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Philosophin Caroline Hack hat eine klare Meinung über die Grenzen der persönlichen Freiheit in der Coronakrise.

Ute Möller
28.11.2021
Lesezeit: 6 Min.

Coronakrise: Raus aus der Ignoranz!

Persönliche Freiheit denkt die Bedürfnisse der anderen mit: Philosophin Caroline Hack zur Impfdebatte in der Pandemie

Ganz ehrlich: Ich kann das Geschrei nicht mehr hören. Das zwischen Geimpften und Impfgegnern. Das zwischen den Vertreterinnen und Vertretern verschiedener politischer Lager, die sich ins Gesicht brüllen, wann wer in der Coronakrise wann genau was hätte tun müssen.

Ich habe auch den Vergleich der Pandemie mit dem Brennglas reichlich über. Soziale Bruchstellen, Abgründe zwischen den Geschlechtern, ewig bekannte Bildungsungerechtigkeiten – Corona hält sie uns direkt vor die Nase. So what? Während im ersten Lockdown viele beim Waldspaziergang oder dem Radeln durch weitgehend autofreie Straßen noch davon träumten, dass die weltweite Krise zum weltweiten Umdenken im Sinne von mehr Miteinander, Respekt und Nachhaltigkeit führt, ist davon nichts mehr geblieben als – Zoff, verhärtete Fronten, weniger Toleranz im alltäglichen Umgang als zuvor. Shame on it! Chance vertan, oder?

Ich spreche mit der Nürnberger Philosophin Caroline Hack darüber, was wir in dieser furchtbaren Pandemie lernen könnten. Wenn wir denn wollten. Ein Appell für eine neue Diskussionskultur in harten Zeiten.

Liebe Caroline, Du hast Philosophie studiert, weil Du davon überzeugt bist, dass das Nachdenken über das gute, gelingende Leben auf die Straße gehört. In den Alltag der Menschen. Wie kann es gelingen, dass wir Menschen zusammen in der Gesellschaft ein gutes Leben haben? Aktuell tun sich ja Abgründe auf – auch ich kriege echt einen Hals, wenn ich Demos von Impfgegnerinnen und Impfgegnern sehe.

Caroline Hack: Im Moment sagen ja viele: wegen diesen Deppen, die sich nicht impfen lassen, sind wir da, wo wir gerade sind. Mit alle den Einschränkungen und Herausforderungen, etwa in den Krankenhäusern. Auch ich bin absolut dafür, sich impfen zu lassen. Diese Debatte – Solidarität versus Egozentrik – ist aber zu vereinfacht. Ich verstehe den Impuls und ich habe den auch. Es ist abartig, wie der Freiheitsbegriff genommen und durch 300 Fleischwölfe gedreht wurde in der Impfdebatte. Dahinter steht das Missverständnis, dass eine freie, individuelle Entscheidung bedeuten würde, dass sie komplett unabhängig ist von allem um uns herum. Das kannst Du machen, wenn du allein in der Antarktis hockst. Dann kann deine Freiheit diese Form haben.

Aber deine Freiheit hört immer dort auf, wo die Freiheit von jemand anderem beginnt. Dass die Freiheit jedes Einzelnen in der Gesellschaft Grenzen hat, ist so schon in den Grund- und Menschenrechten ausbuchstabiert, wenn man diese nicht nur als ein Recht liest und absichtlich missversteht. Autonomie ist nicht Vereinzelung. Ein Mensch kann nicht allein autonom sein. Man ist autonom in einer Gemeinschaft von Individuen, die ebenfalls versuchen, ihre Freiheiten zu realisieren. Im besten Fall unterstützt man sich dabei, dass möglichst viele Freiheiten von möglichst vielen Menschen realisiert werden können.

Sowohl Geimpfte wie auch Impfgegner würden ja wahrscheinlich sagen, dass sie durchaus andere Menschen mitdenken. Geimpfte könnten sagen, dass sie die anderen vor dem Virus schützen. Gegner, dass sie die Eingriffe des Staates als zu weitgehend empfinden.

Auch Geimpfte haben die Verpflichtung, sich mit Rücksicht auf andere vorsichtig zu verhalten: Caroline Hack mit Maske. Foto: privat

Alle Leute, die sich jetzt laut äußern und fordern, sich so entscheiden zu können wie sie wollen, haben für mich in dem Moment ihre Argumentationskraft verloren, in dem sie sich weiter verantwortungslos verhalten. Es gibt ja auch eine Möglichkeit zu sagen, ich möchte mich nicht impfen lassen und verhalte mich trotzdem nicht wie ein Arschloch. Weil ich mich jeden Tag PCR testen lasse zum Beispiel. Weil ich darauf achte, in welcher Umgebung ich mich bewege. Weil ich nicht meine Maske unter dem Kinn trage und weil mir nicht egal ist, was um mich herum passiert.

Man kann sagen, dass man Gründe hat, um sich nicht impfen zu lassen. Und man kann darüber diskutieren, ob das gute Gründe sind oder nicht. Diese Freiheit hat man, solange man nicht aktiv die Freiheit und Gesundheit anderer gefährdet. Man kann sich auch als geimpfte Person schlimm verhalten. Man kann sagen: Ich bin vollständig geimpft und jetzt nehme keine Rücksicht mehr. Ich ignoriere einfach mal, dass die Impfung nicht bedeutet, dass ich nicht doch ein asymptomatischer Träger des Virus sein kann. Wer hier verantwortungsvoll handelt, geht eben auch als Geimpfter nicht ohne Mundschutz und ohne Test ins Altenheim, um seine Oma zu besuchen. Aber das gerät gerade alles etwas in Vergessenheit.

Große Teile unsere Gesellschaft leben aber doch seit langem so, als könne jeder machen, was er will. Nach dem Motto: Ich kann SUV fahren und die Umwelt ist mir egal. Ich kann mich in patriarchalen Systemen super geil fühlen und Minderheiten nicht zum Zuge kommen lassen, wenn es mich voran bringt. Gab es überhaupt vor der Pandemie ein Bewusstsein für die Grenzen der persönlichen Freiheit?

Grund- und menschenrechtlich fundierte Argumentationen werden pervertiert in dem Moment, in dem jemand sagt, dass er SUV fahren und sich um nichts scheren kann. Denn diese Rechte müssen als Ganzes gelesen werden und gehen mit Pflichten einher. Die freie Meinungsäußerung kann doch nicht funktionieren, wenn ich etwas äußere, dass die Meinungsfreiheit von allen anderen Menschen auf der Welt negieren möchte. Oder von allen anderen Menschen, die nicht so denken wie ich. Das geht nicht.

Von den Menschenrechten kann man sich nicht nur rauspicken, worauf man Lust hat. Schon die Grundvoraussetzung, dass sie für jeden einzelnen Menschen gelten, hat eine Begrenzung im Gesamtsystem zur Konsequenz.  Das ist die vollkommen neutrale Aussage, dass die Dinge zusammenhängen. Und dass wir Menschen zusammenhängen und wir in dem Moment, wo wir eine Freiheit für uns persönlich nutzen möchten, in Kauf nehmen müssen, dass der Rest der Welt auch Freiheiten für sich persönlich in Anspruch nimmt. Und Rechtte hat, etwa auf körperliche Unversehrtheit. Bei all dem sollten wir nicht miteinander im Krieg landen, sondern im besten Fall ein System von gegenseitiger Unterstützung zu möglichst großer Gesamtfreiheit  gestalten.

Aber genau das kriegen wir nicht hin, das zeigt doch die Debatte über die Impfpflicht.

Man kann sich schon fragen: muss es eine staatliche Regulation für die Unfähigkeit der Menschen, die Freiheit jedes einzelnen anzuerkennen, geben? In dem Moment, in dem man sagt, man verbietet Ungeimpften den Zugang zu irgendetwas, hat man schon einen gewissen Druck ausgeübt. Die Impflicht ist nur eine mögliche Variante von staatlichen Versuchen, Druck auf Individuen auszuüben, um etwas zu tun, das man für sinnvoll hält. Man wird die Hardliner, die sich nicht impfen lassen wollen, weil sie sagen, dass der Staat sie kontrolliert, durch eine Impfpflicht aber nicht belehren. Und die große Menge an kursierenden Ängsten sollte uns zu denken geben, warum wir es nicht schaffen, das einzufangen. Wenn die Kommunikation da so schiefgelaufen ist, brauchst du nämlich keine Impfpflicht, sondern bessere Aufklärung.

Womit wir wieder bei der Frage sind, wie wir miteinander sprechen und umgehen. Nehmen wir doch noch mal das Bild von Corona als Brennglas: Haben wir nicht genau jetzt, wo sich viele nur noch anbrüllen oder anschweigen, die Chance, eine wertschätzende Kommunikation zu lernen?

Mal vorweg: Es gibt leider viele ignorante Menschen, ungeimpfte und geimpfte. Letztlich scheint es wegen diesen ignoranten Menschen notwendig zu sein, Zwang anzuwenden – von der Testpflicht, über Kontaktbeschränkung bis zu einer möglichen Impfpflicht. Und da kann man schon echt wütend sein, wenn man zur achtsamen, verantwortungsbewussten Gruppe gehört. Mir geht das auch so. Das macht einen aber trotzdem nicht frei davon, weiterhin zu differenzieren, um nicht auch zu einem ignoranten Schreihals zu werden, der alle in einen Topf wirft.

Sich das jetzt klarzumachen, steckt als Möglichkeit in dieser Krise. Ein neuer gesellschaftlicher Diskurs wäre enorm hilfreich. Und wir könnten uns ja jederzeit für einen solchen entscheiden.

Caroline Hack

Caroline Hack promovierte in Philosophie und leitet seit August 2021 die Stabstelle "Klinische Ethik" am Universitätsklinikum Erlangen. Sie ist außerdem Mitglied der Ethikkommission der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Caroline arbeitet außerdem als Honorardozentin an der Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe Erlangen.