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Justizminister Marco Buschmann sagte Nein zu einer Neuregelung der Bestrafung von Vergewaltigung in der EU. Ob das der FDP bei der Europawahl mehr Stimmen von Frauen bringt, darf bezweifelt werden.

Ute Möller
09.02.2024
Lesezeit: 5 Min.

FDP sagt Nein zu besserem Gewaltschutz

Minister Buschmann verhinderte EU-weite neue Standards bei der Ahndung von Vergewaltigungen - Juristische Feinheiten oder politisches Kalkül?

Die Deutschen meckern viel und wissen alles besser – Justizminister Marco Buschmann (FDP) sei Dank, wurde in Straßburg Bullshit-Bingo auf Kosten der Glaubwürdigkeit deutscher Politik gespielt. Hier kommt er, der Wochenrückblick von Flamingo und Dosenbier.

EU-Kommission und EU-Parlament wollten in dieser Woche einheitliche Regelung für den Straftatbestand der Vergewaltigung schaffen.  Künftig sollte der Grundsatz gelten „Nur Ja heißt Ja“, nach dem jeglicher Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung als Vergewaltigung definiert worden wäre.

Das wäre ein wichtiger Schritt gewesen in der Europäischen Union, in der immer noch in elf Mitgliedstaaten die Voraussetzungen gilt, dass Gewalt angedroht oder angewendet werden muss, damit eine Vergewaltigung als Straftat geahndet werden kann. In Deutschland gilt seit 2016 „Nein heißt Nein“: Wer gegen den „erkennbaren Willen“ eines anderen sexuelle Handlungen vornimmt, kann wegen Vergewaltigung verurteilt werden.

Protestbrief von 100 Frauen

FDP-Politiker Marco Buschmann hatte schon im vergangenen Jahr sein Nein zum Grundsatz „Nur Ja heißt Ja“ angekündigt. Und er hat seinen Stiefel durchgezogen. Sein Argument: Das Europarecht biete für eine solche Regelung keine Grundlage. Dass ihm die juristischen Expertengremien der EU-Kommission und des EU-Parlaments widersprechen, beeindruckte den deutschen Minister ebenso wenig wie ein Offener Protestbrief von 100 prominenten Frauen oder die konträre Einschätzung der Strafrechtlerinnen des Deutschen Juristinnenbundes.

Deutschland und Frankreich kippten in dieser Woche also die Reform der EU-Rechtsprechung an dieser Stelle, die Frage ist, ob für Buschmann tatsächlich formaljuristische Gründe den Ausschlag gaben. Klar, er ist ein staubtrockener Jurist, doch die FDP profiliert sich seit einiger Zeit ja grundsätzlich als EU-Bremser. Vielleicht folgte der Justizminister einfach brav der Parteilinie.

Sabine Böhm von der Frauenberatung Nürnberg kritisiert die Blockade von Marco Buschmann masssiv. Die Chance für besseren Gewaltschutz sei verpasst worden. Foto: Möller

Auch beim Lieferkettengesetz und den neuen CO2-Obergrenzen für Lkw blockieren die Liberalen in der EU. Freie Fahrt für Unternehmen und Klientelpolitik für die Autobranche kommen ganz aus der Tiefe des liberalen Selbstverständnisses. Ein Nein zu einer gerechteren Rechtsprechung bei Vergewaltigungen auch?

Zu Recht sind viele gerade stinksauer, dass die FDP auf Teufel komm raus in der EU blockieren kann, ohne dass die beiden anderen Ampel-Parteien in Berlin dazwischen grätschen. Grüne und SPD lassen die FDP den Ruf deutscher Politik in Brüssel und Straßburg an die Wand fahren und schauen zu. Dass Familienministerin Lisa Paus (Grüne) die neue EU-Richtlinie gegen Gewalt an Frauen in dieser Woche überschwänglich begrüßte, sich zur gescheiterten Einigung bei Vergewaltigungen aber gar nicht äußerte, passt ins Bild. Der kleinste Partner in der Regierungskoalition darf am lautesten schreien  – und das tun die Liberalen, die reihenweise aus Landesparlamenten und Rathäusern fliegen und gegen die zunehmendem politische Bedeutungslosigkeit ankämpfen, aus Leibeskräften.

Was hätte ein Ja den Minister gekostet?

Das neue Gesetz regelt nun, dass künftig Cyber-Stalking, Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung und das Weiterschicken intimer Bilder ohne Einverständnis in der gesamten EU unter Strafe stehen. Der Opferschutz wird verbessert, genauso wie die Präventionsarbeit. Das ist wichtig und von  großer Bedeutung. Doch es gilt eben weiterhin auch, dass Täter nicht EU-weit wegen Vergewaltigung belangt werden können, wenn sie dem Opfer keine Gewalt angedroht oder diese ausgeübt haben.

Was hätte es Marco Buschmann gekostet, es drauf ankommen zu lassen, ob der Europäische Gerichtshof dem „Ja heißt Ja“-Grundsatz tatsächlich widerspricht? Die Blöße hätte er sich nicht allein, sondern wenn überhaupt dann zusammen mit den 13 Länder gegeben, die die neue Regelung befürworteten. Zunächst hätte er sich profilieren können bei Verbänden, Gewaltschutzeinrichtungen und Organisationen, die seit vielen Jahren für einen besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt eintreten.

Jede zweite Frau in der EU wurde schon einmal sexuell belästigt, jede dritte erlebte Gewalt. Jeden Tag werden nach Schätzungen der UN zwischen sechs und sieben Frauen in Europa von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Jedes Jahr werden circa  1,5 Millionen Frauen laut Schätzungen vergewaltigt.

Auch Gleichstellungsbeauftragte Hedwig Schouten geht mit der FDP-Blockade beim Gewaltschutz hart ins Gericht: Foto: oh

Doch die Verbände und Organisationen, die täglich Frauen unterstützen, die von Gewalt betroffen sind, haben bei Marco Buschmann keine große Lobby. Sabine Böhm, Geschäftsführerin der Frauenberatung Nürnberg für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen, erklärt: „Deutschland und Frankreich bringen eine wesentliche Verbesserung im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Sexismus und Frauenhass zum Scheitern. Durch eine willkürlich verengte Rechtsdefinition wird der Ausschluss sexualisierter Gewalt aus der EU-Gewaltschutzgesetz herausgekickt. Vergewaltigung kann sehr wohl als sexuelle Ausbeutung verstanden werden, juristisch und in ihren Folgen für Betroffene.

Wir sind – nicht das erste und wohl auch nicht das letzte Mal – enttäuscht von dem eklatanten Mangel an politischem Willen der Bundesregierung, sich wirksam am Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu beteiligen. Aber wie immer gilt: Wir kämpfen weiter!“

Hedwig Schouten, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Nürnberg, ergänzt: „Wie so oft, wenn es um Frauenrechte geht, gilt auch bei der EU-Gewaltschutzrichtlinie: Viel erreicht, aber auch noch sehr viel zu tun. Als positiv zu bewerten ist, dass zum ersten Mal eine Regelung für den Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt in der gesamten EU geschaffen wird. Es ist ein gutes Signal, dass es gemeinsame Mindeststandards für den Schutz vor dieser Gewalt geben wird. Jedoch ist es eine vertane Chance, dass – unter anderem auch durch Deutschlands Ablehnung – der Tatbestand der Vergewaltigung nicht in die Richtlinie aufgenommen wurde. In vielen EU-Staaten müssen Betroffene daher weiterhin nachweisen, dass ihnen Gewalt angedroht oder an ihnen verübt wurde.“

Kaum Frauen bei den Liberalen – ob das jetzt besser wird?

Die FDP hat mit den geringsten Frauenanteil in den eigenen Reihen, 2021 lag er bei 20,1 Prozent. Weniger weibliche Mitglieder hatte mit 18,7 Prozent nur die AfD. Ob die Haltung zum EU-Gewaltschutz für Frauen den Liberalen, die ja mit prominenten Kandidatinnen in den Europawahlkampf starten, mehr Frauen in die Partei bringt, halte ich für unwahrscheinlich. Ob es der FDP mehr Stimmen von Frauen bei der Europawahl im Juni bringt, darf ebenfalls bezweifelt werden. Jedenfalls hat es da jede in der Hand, Nein zur Blockadehaltung der Liberalen zu sagen.

Vielleicht bringt es der FDP Wählerinnen und Wähler am rechten Rand. Darauf zu spekulieren ist unanständig, aber leider gehört das bei populistischen Parteien bereits zum Alltag. Völlig zu Recht weisen die Verfasserinnen des Offenen Briefs an Marco Buschmann darauf hin: „Sich gegen Rechtsextremismus und den Rechtsruck zu stellen, muss auch bedeuten, Frauenrechte zu verteidigen und für sie einzustehen. Denn diese sind mit die ersten Opfer rechter Politik.“

Freuen wir uns trotz allem auf die nächste Woche, denn die kommt. Bestimmt. Flamingo und Dosenbier präsentiert unter anderem die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Thüringen, Ann-Sophie Bohm, im Interview.