentoringprogrammen seiner selbst zu vergewissern. Das macht Spaß und kann Kraft geben. Aber gekämpft und mühsam debattiert, immer und immer wieder, wird doch woanders: In den Unternehmen, in der Politik. Außerparlamentarisch in NGOs. Oder in der eigenen, persönlichen Gruppe.
Dabei immer einer Meinung zu sein, ist ja gar nicht das Ziel. Ich durfte diese Woche mit Simon Weber vom Verein Catcalls of Nürnberg im Casablanca Filmkunsttheater in Nürnberg die Premiere des Films „Cat Person“ moderieren. Der Film geht zurück auf die gleichnamige Kurzgeschichte von Kristen Roupenian, die 2017 im New Yorker erschien und viral ging. Margot und Robert, sie 20, er Mitte 30, daten und enden bei ungutem Sex und so vielen Missverständnissen, dass Gewalt ins Spiel kommt.
Rezipiert als Beitrag zur #metoo-Debatte, schlägt sich die Story aber nicht auf die Seite der Frau oder des Mannes. Sie stellt für beide die Fragen: Wie können wir einander vertrauen? Welchen Anteil haben Genderstereotype für unsere Ängste und Vorurteile? Können Beziehungen überhaupt noch gut gehen?
Frauen haben Angst, okay, und was jetzt?
Bei der Diskussion nach dem Film gab es die Sichtweise, dass Frauen eben Angst haben müssen. Wenn sie im Dunkeln unterwegs sind, wenn sie beim Sex sagen müssten, was sie nicht wollen, weil es der Partner eben nicht ohne Worte kapiert. Es gab aber auch die Ansicht, dass wir dieses Narrativ weitertreiben sollten. Dass es möglich ist, selbstverantwortlich zu handeln, auch wenn Rollenklischees und patriarchale Strukturen verdammt mächtig sind.
Das waren spannende Tage. Freuen wir uns auf ein entspanntes Wochenende. Denn die nächste Woche kommt bestimmt!