Foto: Urban Zintel

Tijen Onaran ist CEO von Global Digital Women. Sie will Frauen in der Digitalwirtschaft sichtbarer machen.

Ute Möller
20.08.2021
Lesezeit: 6 Min.

Das Ich als Marke

Personal Branding - und alle machen mit? Über das private Selbst in Zeiten der Selbstvermarktung

Sind wir nicht alle vor allem eins: Heldinnen und Helden in unserem eigenen Walt Disney-Film? Im Idealfall erzählen wir bei Geschäftsmeetings, Netzwerktreffen und natürlich auf Twitter und Instagram immer wieder die gleiche spannende Geschichte über uns. Mit überraschenden Wendungen reißen wir unsere Zuschauer mit in einen turbulenten Gefühlsstrom. Bei all dem bleibt die Hauptperson, also das eigene Ego, aber immer authentisch. Und die persönliche Message hauen wir von Anfang bis Ende so glaubwürdig raus wie ein Yogi sein Mantra. Ist doch so, oder etwa nicht?

Personal Branding kannte man bevor Facebook, Twitter und Instagram unser soziales Leben kaperten als die gute alte Frage, welchen Ruf man bei seinen Mitmenschen genießt. Ob jemand als klug und herzlich oder als herrischer Aufschneider galt, entschied sich – es klingt nach Steinzeit – in persönlichen Begegnungen. „Wenn man sich mit einer Person trifft, erkennt man in kürzester Zeit, ob man ihr vertraut und sie in ihrer jeweiligen Rolle für kompetent hält“, sagt Prof. Dr. Alexander Hahn, der an der Technischen Hochschule Nürnberg Marketing und Allgemeine Betriebswirtschaftslehre unterrichtet.

Wem schenken wir unsere Aufmerksamkeit?

Aber wie sollen wir beim Surfen durch die digitale Welt entscheiden, wen wir für glaubwürdig halte? Und wer ist es überhaupt wert, dass wir ihm unsere Aufmerksamkeit schenken? Wer sich im Internet von der Masse abheben will, müsse zunächst die Emotionen der User ansprechen und zwar durch eine kurze, knackige Information über seine Person, sagt Alexander Hahn.

Personal Branding heißt so viel, wie sich selbst zur Personenmarke zu machen. So richtig relevant wurde die Selbstvermarktung mit der Einführung des iPhones im Jahr 2007. „90 Prozent der Deutschen sind im Internet unterwegs und werden mit Informationen zugeschüttet, da dringt man mit rein rationalen Inhalten gar nicht mehr durch“, weiß Hahn.

Nicht jedem behagt der Hype rund um Personen statt um Inhalte. Monika Garske, Managing Director der Deutschen Bank in Nürnberg, hält es geradezu für vermessen, sich selber zur Marke zu machen. „Personal Branding verstehe ich so, dass ich mich selbst für sehr wichtig halte.“

„Ich kann mir keine Marke verordnen“

Wer in sich ruhe und wisse, wofür er steht, vermittele das viel natürlicher und selbstverständlicher nach außen. „Ich kann mir nicht selber eine Marke verordnen, aber wenn andere in mir etwas Besonderes sehen und ich in deren Wahrnehmung einen hohen Wiedererkennungswerte erlange, ist das ein großes Lob und eine Auszeichnung.“ Sich aber im Unterschied dazu nach den Erwartungen der anderen zu richten, um zur möglichst einprägsamen Marke zu mutieren, habe schon fast etwas Populistisches.

Tijen Onaran mag starke Farben und klare Forderungen. Foto: Andrea Heinsohn

Autorin und Netzwerkerin Tijen Onaran findet die Vorstellung „romantisch“, dass Leistung für sich selbst steht. „Das denken zwar viele und leider auch viele Frauen“, aber wahr sei es deshalb nicht.

Die Gründerin von Global Digital Women lebt in München und tourte 2020 mit ihrem Buch „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ durch Fernsehstudios und Redaktionen. Das Buch trifft einen Nerv, was auch mit der Coronakrise zu tun hat. Der Lockdown trieb viele Firmen, Berater und Coachinginstitute ins Internet. Wer dort seine Dienste anbietet, muss sich von der Masse abheben. Und das funktioniert besonders gut als Personenmarke.

„Bringe dein Netzwerk dazu, Dir zuzuhören“

An dieser Stelle kommt das persönliche Mantra wieder ins Spiel. Tijen Onaran, die sich dafür einsetzt, dass Frauen in der Wirtschaft sichtbarer werden, gibt ihren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg, dass nicht die Inhalte selbst entscheidend seien, für die man losgeht. „Die Inhalte, um die es dir geht, können theoretisch von hundert anderen Menschen täglich hundertmal hinausposaunt werden“, schreibt sie in ihrem Buch. Die eigentliche Aufgabe sei es, sein Netzwerk dazu zu bringen, einem zuzuhören.

Und zwar dadurch, dass man seine Botschaft immer und immer wieder aufs Tapet bringt. Vor allem in den sozialen Medien, aber auch in persönlichen Gesprächen. Nur so bleibe haften, wofür man steht. „Viele vergessen, dass man ohnehin immer von anderen wahrgenommen wird“, sagt Onaran.

Jeder besitzt also eine Personenmarke, ob er will oder nicht. „Die Frage ist nur, ob ich sie aktiv gestalte.“ Ihr gehe es nicht um „Inszenierung“, sondern um „Positionierung“, aber „wenn nicht ich über meine Themen spreche, wer dann?“ Darauf zu warten, dass einen im Job ein Vorgesetzter für ein gelungenes Projekt lobt, sei gefährlich. Weil es abhängig mache von Hierarchien. Wer selber auf seine Kompetenzen aufmerksam mache und sich positioniere, sei weniger austauschbar und steigere seine beruflichen Chancen.

„Niemand muss perfekt sein“

Niemand müsse perfekt sein, um sich eine erfolgreiche Personenmarke aufzubauen. Für Tijen Onaran demokratisieren die sozialen Medien die Gesellschaft, denn jeder können sich auf LinkedIn, Twitter oder Instagram zeigen und für seine Werte eintreten. Ihr gehe es um Ideen, Kompetenzen und unterstützende Strukturen, nicht um Wertschöpfung. Wer nicht authentisch sei und stattdessen via social selling mit seinem Gesicht in den sozialen Netzwerken vor allem Geld verdienen wolle, kommt aus ihrer Sicht extrem unsympathisch rüber.

Christian Schicha, Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, beobachtet die „permanente Ambition, sich darzustellen“ mit Sorge. Er fragt sich, ob dabei Reflektion und Wissensaneignung überhaupt noch stattfinden.

Provokation als Währung

Der Medienethiker hält es für problematisch, wenn Aufmerksamkeit, Provozieren und Positionieren zur „wahren Währung“ in den (sozialen) Medien werden. „Das ist genau der falsche Weg, denn in der Demokratie geht es um Austausch und Argumente.“ Auch beim Personal Branding zähle letztlich aber nur der kommerzielle Erfolg. „Da stellt sich die Frage, ob es für den einzelnen tatsächlich Spielräume gibt, um sich nicht zu verbiegen und authentisch zu bleiben.“

Auch in der TV-Serie „Die Höhle der Löwen“ geht es ums Geldverdienen. Die Investorinnen und Investoren, vor denen die Gründerinnen und Gründer ihre Geschäftsideen pitchen, präsentieren sich laut Schicha „selber als kommerziell sehr erfolgreiche Unternehmer, das hat viel mit Eitelkeit zu tun“. In „Die Höhle der Löwen“ gehe es nicht um die sympathischen, adretten Gründerinnen und Gründer und deren mehr oder weniger gelungenes Personal Branding, sondern darum, dass sich deren Produkte kommerziell tragen müssen.

Für viele geht auch unterwegs nichts mehr, ohne auf den sozialen Kanälen zu gucken, was die anderen gerade so machen. Und selber zu posten, wo man gerade die Welt bewegt. Foto: Nathan Dumleo on Unsplash

Die Nürnberger Unternehmerin Dagmar Wöhrl gehört zu den „Löwen“. Sie pendelt während der Staffeln zwischen TV-Studio, Medienterminen, ihrer Consulting Firma in Berlin und ihrem Zuhause in Nürnberg. Ihr Personal Branding fasst sie auf ihrer Homepage so zusammen: „Familienmensch, Juristin, Politikerin, Unternehmerin, Tierschützerin, Fränkin und Opernfan“.

Veränderung als Problem

Doch die Personenmarke der ehemaligen Miss Germany hat in der Vergangenheit einige Veränderungen durchlaufen. Viele Jahr engagierte sich die 67-Jährige für die CSU im Bund für Wirtschaftspolitik, war hier unter anderem Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Zuletzt leitete sie den Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin.

Jetzt ist sie als Unternehmerin unterwegs. „Es kann ein Problem sein, sich zu verändern“, sagt Wöhrl. Nach 15 Jahren im Wirtschaftsbereich sei sie nie so recht als Expertin für Entwicklungspolitik wahrgenommen worden. „Die Menschen mögen Spezialisten und keine Generalisten.“

Personal Branding beginne für sie mit dem Blick nach Innen. „Man muss sich fragen, wodurch man sich von anderen unterscheidet.“ Natürlich habe Reputation auch einen positiven Effekt auf den Absatz eines Produkts.

„In der Höhle der Löwen sind die Gründerinnen und Gründer am Anfang das Entscheidende“, widerspricht sie Christian Schicha. „Ihre Produkte verändern sich im Laufe der Zusammenarbeit, aber die Persönlichkeiten bleiben.“

„Personal Branding ist harte Arbeit“

Dass es ein Leichtes ist, die eigene Personenmarke bekannt zu machen, verspricht auch Dagmar Wöhrl nicht. Es gehe darum, so viele sozialen Medien zu bedienen wie möglich. „Personal Branding ist harte Arbeit.“

So wird das „soziale Ich“ im Unterschied zu dem Ich, das sich mit ruhiger Hingabe einer Sache oder einer gesellschaftlichen Vision widmet, ohne sich selbst dabei zu wichtig zu nehmen, zum Heilsversprechen in einer Welt, die vor allem den finanziellen Erfolg in den Blick nimmt. Ob diese Haltung die Antwort auf die drängenden Probleme unserer Gesellschaft sein kann, beantwortet der Medienethiker Christian Schicha mit einem klaren Nein.

Wenn nur noch gehört wird, wer am lautesten oder launigsten brüllt, gehe es nicht länger um Information und Austausch. Der eigene Heldinnenfilm überstrahlt dann alles – auch die eigenen Selbstzweifel, die bei ruhiger Betrachtung ein so reicher Quell der Selbsterkenntnis sein könnten.