Foto: Nadine Rodler photography

Projektleiterin Lydia Maria Taylor hofft, dass "Die Unsichtbare" einen neuen Diskurs über Erinnerungskultur anstößt.

Ute Möller
15.10.2021
Lesezeit: 5 Min.

Baut Denkmäler für Frauen!

Das Projekt "Die Unsichtbare" rückt die Biografien spannender Frauen in die Öffentlichkeit und fordert dazu auf, endlich eine diverse Erinnerungskultur zu etablieren

Seit 1.Oktober ist Nürnberg um 20 spannende Frauen reicher. Sie sind Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen, Verschleppte, Feministinnen, Widerstandskämpferinnen. Sie sind Teil der Nürnberger Geschichte, doch erinnert in der Gegenwart nichts oder nur wenig an sie. Die Kunstaktion „Die Unsichtbare“ erzählt ihre Geschichten noch bis 21.Oktober auf Plakatwänden in der Stadt. Einige der Plakate wurden bereits wieder abgenommen, aber viele sind noch zu sehen. Das Projekt fordert die Stadtgesellschaft auf: Lasst uns Geschichte endlich divers denken, bauen wir Denkmäler für Frauen! Denn unsere Erinnerungskultur prägt die Gegenwart und ist Teil des Plans, unsere Gesellschaft jetzt oder zumindest bald diverser und inklusiver zu gestalten. Lydia Maria Taylor ist die Projektleiterin und sie erzählt uns, warum sie die Aktion bislang ziemlich glücklich stimmt.

Liebe Lydia, gleich zum Start des Projekts Anfang Oktober wollte ich mir unbedingt die Plakate anschauen, die über die Stadt verteilt von den Frauen erzählen, die Nürnbergs Geschichte mitgeprägt haben. Auf der Homepage von Die Unsichtbare habt ihr die 20 Frauen und die Orte mit den geplanten Denkmälern aufgeführt. Ich bin dann ganz naiv zum Ehekarussell am Weißen Turm gestapft, weil Ihr schön ironisch mit dem Brunnen das Leben von  Dorothea Landauerin verknüpft, die sich im Mittelalter von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden ließ und über die ich einen Aufsatz in dem Buch „Nürnberger Frauen“ geschrieben habe. Aber da fand ich nichts und auch an keinem anderen der auf Eurer Homepage gekennzeichneten Orte. Da waren buchstäblich nur Leerstellen und die Plakate mit den Erinnerungstexten stehen woanders in der Stadt. Erst war ich etwas sauer, aber mittlerweile finde ich es ganz sinnig, dass die von Euch gewählten Erinnerungsorte leer bleiben. Denn man muss ja sagen – eine diverse Erinnerungskultur ist in Nürnberg bislang tatsächlich Fehlanzeige.

Lydia Maria Taylor: Stimmt, und genau das ist der Grund, warum wir das Projekt unbedingt umsetzen wollten. In unserem Team ist die Historikerin und Frauenforscherin Nadja Bennewitz, sie bemängelt seit vielen Jahren, dass in Nürnberg kaum Straßen an Frauen erinnern. Bislang tragen von über 1 300 nach Personen benannten Straßen lediglich etwas über sieben Prozent einen Frauennamen. Bei diesem Missverhältnis frage ich mich schon, warum dann in diesem Jahr Mitte Juli ein Platz neben dem Hauptbahnhof unbedingt nach dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl benannt werden musste.

Wie habt Ihr die 20 „Unsichtbaren“ ausgewählt?

Das Plakat, das an Elise Hopf erinnert, hängt noch bis 21.Oktober in der Sandrartstraße.

Nadja Bennewitz und die Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin Annette Schuster haben die Auswahl getroffen. Darunter sind bekanntere Frauen wie Maria Sybilla Merian und Caritas Pirckheimer, aber auch Unbekanntere wie die Nonne Kunigunde Niklasin oder Bertha Kipfmüller, die erste promovierte Frau in Bayern. Ursprünglich hatten wir geplant, eine Ausstellung zu machen, aber dann kam uns Corona dazwischen und wir mussten nach draußen ausweichen. Die Plakate an den Wänden der Stadtreklame, die übrigens alle rund 500 Meter von den von uns vorgeschlagenen Standorten für Denkmäler entfernt sind, finde ich aber eine gute Lösung. Im Freien gibt es keine Personenbegrenzungen wegen Corona-Auflagen und weil die Plakate beleuchtet sind, kann man sie auch abends noch gut lesen.

Ich mag es, dass ihr für die Denkmäler zum Teil recht provokante Plätze vorschlagt. Für Fatmeh, die im 17.Jahrhundert im Zuge der „Türkenkriege“ aus Griechenland verschleppt und schließlich an den Altdorfer Dr. Johann Fabricius verkauft wurde, zum Beispiel den Platz vor dem  Heimatministerium. Was verbindet Dich persönlich mit dem Thema Sichtbarkeit und Erinnerungskultur?

Ich habe schon für viele kulturelle Initiativen gearbeitet. Eine davon war „Homestory Deutschland“, eine Ausstellung, die durch mehrere Städte getourt ist und in der Schwarze, deren Familien seit vielen Generationen hier leben und die sich als deutsch verstehen, davon erzählen wie es für sie ist, nicht als biodeutsch wahrgenommen zu werden. Für mich ist wichtig, dass wir mit Diversität sensibel umgehen.

Hinzu kommt, dass ich selber als Presse- und Gästebetreuerin Führungen durch die Altstadt gemacht habe. Im Fokus standen dabei Albrecht Dürer und viele andere Männer. Frauen wurden nicht thematisiert oder in die Statistinnenrolle gedrängt. Agnes Dürer wurde vielleicht noch als „Hausdrache“ erwähnt, aber nicht als die begabte und geschäftstüchtige Händlerin, die die Werke ihres Mannes vermarktet hat. Bei der Arbeit als Presse- und Gästebetreuerin  wurde mir klar, dass ich mich nicht mit den historischen Männern identifizieren kann, die für die Nürnberger Stadtgeschichte stehen. Ich habe aber zu allen Frauen, die wir in „Die Unsichtbare“ zeigen, sofort einen Zugang gefunden. Ich war überrascht, welche tollen Frauen in Nürnberg gelehrt, geforscht und gearbeitet haben. Die teilweise weltweit bekannt sind – aber in Nürnberg erinnert nichts an sie.

An wen denkst Du da zum Beispiel?

An die Mathematikerin Emmy Noether, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts wichtige Grundlagen in der Algebra legte. Sie ist weltweit bekannt, aber auch ich habe sie bisher nicht mit Franken in Verbindung gebracht.

Euch war es wichtig, einen intersektionalen Blick auf das Thema zu haben, also Diversität grundsätzlich eine Rolle spielen zu lassen. Auch was die Herkunft anbelangt. In eurer Projekt-Info schreibt ihr: „Gesellschaftsordnungen beziehen sich auf Traditionen – Gleichstellung und Emanzipation müssen daher auch mit einem weiblicheren, feministischen und queeren Blick auf Geschichte und Geschichtsvermittlung einhergehen.“ Es ist ein wichtiger Punkt, finde ich, den Feminismus möglichst breit zu denken.

Ja, genau. Deshalb zeigen wir auch die Biografien von Fatmeh und von  Anastasius Lagrantius Rosenstengel. Das ist der Name, den sich Catharina Margaretha Linck selber gab, als sie sich in der Pegnitz taufen ließ. Sie lebte von dem Moment an als Mann und heiratete 1717 Catharina Margaretha Mühlhan. Nur drei Jahre später machte seine Schwiegermutter das Geheimnis öffentlich, in einem Inquisitionsprozess wurde Anastasius zum Tode verurteilt.

Was wünschst Du Dir, wie Euer Projekt weiterwirken sollte?

Zunächst muss ich mal sagen, dass ich mich sehr darüber freue, dass wir mehr positives Feedback bekommen als ich erwartet hatte. Unsere Führungen waren ausgebucht, zur Podiumsdiskussion in der Desi kamen viele junge Leute, was ich toll fand. Außerdem waren Politikerinnen und eine Vertreterin der städtischen Gleichstellungsstelle da. Ich habe das Gefühl, dass das Thema jetzt auf der Agenda steht und sich das Augenmerk von Stadtrat und Öffentlichkeit auf das Ungleichgewicht von Denkmälern, Plätzen und Straßen richtet, die in Nürnberg an viel mehr Männer als Frauen erinnern. Ich hoffe, dass sich Treiberinnen finden, die an dem Thema weiter arbeiten.

Lydia Maria Taylor

Sie studierte Anglistik. Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und hat danach viele kulturelle Projekte vorangetrieben: Lydia Maria Taylor (40) war zum Beispiel Programmkoordinatorin für das Kinder-, Jugend- und Schulkino am Casablanaca Filmkunsttheater in Nürnberg. Sie machte die Öffentlichkeitsarbeit für die Historischen Felsengänge Nürnberg und ist Managerin der Marketing- und PR-Abteilung von www.englishpost.de, einem Online-Magazin, das für die englischsprachige Community das Geschehen in Nürnberg in den Blick nimmt.

Finnisage und Mitmach-Projekt zum krönenden Abschluss

Flamingo Kopf

Das Projekt „Die Unsichtbare“ endet wie es sich gehört mit einer Finnisage. Am Donnerstag, 21.Oktober, können zwischen 18.30 und 22 Uhr in den historischen Räumlichkeiten von Bogy Nagy Galerie & Atelier, Schlehengasse 15, in Nürberg alle Plakat-Motive angeschaut werden. Sie sind dort bis 22.Oktober zu sehen.

Am Sonntag, 24.Oktober, sind 20 Mädchen und Frauen* eingeladen, öffentlich sichtbar zu werden und selbst einmal Denkmal zu sein: „Mit-Mach-Denkmal“ heißt der Workshop, der um 13 Uhr im Foyer der Nürnberger Oper beginnt. Geplant ist ein Mut-Mach-Workshop, der um 15 Uhr in eine öffentliche Performance mündet: Sei Dein Denkmal! Mach Dich sichtbar – werde gesehen – halte es aus in der Öffentlichkeit zu stehen – und lass Dich feiern! Eine Photographin wird die „Denkmale“ für die Ewigkeit festhalten. Die Teilnahme kostet nichts. Anmeldung unter anja.sparberg@staatstheater-nuernberg.de