Foto: Festival

Andrea Kuhn leitet seit 2007 das Menschenrechtsfilmfestival in Nürnberg.

Ute Möller
28.09.2023
Lesezeit: 5 Min.

„Es kann keine gerechte Welt geben ohne feministische Perspektive“

Andrea Kuhn leitet das Menschenrechtsfilmfestival Nürnberg und fordert: Klare Kante zeigen gegen Rechts

Danke, Andrea Kuhn. Das war ein tolles Blitz-Interview eine Stunde vor der Eröffnung des Internationalen Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte, bei dem bis zum 3. Oktober über 50 Filme gezeigt werden. Andrea lässt sich den Festivalstress nicht anmerken, als wir uns auf zwei grünen Plüschsesseln in der Nürnberger Tafelhalle gegenüber sitzen. Ich möchte wissen, was sich aus feministischer Perspektive in der Filmbranche ändern muss.

Andrea leitet seit 2007 das Nuremberg International Human Rights Festival, ich schätze ihre klare Haltung. Dazu gehört: Kunst ist kein kapitalistisches Prinzip und beim aktuellen politischen Rechtsruck müssen alle Demokratinnen und Demokraten öffentlich und laut und klar Stellung beziehen.

Liebe Andrea Kuhn, rechtsradikale Parteien sind gerade im Aufwind, was ist jetzt zu tun?

Andrea Kuhn: Ich beobachte einen Rechtsruck bei den etablierten Parteien. Die CSU in Bayern mit ihrem Ministerpräsidenten Markus Söder hält an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern fest, obwohl sich dieser in der Debatte um antisemitische Flugblätter auf populistische und unanständige Weise zum Opfer stilisiert. Das finde ich unerträglich und es macht den Weg nach Rechts frei. Räume, in denen offen gedacht werden kann, werden kleiner. Es geht um unsere Gemeinschaft, unser gemeinsames Beisammensein in der Vielfalt. Jetzt müssen sich alle, die demokratisch denken, öffentlich positionieren. Gegen Rechts, für unsere freiheitlichen Grundwerte.

Hier muss ergänzt werden: Das Team des Menschenrechtsfilmfestivals hat 2022 in Nürnberg das NSU-Tribunal mit all seinem Know-how rund um Organisation, Technik und Veranstaltungsmanagement unterstützt und möglich gemacht. Andrea Kuhn sagt, dass sie alles in das Projekt reingeworfen haben, um es Angehörigen der Opfer des rechtsextremen NSU zu ermöglichen, sich in Nürnberg zu treffen. Und um die fachliche Debatte voranzutreiben.

In der Filmbranche ist der Anteil an Frauen, die Regie führen oder produzieren, die an den Reglern der Macht sitzen, sehr gering. Ist das Menschenrechtsfilmfestival feministisch?

Wir sind ein vor allem weibliches Team, wir können gar nicht anders als zu versuchen, mit dem Festival Gleichstellung zu leben. Es kann keine gerechte Welt geben ohne feministische und antirassistische Perspektive.

Wie zeigt sich das konkret im Festival?

Zunächst einmal würden wir nie einen Film zeigen, wenn wir den Hinweis darauf haben, dass bei der Produktion nicht unter fairen Bedingungen gearbeitet wurde oder es sogar zu Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen gekommen ist. Grundsätzlich soll das Festival leben, worüber wir reden. Wir möchten einen Raum schaffen für Geschichten, die sonst nicht erzählt werden. Für Geschichten, bei denen sich vielleicht in einem selber erst mal was quer legt, weil man eine neue Perspektive einnimmt. Wenn uns das in dem kapitalistischen Umfeld, in dem sich Filmfestivals ja bewegen, gelingt, ist das schon viel. Wir wollen auch Mut machen und Positives vermitteln, zum Beispiel die Kraft der Solidarität. Ein gutes Beispiel dafür ist der Spielfilm Angry Annie, den wir im Festival zeigen. Darin geht es um die starken Frauen einer Untergrundbewegung für freie Abtreibung in den 1970er Jahren in Frankreich.

Andrea Kuhn mit dem Preisträger des Nürnberger Menschenrechtspreises 2023 Malcolm Bidali vor der Festivaleröffnung. Foto: Möller

Was muss passieren, damit sich die Arbeitsbedingungen von Frauen in der Filmbranche verbessern?

Während in der Ausbildung Frauen im Schnitt die Hälfte ausmachen und einige im Anschluss noch ihren ersten Film drehen, sind die meisten spätestens danach raus aus dem Geschäft. Aufträge werden in Männercliquen vergeben. Diese Strukturen müssen wir endlich verändern. Wer Filme fördert – egal ob Stiftungen oder Ministerien – muss Zusagen auch davon abhängig machen, ob Teams divers besetzt sind. Faire Arbeitsbedingungen für alle, dazu gehört auch Kinderbetreuung am Set und keine strukturelle Benachteilgung von Frauen, müssen zur Bedingung gemacht werden. Entscheidungsgremien müssen paritätisch und divers besetzt sein.

Siehst Du, dass sich in diese Richtung etwas in der Branche bewegt?

Nein, es gibt aktuell keine Bereitschaft dazu. Es wird im Gegenteil die Angst immer größer, als woke diffamiert zu werden, wenn man sich für Diversität und gleiche Rechte einsetzt.

Ein Teufelskreis …

Stimmt.

Wie hoch wird das Menschenrechts Filmfestival gefördert?

Wir haben eni Budget von 120 000 Euro, der Freistaat gibt 38 000, der Rest kommt von unterschiedlichen Geldgebern. Die Stadt unterstützt uns sehr. Ich halte die Kriterien der bayerischen Filmförderung aber für schwierig. Da bekommt man zum Beispiel die Frage gestellt, wie viele deutsche Filme im Festival laufen. Es ist aber kein Aspekt, wie viel Vielfalt wir beim Festival sichtbar machen. Bei EU-Förderprogrammen ist es dasselbe mit dem Anteil an europäischen Produktionen.

Ich verstehe ja, dass das Geld in die heimische Branche zurückfließen soll. Aber Aufgabe von Festivals ist es nicht nur, kommerziell zu denken. Wir zahlen zum Beispiel für jeden Film ein Honorar, auch wenn keines verlangt wird. Ich finde es nur anständig, für künstlerische Arbeit zu bezahlen. Und wir können auch nicht als Menschenrechtsfilmfestival Filme über faire Arbeitsbedingungen zeigen und dann selber ohne Rücksicht rein kommerziell handeln. Das ist übrigens auch bei Praktika ein Thema – solange wir für diese zu wenig Geld  haben, machen eben nur relativ privilegierte Menschen ein Praktikum bei uns, die auch mal ohne Verdienst rumkommen. Damit können wir aber nur begrenzt inklusiv sein, so sehr wir uns das auch anders wünschen.

Andrea Kuhn

Andrea Kuhn studierte in ihrer Heimatstadt Erlangen Theater- und Medienwissenschaften. Sie hielt Seminare in Filmwissenschaften ab, organisierte die Stummfilm-Musiktage in Erlangen mit. 2007 bekam sie schließlich das Angebot, die Leitung des Nürnberger Filmfestivals der Menschenrechte zu übernehmen. Sie gründete bei der Gewerkschaft Verdi eine Initiative, die sich für faire Arbeitsbedingungen für Festivalmitarbeitende einsetzt.