Foto: Katharina Pflug

Luisa Stömer (li.) und Eva Wünsch sind ein tolles Team. Ihre Themen sind oft Tabus, so wie Menstruation oder der Tod.

Ute Möller
05.10.2022
Lesezeit: 7 Min.

 „Ebbe & Blut hat unseren Blick auf Feminismus verändert“

Eva Wünsch und Luisa Stömer sind ein Grafikdesign-Gespann made in Franken, das für Tabus losgeht. Mit ihrem Buch über die Menstruation wurden sie von Medien gerne vermarktet.

Ihre Bücher machen Tabus sichtbar. Mit überraschenden Bildern und neuen visuellen Narrativen stellen sie gesellschaftliche Gewohnheiten in Frage. Ein ganz schön hoher Anspruch. Mich haben sie damit abgeholt, weshalb ich mich auf das Gespräch mit den Grafikdesignerinnen Luisa Stömer und Eva Wünsch sehr gefreut habe. Einige kennen sicher ihr Buch Ebbe & Blut über die Schönheiten und Tücken der Menstruation.

Wir haben schon in diesem Frühjahr miteinander gesprochen, ich komme aber erst jetzt zum Schreiben. Im Sommer war einfach zu viel los. Ein bisschen Urlaub in Frankreich übrigens auch. Beim Anhören der Aufzeichnung unseres Gesprächs bleibe ich an etwas hängen, dass Eva und Luisa gegen Ende gesagt haben. Es ging um die Frage, wie wir es hinkriegen, dass die feministische Perspektive nicht in einem Gesellschaftssystem untergeht, das vor allem über Kommerzialisierung funktioniert. Wie kriegen wir die Debatte über Gleichstellung raus aus der Bubble, die zugegebenermaßen immer größer wird? Die Stapel feministischer Literatur in den Buchhandlungen werden immer höher, doch ist das auch ein Zeichen für gesellschaftliche Veränderung?

Was bringt es uns, wenn Feminismus zur Ware wird?

Dass der Feminismus kommerzialisiert wird, könne bedeuten, dass sich die Gesellschaft tatsächlich verändert, sagen die Freundinnen.  Oder aber auch nur, dass es am Rand immer bunter wird. Es gehe nicht anders, als immer wieder verbal den Ball im Spielfeld der gesellschaftlichen Debatte zu halten. „Vielleicht sehen wir selber die Erfolge gar nicht mehr.“ Ihre Motivation ist klar der Gedanke: „Vielleicht aber auch doch!“

Ebbe & Blut haben Luisa Stömer und Eva Wünsch 2016 als Abschlussarbeit an der Designfakultät der Technischen Hochschule Nürnberg geschrieben. 2018 gewannen sie mit der klugen und künstlerischen Kombination aus Text und Illustrationen den German Design Award. Das Buch über die Menstruation war eines der ersten, das Blut und weiblichen Zyklus nicht nur erklären, sondern enttabuisieren wollte. Hin zu einem unverkrampften Umgang, was herausfordernder war, als sich die beiden gedacht hatten.

Ästhetischer Blick in den weiblichen Körper. Illustration: „Ebbe & Blut“

Rezipiert wurde Ebbe & Blut in Magazinen wie Stern oder Brigitte als Abhandlung über die „Ästhetik vollgebluteter Unterhosen“. Beim Lesen der Rezensionen ist zu spüren: Die Öffentlichkeit hatte Lust auf einen Tabubruch, vor dem sie zugleich zurückschreckte.

Im TV bitte brav mitspielen

„Wie das Buch rezipiert wurde, hat gezeigt, wie viel beim Thema Gleichberechtigung noch zu tun ist, wie vieles da noch fehlt“, sagen Luisa und Eva.

In der eigenen Bubble sei man sich oft einig. Die Grafikdesignerinnen bekamen da ganz folgerichtig auch zu hören, dass so ein Buch doch unnötig sei, weil man doch längst alles sagen könne. „Aber das stimmte einfach nicht“, erinnert sich Luisa. „Wir haben gemerkt, was es bedeutet, öffentlich unsere Meinung zu sagen. Einige fühlten sich durch das Buch angegriffen. Es gab viel Unverständnis dafür, warum es nötig ist, ausgerechnet über Menstruation zu sprechen. Leute fanden das Thema eklig .“

Zugleich gab es viel Interesse an den beiden, das der Verlag gerne vermarktet hat. Waren sie zu  TV-Sendung eingeladen, wurde ihnen auch gesagt, über was sie lieber nicht reden sollten. Zum Beispiel über die zähflüssige Konsistenz von Menstruationsblut.

Die beiden hatten den Eindruck, dass sich diejenigen, die sie zu den Talkshows eingeladen hatten, über ihre eigene Courage wunderten. „Wir durften da sitzen, aber unsere Gesprächszeit wurde immer kürzer. Einmal hieß es, wir dürfen kommen, aber wir sollen nicht die Charlotte Roche machen. Wir sollten nicht schocken, sondern uns einfach mit reinsetzen.“

Es überrascht sie, wie real die Tabus waren. „Aber diese Erlebnisse standen ja auch für das, weshalb wir das Buch gemacht hatten“, meint Luisa. Die Frage sei auch gewesen, wie sie sich mit einem Thema, das weiblich gelesene Körper betrifft, als Newcomerinnen in die Arbeitswelt eingliedern.  „Die Erfahrungen mit Ebbe & Blut haben unseren Blick auf Feminismus stark beeinflusst“, sagen beide.

Von wegen dekorative Beipackzettel!

Das Buch hob sich jedenfalls gestalterisch von allem ab, was vorher zu dem Thema veröffentlich worden war. „Wir wollten über die Gestaltung einen Schlüssel zur Verfügung stellen, um sich nicht schamvoll mit dem Thema zu befassen.“ Collagen, das Stilmittel der Ironie, anatomische Zeichnungen, die erklären und zugleich ästhetisch sind – die Illustrationen von Eva und Luisa sind viel mehr als dekorative Beipackzettel. Sie sind erklärender Teil der Story, bereichern sie um Inhaltliches und eine ganz eigene Formensprache.

Die Kollaboration der beiden, die seit kurzem in Berlin das  „büro wünsch & stömer“ betreiben, beeindruckt mich. Weil sie voller Vertrauen ist, ohne Ressentiments. Jede ist bereit, preiszugeben, was sie gezeichnet hat, wenn es die andere bearbeitet. „Wir arbeiten gemeinsam an Motiven, es ist wie ein Ping Pong-Spiel. Eine beginnt, die andere fügt die nächste Schicht hinzu und so weiter. Am Schluss sitzen wir gemeinsam über Bild und Text“, sagt Luisa. Und Eva ergänzt: „Wir leben damit, dass etwas wieder zerstört  und übermalt wird. Wir haben großes Vertrauen in die Fähigkeiten der anderen.“

Der Arbeitsprozess ist geprägt von Zuversicht, die beiden fühlen sich voneinander gesehen. Für mich klingt das nach einer grundsätzlich erstrebenswerten Form der Arbeit. Es geht nicht darum, sich zu vergleichen, besser sein zu wollen, herauszustechen. Sondern um das bestmögliche Ergebnis. So zu denken und zu arbeiten, scheint mir angemessen in den aktuellen globalen Krisen, die wir ohne Kollaboration und ohne dass wir alle verfügbaren Kompetenzen von jeder und jedem nutzen, nicht lösen können.

Luisa und Eva haben jedenfalls aus Ebbe & Blut auch gelernt, dass sie sich gemeinsam besser auf dem Markt positionieren können. „Frauen müssen im Grafikdesign noch darum kämpfen, gesehen zu werden“, sagt Luisa. „Sie werden schnell mit Illustration in Verbindung gebracht, und das wird ganz oft als das dekorative Element wahrgenommen. Dagegen wehren sich viele Frauen in der Branche.“ Wenn im Unterschied dazu Zeichnungen Inhalte vermitteln, erfüllen sie nicht länger die Funktion, nur hübsch zu sein. An dieser Stelle beginnt für die beiden die Professionalisierung von Gestaltung.

Die Branche sei immer noch vor allem männlich. Es gehöre zum Job einer Grafikdesignerin, sich sichtbar zu machen. „Ein Grafikdesigner muss sich nicht noch positionieren, seine Rolle ist klar.“ Diese Anstrengung, ständig für die eigene Sichtbarkeit zu sorgen, belastet Frauen in vielen Berufen.

Die Grafikdesignbranche ist vor allem männlich

„Grafikdesignerinnen werden eher für Jobs angefragt, die wenig Budget haben. Sobald das größer wird, bekommt ein Kollege mit eigenem Studio den Job. Es ist sehr schade, dass man diese Kämpfe führen muss. Aber es ist gut, wenn man sich miteinander besprechen kann und dann vielleicht auch mal lieber was absagt, weil die Konditionen zu schlecht sind“, sagt Eva.

Eva und Luisa arbeiten für große Magazine, Unternehmen, kulturelle und soziale Einrichtungen. Ihr zweites Buchprojekt „Schwellenangst“ ist eine hochschulübergreifende Masterarbeit. Das Thema ist das vielleicht größte Tabu in und unserer Gesellschaft: Sterben, Tod, Trauer. „Es ist so unglaublich, dass in unserer Gesellschaft über das, was auf uns alle zukommt, nicht gesprochen wird.  Wir haben ein Tabu gesehen, dass uns sowas von selbst betraf, dass wir uns das genauer ansehen wollten.“

Es war Zufall, dass die Arbeit an „Schwellenangst“ in die Zeit des Corona-Lockdowns fiel. Die Beschäftigung mit dem Tod sei doppelt intensiv gewesen in der globalen Pandemie. „Es spielen ja grundsätzlich gesellschaftliche Verdrängungsmechanismen eine große Rolle für unsere Unfähigkeit, Trauerprozesse zu gestalten. In der Coronakrise filmten dann plötzlich Kamerateams auf den Stationen der Krankenhäuser, Tod und Sterben wurden sichtbar“, sagt Luisa.

Warum wird über das, was am sichersten eintrifft  im menschlichen Leben, am wenigsten debattiert? Warum sind Menschen alleingelassen in der Trauer? Warum ist die Visualisierung des Todes so gestaltet, dass sich niemand damit befassen will? Düster, schwarz, grau, lila. Standardmäßig mit Dürers Betenden Hände, religiösen Symbolen, der symbolischen Taube.

Tod, Trauer, das Sprechen über Verlust – unsere Gesellschaft grenzt sie aus. Wir sollten neue Formen des Umgangs mit dem Sterben finden, fordern Eva und Luisa. Illustration: „Schwellenangst“

„Wir möchten dem Tabu einen neuen Diskurs und ein neues visuelles Narrativ entgegensetzen, das den Einstieg in das schwierige Thema leichter macht.“ Heraus kam eine Materialsammlung mit  fast 500 Seiten, für die sie noch einen Verlag suchen.

500 Seiten Material über den Tod

Zeichnungen und Texte erklären, was Sterben körperlich bedeutet. Sie richten das Licht auf Orte, an denen gestorben wird: Zuhause, im Krankenhaus, im Hospiz. Sie stellen Fragen, etwa: Was hat der Turbokapitalismus mit der Verdrängung des Todes zu tun?

Sie öffnen die Türen in Bestattungsunternehmen und zeigen Wege, wie Angehörige den Prozess des Abschiednehmens mitgestalten können. Wie sie sich zurückholen können, was früher selbstverständlich war. Den verstorbenen Verwandten zu waschen zum Beispiel. Das alles mit dem Ziel, Sterben und Abschiednehmen anders zu verstehen.

Beide betonen, dass es nicht um den einen und einzig richtigen Weg gehe, sich mit dem Tod zu beschäftigen. Man könne mit Familie oder Freunden Vorsorgevollmachten ausfüllen. Oder allein ein Buch lesen. Oder ein Praktikum bei einem Bestattungsunternehmen machen, so wie es Luisa und Eva getan haben.

Auch gestalterisch war „Schwellenangst“ ein Prozess der Annäherung. „Anfangs wollten wir das krasse Gegenteil zu den traditionellen Karten und Todesanzeigen gestalten. Aber wir können nicht nur mit allen Farben des Regenbogens arbeiten, sondern müssen auch die Tiefe und Dunkelheit des Themas miteinbeziehen“, sagt Eva.

Verstorbene waschen, kleiden – das übernehmen Bestattungsunternehmen. Angehörige könnten das aber auch tun. Illustration: „Schwellenangst“

Herausgekommen ist eine Formensprache, die viele, auch fröhliche Farben einbezieht. Und Alltagsszenen, Tod und Sterben sind anwesend. Bestenfalls in einer neuen Form des Austauschs und des Miteinanders. „Wir können dem Tod nicht weniger Tatsächlichkeit geben, aber wir können uns über das Reden darüber miteinander verbinden“, sind sie überzeugt.

Ist bei der Arbeit an dem Buch ihre eigene Angst vor dem Sterben kleiner geworden? Die Angst vor dem Tod von Menschen, die man sehr gerne hat, habe sich nicht in Wohlgefallen aufgelöst. Letztlich habe die Frage aber an Bedeutung verloren. „Die Angst bleibt, aber sich mit anderen zu verbinden, hilft unglaublich“, sagt Luisa.

Offen über den Tod zu sprechen, öffnet Raum für Nähe

Sie bat ihre 85-jährige Oma, ihr zu erzählen, wie sie sterben möchte, wie sie sich ihre Bestattung wünscht, was sie denkt, was nach dem Tod mit ihrer Seele passiert. „Vor zwei Jahren hätte ich es nicht gewagt, sie damit zu konfrontieren. Aber jetzt, wo ich ihre Glaubenssätze kenne, kann ich dafür sorgen, dass ihre Wünsche umgesetzt werden. Es wird nicht leichter, mit dem Vermissen umzugehen, aber es macht mir ein anderes Gefühl.“

Wenn sie für „Schwellenangst“ einen Verlag gefunden haben, stellt sich Frage nach der Vermarktung. Ebbe & Blut sei absolut weiblich vermarktet worden, mit klischeehaften Farbspektren und vor allem in Frauenmagazinen. „Dabei haben wir es für alle geschrieben.“

Politik und Gesellschaft müssten radikaler über Gleichstellung sprechen

Bücher über den weiblichen Körper und Gleichstellung blieben oft in der Frauenbubble hängen. Ihr vorläufiges Fazit: „Wir leben immer noch im Patriarchat, Frauen kämpfen sich rein und hoch. Aber es gibt noch keine Gleichberechtigung und das spiegelt sich im Umgang mit diesen Themen. Sie werden nicht konsequent diskutiert, müssten aber in Gesellschaft und Politik viel radikaler besprochen werden.“  Mit ihrer Arbeit wollen Eva und Luisa dazu beitragen, dies zu ändern. „Vielleicht sehen wir die Erfolge selber gar nicht mehr.“ Vielleicht aber auch doch.